Mannheim. Sarah Reisingers Entschluss steht fest: Sie zieht weg aus der Innenstadt. „Seit vier Jahren schlafen wir mit Ohrstöpseln, und selbst das hilft nicht“, sagt die 25-Jährige, die zusammen mit ihrem Freund im Quadrat F 1 wohnt. Der Lärm sei unerträglich, manchmal hupten Autofahrer 20 Minuten lang. „Einfach aus Spaß.“ Für sie kommt die Erste Innenstadtkonferenz zu spät.
Auf Einladung der Stadtverwaltung diskutierten am Samstag rund 240 Bürgerinnen und Bürger im Stadthaus über die Zukunft der Quadrate: einkaufen, arbeiten, wohnen, erleben - wie soll es weitergehen in den Innenstädten, die nicht mehr so selbstverständlich wie früher aufgesucht werden, weil die Kunden online shoppen gehen? Die sich durch den Klimawandel weiter aufheizen werden. Die nur wenig Grün zu bieten haben, weil ein Großteil der Flächen versiegelt sind. Die ein begrenztes Platzangebot haben, um das Auto, Fahrrad und der öffentliche Nahverkehr konkurrieren?
Es gibt also viel zu besprechen, und wie groß der Spagat ist, um alle Bedürfnisse gleichermaßen zu befriedigen, zeigen die zahlreichen Post-its, die kleinen bunten Klebezettel, die in den verschiedenen Workshop-Gruppen bald an den Stellwänden hängen. Die einen wollen Tempo 30, die anderen eine auf Fußgänger ausgerichtete Ampelschaltung, die einen monieren zugeparkte Gehwege, die anderen klagen, dass sie trotz Anwohnerparkausweis nur schwer einen Platz für ihr Auto finden. Lärm ist ebenso ein Thema wie Schmutz und dunkle Ecken, dem einen fehlen grüne Oasen, dem anderen kulturelle Angebote und Inhaber geführte kleine Boutiquen. Eine gute Erreichbarkeit der Quadrate ist für viele das A und O, andere wollen Autos - bis auf die der Anwohner - am liebsten aus dem Innenstadtbereich verbannen.
Am Ende, nach mehrstündigen Diskussionen und Impulsvorträgen, zieht Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) Bilanz: „Der große Erfolg eines solchen Formats ist, dass wir uns argumentativ auseinandersetzen und Verständnis entwickeln für die Interessen anderer.“
Förderprojekt des Bundes
Möglich wird das „Format“ durch eine Förderung des Bundesbauministeriums, das unter dem Titel „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ Kommunen bei Transformationsprozessen unterstützt. „FutuRaum“ hat die Stadt Mannheim ihr Projekt genannt, für das sie 2,5 Millionen Euro aus dem Fördertopf erhält, 850 000 Euro steuert sie selbst bei. Dabei besteht der FutuRaum aus mehreren Teilprojekten - und eines ist die Innenstadtkonferenz. Der ersten jetzt wird im Herbst eine zweite folgen. „Die Ergebnisse fließen in Verwaltungshandeln ein“, verspricht Christian Hübel, Leiter des Fachbereichs Demokratie und Strategie der Stadt Mannheim. Nach der Zweiten Innenstadtkonferenz soll es eine Beschlussvorlage geben, die dem Gemeinderat vorgelegt wird. Darüber hinaus stellt Hübel „Quick Wins“ in Aussicht, Lösungen, die sich schnell umsetzen lassen.
Ein weiteres Teilprojekt ist die City Factory, hier sitzen ausgewählte Stakeholder, Vertreter von Interessensgruppen, die sich konkret mit der Fressgasse befassen. Ziel ist, eine gemeinsame Vorstellung von der „Fressgasse 2028“ zu entwickeln. Noch in diesem Sommer sollen dem Gemeinderat Handlungsempfehlungen präsentiert werden.
Zu den Akteuren, die bei der City Factory dabei sind, gehören die Industrie- und Handelskammer, die City-Werbegemeinschaft, Händler, Bürgervereine, der Migrationsbeirat, die Kunsthalle, das Eintanzhaus, Bezirksbeiräte. Dass die Diskussionen nicht einfach sind, räumt Petar Drakul ein. „Demokratie ist anstrengend, man muss dem anderen zuhören, auf seine Argumente eingehen und am Ende mit Ergebnissen zufrieden sein, die nicht zu hundert Prozent der eigenen Position entspricht“, sagt der Beauftragte für die Mannheimer Innenstadt, der die Gespräche in der City Factory leitet.
Aber wie sieht sie denn aus, die Fressgasse 2028? Nachhaltig, unverwechselbar, gut erreichbar, ein „Wohlfühlort“, präsentiert Drakul den Konferenzteilnehmern ein Zielbild. Mögliche Maßnahmen: Flächen entsiegeln, Fassaden begrünen, das gastronomische und kulturelle Angebot ausbauen, den Durchgangsverkehr verbieten.
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Was davon bis wann umgesetzt wird und ob sich das Konzept auf andere Quadrate übertragen lässt - darüber will die City Factory in den kommenden Monaten auf vier weiteren Sitzungen diskutieren. In einer maximalen Variante wird die Fressgasse zur Fußgängerzone, bei einer Minimallösung wird ein Tempolimit von 20 km/h eingeführt. Und dazwischen sind Straßensperren denkbar, wie es sie schon beim Verkehrsversuch gab.
Bereitschaft zur Veränderung
Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Innenstadtkonferenz ist die Bereitschaft für Veränderung jedenfalls da. So lautete die Bilanz eines Workshops, der sich mit dem Thema Mobilität befasst hatte: „Machen, machen, machen.“Für Christiane Preston, die in Neckarau wohnt, gehört dazu aber auch das mitmachen. „Wenn man als Bürger wie hier die Gelegenheit hat mitzugestalten, sollte man das nutzen“, sagt die 52-Jährige.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Für die Mannheimer Innenstadt muss man nicht schwarz sehen