Mannheim. Seit Stunden stehen Journalistinnen und Journalisten auf dem Paradeplatz. Es wird telefoniert, geschrieben, Kameras werden über den Platz getragen, Mikrofone platziert. Am Mittag war ein Mann mit einem Auto über die Planken gerast, hat Menschen verletzt und getötet – viel mehr ist nicht bekannt. Neben den Medienvertretern stehen viele Polizisten auf dem Platz. Teilweise sind sie schwer bewaffnet, teilweise in gewohnter Uniform. Es ist kurz vor 18 Uhr. Zwei Beamte kündigen ein Statement in ein paar Minuten an. Endlich, denken wir. Wir – das sind die Journalisten, die darauf warten, Sie, die Öffentlichkeit, mit neuen Erkenntnissen zu informieren.
Szenenwechsel: Wochen später treffen wir Sabine Abeln im Polizeipräsidium in L6. Der Ort ist ungewöhnlich für ein Gespräch mit ihr. Schon viele Male haben sich Redakteure und Sabine Abeln getroffen, meistens aber nicht im Präsidium. Wenn man nicht mit ihr telefoniert oder mailt, trifft man sie oft dort, wo etwas passiert: an Tatorten oder bei Demonstrationen zum Beispiel. Seit anderthalb Jahren leitet Sabine Abeln die Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums. Sie ist Pressesprecherin. „Die Polizei will offen sein und in den Dialog mit der Bevölkerung kommen“, sagt sie.
13 Beamte arbeiten in der Stabsstelle, die eng mit der Leitung um Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer verbunden ist. Abeln ist seit mehr als 30 Jahren Polizistin. Fünf silberne Sterne schmücken ihre Schulterklappen: Erste Hauptkommissarin. „Als Berufsanfängerin hätte ich mir die Arbeit in der Pressestelle nicht vorstellen können“, sagt sie.
Stattdessen sei es gut, „eine gewisse Diensterfahrung“ zu haben. Sie und ihr Team – darunter die beiden Beamten, die am Paradeplatz vor die Presse getreten sind – müssen die Arbeit der Polizei der Öffentlichkeit erklären. Ein mitunter kompliziertes Unterfangen.
Hinter dem Präsidium liegen bewegte Zeiten. Beginnend mit dem tödlichen Einsatz am 2. Mai 2022 auf dem Marktplatz, kamen bei drei weiteren Vorfällen Menschen ums Leben: am 10. Mai 2022 auf dem Waldhof, am 23. Dezember 2023 auf der Schönau und am 23. April 2024 bei einem Einsatz in der Universität. Zuletzt erregte eine Personenkontrolle auf der Kurpfalzbrücke für Aufsehen, deren Ablauf die beiden beteiligten Beamten in ihrem Bericht falsch dargestellt haben, wie ein Gericht festgestellt hat.
Obwohl Ermittlungen und Gerichte die Beamten in den anderen aufgezählten Fällen entlastet haben, scheint das Vertrauen in Teilen der Bevölkerung in die Polizei, wie in viele staatliche Behörden, gesunken. Auch wegen einer restriktiven Kommunikationspolitik? „Wir wollen keine Informationen zurückhalten oder sie sogar verheimlichen“, sagt Abeln. „In Großlagen heizen aber vor allem soziale Medien Gerüchte an, die wir nicht füttern wollen.“ Zwischen Absprachen mit Ermittlern vor Ort, Staatsanwaltschaft, Krankenhäusern und anderen Stellen beginnt ein Abwägen zwischen öffentlichem Druck und behördlicher Sorgfalt.
Sprecherin des Präsidiums Mannheim: „Social Media hat unsere Arbeit deutlich erschwert“
„Je nach Ausmaß der Lage kann es dauern, bis wir alle Informationen beisammen haben und damit an die Öffentlichkeit gehen können“, sagt Abeln. „Es ist manchmal wie ein Puzzle, das ausgeschüttet wird. Je mehr Teile es gibt, desto schwieriger wird es.“ Gerade soziale Medien haben den Druck auf die Kommunikation der Polizei erhöht. „Social Media hat unsere Arbeit deutlich erschwert“, sagt Abeln. Gerüchte, falsche Bilder, gezielte Falschmeldungen – all das bindet Ressourcen. „Je mehr falsche Informationen verbreitet werden, desto mehr müssen wir prüfen und desto schwieriger wird es, gesichert zu informieren. Das ist kontraproduktiv.“
So wie an jenem 3. März auf den Planken. Über Stunden stehen Presse und Polizei auf dem Paradeplatz, während im Netz Spekulationen über Tathergang, weitere Tatorte und die Zahl der Opfer kursieren. Überregionale Medien berichten früh über ein zweites Todesopfer – die Polizei bestätigt das aber erst Stunden später. Zu spät, um der Auskunftspflicht gerecht zu werden? Oder so spät, gerade weil zur Auskunftspflicht auch eine Auskunftssorgfalt gehört?
