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Belastungen und Traumata: Die Last der NS-Zeit in Familien

Christiane Faschon erzählt an der Friedrich-List-Schule in Mannheim, wie ihre Familie mit den Traumata des Nationalsozialismus umging und warum die Erinnerungskultur für die Gesellschaft unverzichtbar ist

Von 
Ute Bechte-Wissenbach
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Sandra Roos (v.l.) und Anouk Bourrat-Moll, als Lehrerinnen verantwortlich für den Israel-Austausch der Schule, Christiane Faschon, Schulleiter Christian Löffler und Rita Althausen, zweite Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. © Ute Bechtel-Wissenbach

Am Anfang stand ein Zeugnis der Friedrich-List-Handelsschule aus dem Jahr 1941. Christiane Faschon fand das Dokument ihres Vaters Hans Faschon beim Aufräumen und nahm Kontakt mit dem Direktor der List-Schule, Christian Löffler, auf. Er lud die in der Schweiz lebende Religionspädagogin, Dozentin und Journalistin ein, über das Schicksal ihres Vaters im Dritten Reich und die psychischen Belastungen der Familie in der Nachkriegszeit zu berichten. Durch seine jüdische Mutter galt Hans Faschon den Nationalsozialisten als Jude – mit allen Konsequenzen.

Sachlich eindringlich und umso bewegender schildert Christiane Faschon die Schikanen, die vom Lehrer tolerierte Gewalt der Mitschüler und die Ausgrenzung an der Volksschule. An der List-Berufsschule gibt es damals zwar, wie überall für Nicht-Arier üblich, schlechte Noten ohne Berücksichtigung der wahren Leistungen, aber immerhin ein Abschlusszeugnis. Es folgt eine Lehrstelle, die allein aus rassischen Gründen gekündigt wird.

Während der anschließenden Ausbildung bricht der Krieg aus. Dank der Unterstützung eines Freundes des Vaters kann Hans Faschon Funker werden. Die Uniform sorgt für einen gewissen Schutz und für Essen, das er an seine Familie verteilt. Doch bleibt es der Mutter untersagt, Schutz im Bunker aufzusuchen. Ein jüngeres Geschwisterkind stirbt, der Vater wird ohne Narkose zwangssterilisiert. Und doch lässt er sich als Arier nicht scheiden, um den Qualen der Diskriminierungen zu entgehen.

Nachwirkungen der NS-Zeit

Nach dem Krieg, erst in amerikanischer und dann in französischer Gefangenschaft, heiratet Hans Faschon eine Nicht-Jüdin, arbeitet für die Deutsche Bahn und siedelt im Rahmen dieser beruflichen Tätigkeit 1955 in die Schweiz um. Dort engagiert er sich in der Gewerkschaft und in der Kirche. Nach Deutschland ist er nie wieder zurückgekehrt.

Was bleibt, sind die Traumata aus der NS-Zeit. Beständiges Bauchweh, psychosomatische Herzattacken, Ess- und Angststörungen sind Ausprägungen, mit denen auch die Kinder leben müssen.

Aus Angst dürfen sie sich mit niemand außerhalb der Familie austauschen, die Fenster müssen geschlossen bleiben, damit niemand mithört, das Notgepäck für eine notwendige Flucht ist immer gepackt. Alle müssen immer essen, wer weiß, wann es wieder etwas gibt. Alle müssen sich für das Gemeinwohl engagieren, helfen, durchhalten. Es sind ständig Besucher da, etwas das in Deutschland unmöglich war. Christiane Faschon erzählt: „ Bis zur Matura hatte ich nie ein eigenes Bett, ich musste es immer wieder mit Gästen teilen.“

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Der Nationalsozialismus und die Folgen sind das Thema seines Lebens. Seine Enkelin sagt zum Großvater: „Nicht schon zum Frühstück den Holocaust.“ Und doch prägen die Erfahrungen und Erzählungen die Existenz der Kinder, Enkel und Urenkel. Die Fünfjährige, die ihren Uropa nicht kannte, fragt kürzlich ihre Mutter, die nun ausgerechnet nach Berlin gezogen ist: „Und was ist, wenn ein anderer Adolf kommt?“

Christiane Faschon sieht die Weitergabe von Traumata in Form von Stressbewältigung, Krankheitsanfälligkeit und Schmerzverarbeitung. Flüchtlinge, Opfer von Kriegen oder von sexualisierter Gewalt und auch die Nachkommen von Tätern seien traumatisiert. Sie alle sollten dies erkennen und Hilfe bei einer Traumatherapie suchen.

Für die Gesellschaft sei es wichtig, sich für ein funktionierendes Rechtssystem einzusetzen, Verantwortung zu übernehmen und so die Demokratie zu stärken, damit ein Leben in der Gegenwart möglich sei. Für die Zukunft sei daher die Erinnerungskultur unverzichtbar.

Engagiert gegen Diskriminierung

Am Vormittag hatte die Referentin zum Auftakt ihres Besuchs bereits einen Workshop mit über 40 Schülern geleitet. Noch vor ihrem Vortrag am Nachmittag umriss dann Rita Althausen, stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), in ihrem Grußwort kurz und ebenso anschaulich die Jugend ihres Vaters in der NS-Zeit. Er hatte die Deportation der Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland ins Internierungslager Gurs miterlebt. Die Zuhörer, darunter Schüler, Lehrer, Vertreter des Marchivums, der Stadtverwaltung, der DIG und des Ursulinen-Gymnasiums spendeten jeweils langanhaltenden Beifall.

Die Friedrich-List-Schule in C6 ist eine Berufs- und Berufsfachschule sowie ein Wirtschaftsgymnasium. Als Teil des bundesweiten Netzwerkes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ wendet sich die List-Schule aktiv gegen Diskriminierung und Gewalt. Dazu gehören unter anderem Veranstaltungen zur Aufarbeitung von Geschichte und zur Stärkung der Demokratie, wie etwa Gedenktage für die Opfer des Nationalsozialismus oder die Verlegung von Stolpersteinen.

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