Mannheim. Gendern sorgt seit Jahren für Diskussionen: Die einen halten die Formulierungen wie „Lehrer und Lehrerinnen“ oder das Sternchen * beziehungsweise den Schrägstrich mit dem Zusatz „innen“ für überflüssig und umständlich, die anderen für wichtig und einfach zu benutzen. Wie es überhaupt zum Gendern kam und welche Erkenntnisse die Wissenschaft dazu hat, erfuhren Schüler des Ludwig-Frank-Gymnasiums in Mannheim bei einem Vortrag zum Thema „Genderinklusive Sprache im Deutschen: Zumutung, Herausforderung oder Notwendigkeit?“ mit anschließender Diskussion.
Autorin und Dozentin Carolin Müller-Spitze vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache betonte, dass es viele Meinungen zum Gendern gebe, jedoch auch viele wissenschaftliche Untersuchungen. Demnach lassen maskuline Personenbezeichnungen schneller an Männer als an Frauen denken. Beispielsweise wurde dies bei Sätzen wie „Alle Zuschauer überqueren den Gehweg.“ festgestellt.
Je nach Sprachvariante weniger Klicks bei Stellenanzeigen
Wissenschaftliche Arbeiten gibt es auch zur Bezeichnung von Berufen. Ergebnis: Mehr Mädchen können sich vorstellen, typische Männerberufe zu ergreifen, wenn zu ihrer Bezeichnung auch die weibliche Form verwendet wird. Die Professorin - eines ihrer eigenen Forschungsgebiete ist Genderlinguistik - nannte als weiteres Beispiel eine Online-Stellenbörse. Je nach Sprachvariante der Stellenanzeigen gebe es mehr oder weniger Klicks von weiblichen Nutzern.
Schule der Vielfalt
Elia Agnetta und Franziska Fritz sind die Vielfalts-Koordinatoren des Ludwig-Frank-Gymnasiums und haben im vergangenen Jahr ein Projekt realisiert, womit das LFG zur ersten „Schule der Vielfalt“ in Baden-Württemberg ernannt wurde. Das LFG setzt sich besonders für Toleranzförderung und gegen Diskriminierung gegenüber sexuellen Minderheiten ein, klärt darüber auf und organisiert Veranstaltungen dazu.
An der Schule gibt es den Seminarkurs „Queere Identität und Kultur“ , der mit dem Thema wissenschaftlich arbeitet und durch Seminararbeiten und Präsentationsprüfungen das mündliche Abitur ersetzt. Dieser und ein Deutschbasis-, ein Deutschleistungs- und ein Ethikkurs der Kursstufe 1 sowie die Vielfalts-AG der Schule haben an der Veranstaltung teilgenommen.
In der Deutschen Sprache gibt es das Genus : Es legt fest, ob ein Ding oder Wesen grammatikalisch sächlich, männlich oder weiblich ist. Dies ist unabhängig davon, welches Geschlecht das Wesen tatsächlich hat. Dagegen ist das semantische Geschlecht wie bei „das Mädchen“ im Wort beinhaltet. Beim Gendern geht es, so Carolin Müller-Spitzer, um das soziale Geschlecht , das nicht nur durch die Biologie definiert werde.
Auch zur Verständlichkeit des Genderns gebe es Untersuchungen. Ihr Fazit: „Das Wie scheint für die Verständlichkeit wichtiger zu sein als das Ob.“ Beispielsweise wurde folgender Satz von Lesern in Bezug auf Verständlichkeit schlechter bewertet als der gleiche ohne Gendern: „Jede Mannschaft schickt abwechselnd eine*n Angreifer*in – die*den sogenannte*n Raider*in – in die gegnerische Mannschaft.“ Mit anderen Worten: Die Sprache sollte möglichst einfach bleiben, beispielsweise durch die Wahl geschlechtsneutraler Worte wie Studierende.
Gleichwohl meint Müller-Spitzer: „Man würde auch nicht Nebensätze abschaffen, weil dadurch die Sprache verständlicher wird.“ Beim Gendern gehe es auch um Höflichkeit und Wertschätzung. Sprachliche Normen würden sich ständig wandeln. Diese stünden auch im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen, beispielsweise der Gleichberechtigung von Mann und Frau und Emanzipationsbewegungen.
Der Mann ist in der deutschen Sprache die Norm
Sie erklärte auch, dass in der deutschen Sprache der Mann die Norm und den positiven Maßstab bilde, beispielsweise bei Berufen, wo die Bezeichnung für Frauen nur abgeleitet ist: Der Architekt, die Architektin. Nur in Bereichen, die für Frauen wichtiger waren, sei es umgekehrt: Die Braut, der Bräutigam. Männer seien auch die Norm bei Redewendungen wie „Land unserer Väter“ oder Bezeichnungen wie „Brüderlichkeit“.
In der Diskussion meinte ein Schüler: „Ich glaube nicht, dass sich das Problem der Gleichberechtigung lösen lässt, wenn wir nur die Sprache ändern.“ Dazu bemerkte die Professorin: „Genderinklusive Sprache schafft keine Wirklichkeit, aber sie kann sie etwas justieren.“ Eine Schülerin sagte: „Gendern wurde mir von Lehrern schon mehrfach als falsch angestrichen. Würde es eher Sinn machen, neutral zu formulieren?“ Müller-Spitzer antwortete, dass sie es selbst unterschiedlich handhaben würde. Der Rat für deutsche Rechtschreibung sage, dass für die Bewertung, ob Gendern richtig oder falsch sei, die Schulpolitik zuständig sei.
„Gendern sollte jedem selbst überlassen sein“
Ein weiterer Schüler erklärte: „Beim Schreiben ist das Sternchen eine gute Idee. Aber beim Reden wird die Sprache oft zu komplex.“ Dazu meine die Wissenschaftlerin, dass sie das „innen“ nach kurzer Pause sagen würde: „Man sagt nicht Sternchen.“
Sie betonte, dass sie auf keinen Fall eine gesetzliche Regelung zum Gendern haben möchte. Es gäbe auch immer wieder die Behauptung, dass an Universitäten Studierende dazu gezwungen würden, zu gendern: „Das stimmt nicht!“ Für sie ist beim Gendern eine gegenseitige Toleranz wichtig: „Es sollte jedem selbst überlassen sein!“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-zumutung-herausforderung-oder-notwendigkeit-das-sagt-eine-gender-expertin-_arid,2316572.html