Auch der „Mannheimer Morgen“ wartet an diesem späten Nachmittag auf die offizielle Bestätigung durch die Polizei, weil sich die Redaktion an dem von Falschinformationen geprägten Nachrichtentag an Spekulationen nicht beteiligen will. Viele der kursierenden Nachrichten sind falsch. Etwa Ausweisdokumente, die den Täter als Mann mit Migrationshintergrund zeigen sollen. Später stellt sich heraus: Es handelt sich um einen Deutschen mit rechtsextremen Verbindungen.
Wer schnelle Informationen möchte, muss damit rechnen, dass sie sich verändern können.
Solche Lagen seien auch für die Pressestelle fordernd, sagt Abeln. Während Medien bereits berichten, will die Polizei gesichert informieren. „Wir wissen teilweise nicht, wer noch behandelt oder notoperiert wird, wer verstorben ist oder schon entlassen ist.“ Angaben zu Opferzahlen seien deshalb schwierig. Kritik an der Kommunikation könne sie zwar nachvollziehen. Niemand wolle aber zuerst aus Medien erfahren, dass Ehefrau, Vater oder Kind verletzt oder getötet worden sind. „Viele verstehen nicht, dass wir als erstes Angehörige finden und informieren müssen. Da geht es auch um Rücksicht und Pietät“, sagt Abeln. „Als Polizei geben wir Informationen dann, wenn sie gesichert sind – nicht früher.“
Noch am Abend des 3. März leitet sie eine Pressekonferenz im Polizeipräsidium. Präsidentin Ulrike Schäfer, LKA-Präsident Andreas Stenger und der Leitende Oberstaatsanwalt Romeo Schüssler sprechen von einer psychisch motivierten Tat, halten ein politisches Motiv für unwahrscheinlich. Tags darauf werden rechtsextreme Verbindungen des Festgenommenen bekannt – Kritik an der frühen Festlegung der Ermittler folgt.
Ob Abeln sich mehr Zurückhaltung auf dem Podium gewünscht hätte? „Statements sind immer Momentaufnahmen“, antwortet sie. „Ein Ist-Zustand“, der schnell überholt sein kann. „Wer schnelle Informationen möchte, muss damit rechnen, dass sie sich verändern können. Es sind Momentaufnahmen – unmittelbar nach der Tat, eine Stunde danach, fünf Stunden, vier Wochen danach. Das muss man wissen.“ Bis heute gehen die Behörden von einer psychisch begründeten Tat aus, worauf mehrere Indizien hindeuten.
Die Arbeit in der Stabsstelle kann ein Sprungbrett sein. Abelns Vorgänger Patrick Knapp ist heute Sprecher im Landesinnenministerium. Aber auch ohne Karriereleiter kann die Arbeit reizvoll sein. Pressesprecher sind bei nahezu allen Lagen und Besprechungen involviert. Die Stabsstelle organisiert auch interne Kommunikation oder externe Veranstaltungen wie den Blaulichttag.
Auch öffentlichkeitswirksame Ereignisse gehören dazu – etwa die Trauerfeier für Rouven Laur, der beim Messerangriff auf dem Marktplatz getötet wurde. Anschließend begleitete die Pressestelle mehrere aufgeladene Demonstrationen. „Das war eine herausfordernde Zeit“, erinnert sich Abeln an die Wochen vor einem Jahr.
Was bleibt, ist ein Job, der Nerven kostet, Geduld verlangt und Fingerspitzengefühl erfordert. Sabine Abeln weiß, dass ihre Worte Vertrauen schaffen können – oder Misstrauen nähren. In Zeiten wachsender Skepsis gegenüber Behörden ist ihre Aufgabe nicht nur, Informationen zu vermitteln, sondern auch den Umgang der Polizei mit Öffentlichkeit und Kritik nachvollziehbar zu machen. „Bei unseren Aufgaben gibt es manchmal einfach Grenzen bei der Kommunikation“, sagt sie. „Aber wir wollen zeigen, dass wir da sind, zuhören – und Verantwortung übernehmen.“
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