Wallstadt. Große Aufregung im Storchennest von Horst Blass im Mannheimer Stadtteil Wallstadt: Im April hat Störchin Elli fünf Eier gelegt, im Mai schlüpften dann vier Küken. Eines davon heißt sogar „Leo“, weil es am Tag der Papstwahl aus dem Ei gekrochen ist. Das bringt ihm offensichtlich Glück, denn dieses Storchenjunge ist als einziges noch am Leben.
Die Storchen-Community, die den Livestream verfolgt, hat den Nachwuchs zunächst euphorisch gefeiert, denn seit dem Aufstellen des Nestes im Jahr 2019 hatte es noch nie so viele Küken auf einmal gegeben. Unter dem Namen „HorstsHorst“ kann man rund um die Uhr zuschauen, was im Nest vor sich geht, der Kanal hat 1080 Follower.
Muttertier tötet zwei der Küken und frisst sie auf
Doch kaum waren die letzten beiden Küken geschlüpft, nahm das Drama seinen Lauf. Elli tötete nacheinander die beiden jüngsten und fraß sie auf. Die Follower waren geschockt und posteten traurige Kommentare. Kronismus nennt man dieses Verhalten, benannt nach dem griechischen Titan Kronos, der einer Sage nach seine Kinder fraß.
Ursachen für dieses Verhalten können Futtermangel, Stress durch Kämpfe oder eine zu hohe Anzahl von Küken bei Nahrungsknappheit sein. Bis zu neun Wochen dauert die Aufzucht, was für die Störche sehr aufwändig ist und Stress bedeutet. Bemerkt die Störchin eine Schwäche bei einem Küken, tötet sie es und sichert somit das Überleben der Stärkeren. Menschliche Emotionen und der Drang, sich für die Schwächeren einzusetzen, sollten man nicht miteinbeziehen.
Horst Blass tippt auf Futtermangel, der den Kronismus ausgelöst haben könnte. „Es gibt zu wenig Feuchtgebiete, in denen die Störche Nahrung finden. Sie fressen Frösche, Regenwürmer, Mäuse, Insekten - eigentlich alles, was man in einem Stück schlucken kann, denn ein Storch kann keine Nahrung zerteilen oder kauen.“
Trockenheit macht der Storchenfamilie zu schaffen
Störche sind Fleischfresser. Ein erwachsener Vogel frisst ungefähr 500 Gramm am Tag, die Küken 700. Wenn man sich vorstellt, wie viele Kleintiere das sind, kommt einiges zusammen. Für eine vierköpfige Storchenfamilie sind es 2,4 Kilo täglich.
Dann war es einige Zeit friedlich im Nest: Die Küken Leo und Gina wuchsen und gediehen und wurden von Mutter Elli behütet, Vater Eddi kam ab und zu mit Beute vorbei. Und dann kam erneut eine traurige Nachricht aus dem Storchennest: Gina, eines der Küken, ist gestorben. Horst Blass vermutet, dass es an der Trockenheit lag. Nun regnet es, und die Community hat Hoffnung für Leo, der als Einziger übrig geblieben ist.
Die Feuchtgebiete, in denen Kleintiere und Insekten - die Nahrungsgrundlage der Störche – leben, verschwanden Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Begradigung der Flüsse, deren Ziel es war, die Malaria einzudämmen. „Wallstadt war früher eine Insel“, sagt Blass. Was für die Menschen von Vorteil war, wurde für die Tierwelt zum Nachteil. Die Erbauer der Nester möchten daher die Tiere unterstützen, sich wieder anzusiedeln.
Es gibt 800 Storchennester mit Webcam auf dem Portal Storchen-Elke. „In Polen leben die meisten Störche, weil es dort noch mehr Feuchtgebiete gibt. In Rheinland-Pfalz galten sie als ausgestorben, dann wurde viel in ein Storchen-Programm investiert.“ Ab Juli fliegen Störche nach Afrika zum Überwintern, und zwar nur über Land, da sie keine langen Strecken schaffen. Dabei fliegen sie entweder die Westroute über Frankreich und Spanien oder die Ostroute über den Balkan. „Und dann kommen Eddi und Elli im Februar aus Afrika zurück und finden das Nest in Wallstadt, das finde ich so abgefahren“, freut sich Horst Blass.
Nest vor sechs Jahren mit viel Aufwand aufgestellt
Seit sechs Jahren steht das Nest nun schon auf seinem Grundstück in Wallstadt, passenderweise in der Storchenstraße. Es sei ein „Riesen-Act“ gewesen, es aufzustellen. Ein 13 Meter langer Mast wurde benötigt, bei einem Förster aus dem Odenwald wurde Blass fündig. Die schnurgerade, stabile Lärche musste nach Mannheim transportiert werden. Ein Statiker wurde beauftragt und ein Fundament gegossen. Eine Platte aus verzinktem Stahl bildet den Boden des Nests. Eine Klasse der Wallstadtschule durften ein Geflecht aus Weidenzweigen herstellen. „Störche selbst sind baufaul, sie machen nur das Nötigste, sie können mit dem Schnabel auch nicht allzu viel machen“, sagt Blass.
Als das Nest fertig und die Kamera installiert war, passierte erst einmal gar nichts. Ab und zu gastierten Single-Störche, Pärchen, die keine Eier legten oder auch die weit verbreiteten Nilgänse. 2023 war es endlich so weit. Eddi und Elli entdeckten das Nest für sich und legten zwei Eier. Eines wurde von einem Raben gefressen, das andere ausgebrütet und liebevoll „Küki“ genannt – die Community feierte. Doch leider verhungerte Küki, Blass schätzt, weil die Eltern noch zu unerfahren mit der Aufzucht waren. „Wir haben Futter um das Nest herum gelegt, in der Hoffnung, dass die Störche es holen, doch es nützte nichts. Wir haben Küki hinter dem Nest beerdigt.“
Auch Nilgänse fanden schon eine Brutstätte
Im vergangenen Jahr klappte es zwar nicht mit den Störchen, dafür aber mit Nilgänsen, deren waghalsige Gössel sich nach zwei Tagen in die Tiefe stürzten – völlig normal für die Gänse, alle haben überlebt. Und nun fiebert die Community mit dem Storchenpaar und dem letzten überlebenden Küken mit.
Sind die Eltern ausgeflogen, machen sich die Follower sofort Sorgen um den Kleinen. Kommt Elli zurück, fällt ihnen „ein Stein vom Herzen“. Horst Blass bereut den Aufwand nicht im Geringsten: „Wenn man morgens den Rollladen hochmacht, schaut man auf das Nest, die Störche klappern, das macht einen glücklich.“ Wer nun neugierig geworden ist und die Störche live erleben möchte, findet „Horstshorst“ auf YouTube.
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