Gesellschaft

Zahl der Bundesfreiwilligen in Mannheim knapp

Einige Einrichtungen können freie Stellen gerade noch so besetzen. Eine Mannheimer Schule hat für das kommende Schuljahr jedoch noch keine einzige Bewerbung für einen Bundesfreiwilligendienst bekommen

Von 
Sebastian Koch
Lesedauer: 
Symbolbild. Bis zu drei Bundesfreiwillige arbeiten jedes Jahr an der Mannheimer Hans-Zullinger-Schule - eigentlich. © Franziska Kraufmann

Mannheim. Für Andreas Pfeifer waren die Monate an der Hans-Zulliger-Schule prägend. Nach Online-Vorlesungen und Lockdowns, währendessen er seine Bachelorarbeit geschrieben hat, habe der Student der Volkswirtschaftslehre „wieder unter Menschen kommen“ wollen. Pfeifer unterbricht sein Studium und leistet an der Schule mit sonderpädagogischem Dienst in der Neckarstadt einen Bundesfreiwilligendienst.

„Ich wollte mich mal wieder wertgeschätzt fühlen und wieder eine Aufgabe haben.“ Eigentlich habe Pfeifer nur ein halbes Jahr an der Schule sein wollen. „Die Entwicklungen, die die Kinder gemacht haben, haben mich angespornt“, sagt er. „Es hat mir viel bedeutet, aus jedem Tag das beste zu machen und den Kindern etwas mit auf den Weg zu geben - egal, wie schwierig die Umstände sind.“ Pfeifer entschließt sich, das halbe Schuljahr zu einem Ganzen auszuweiten.

Über seine Pläne gesprochen hat Pfeifer mit Jutta Sahner, der Leiterin der Hans-Zulliger-Schule. Die Schule ist eine von landesweit neun öffentlichen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. „Wir versorgen normal- oder hochintelligente Kinder, die wegen ihres Verhaltens und ihrer sozial-emotionalen Entwicklung in einer allgemeinen Schule nicht Fuß fassen könnten“, erklärt Sahner. „Um die Kinder zu betreuen, läuft vieles über zwischenmenschliche Beziehungen.“

Bis zu drei Bundesfreiwillige arbeiten jedes Jahr an der Schule - eigentlich. „In diesem Jahr haben wir noch keine Bewerbung erhalten“, erklärt sie. „Es tut sich nichts.“ Das habe sie auch von Kolleginnen und Kollegen in anderen Städten gehört.

Mehr zum Thema

Kommentar Der Bundesfreiwilligendienst braucht ein neues Image!

Veröffentlicht
Kommentar von
Sebastian Koch
Mehr erfahren
Morgenupdate

Die Nachrichten am Morgen für Mannheim und die Region

Veröffentlicht
Von
sapo
Mehr erfahren

Die Bundesfreiwilligen unterstützen an der Hans-Zulliger-Schule vor allem in den unteren Klassen Lehrkräfte, etwa wenn Kinder das Zimmer verlassen müssen, um sich mit Spielen oder Gesprächen zu beruhigen. Die Beziehung zwischen einem Kind zu einem jungen Erwachsenen sei eine andere als zu einem Lehrer oder einer Lehrerin. „Wir dürfen mit Bundesfreiwilligen keine Lehrkraft ersetzen“, stellt die Schulleiterin klar. „Es geht aber darum, auch mit ihrem Einsatz eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.“

Zwar habe Sahner bemerkt, dass Bewerbungen sie zuletzt immer später erreicht haben - dass es Mitte August, also nur noch wenige Wochen vor dem Start des Schuljahrs, aber noch gar keine Interessenten gibt, das habe sie noch nie erlebt, sagt sie. Auch Stefanie Paul beobachtet, dass es schwieriger wird, Bundesfreiwillige zu finden. „Wir konnten die Stellen bislang zwar immer besetzen, aber in der Regel immer wesentlich später als noch vor ein paar Jahren“, erklärt die Abteilungsleiterin Arbeit, Migration, Soziales der Caritas Mannheim. „Vor Jahren haben wir auswählen können, wen wir nehmen - jetzt nehmen wir den, der kommt, weil es keine Auswahl gibt.“

Unterschiede zum FSJ

  • Ein Bundesfreiwilligendienst (BFD) dauert wie ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) sechs bis 18 Monate, in Ausnahmen bis zu zwei Jahren.
  • Ein BFD ist mehrfach möglich, aber prinzipiell nicht im Ausland (anders als das FSJ).
  • Im Gegensatz zum FSJ (bis 27 Jahre) gibt es beim BFD nach oben keine Altersgrenze.

Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem das zuständige Bundesamt angegliedert ist, bestätigt man den Eindruck nicht, dass es immer weniger Interessierte am Freiwilligendienst gibt. Die Zahlen seien seit Jahren „relativ konstant“, erklärt eine Sprecherin. Zwar habe es eine „kleine Corona-Delle“ gegeben, dennoch gebe es noch immer mehr Interessierte als Stellen. Zahlen aus diesem Jahr lägen allerdings noch nicht vor.

In Mannheim bieten auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Stadtverwaltung Bundesfreiwilligendienste an. Das DRK setze die aber nur in Tafeln ein. „Sehr viele Anfragen“ würden sich allerdings um den Rettungsdienst drehen, heißt es. „Viele Interessierte entscheiden sich dann für ein FSJ in diesem Bereich.“ Neben den Interessierten für ein Freiwilliges Sozialen Jahr (FSJ) könne das DRK für die Bundesfreiwilligendienste bestätigen: „Interessenten und Bewerbungen gehen zurück.“ Die Stadt könne indes alle Stellen besetzen. „Die Bewerberzahlen sind aber zurückgegangen“, erklärt ein Sprecher.

Persönlicher Nutzen

Stefanie Paul von der Caritas fürchtet, dass weniger Freiwillige bedeuteten, „dass wir weniger Menschen in die soziale Arbeit bringen“. Möglichkeiten, junge Menschen zu begeistern, fehlen. „Wenn wir aber Bundesfreiwillige haben, sind die in der Regel sehr zufrieden.“

Diesen Eindruck teilt Jutta Sahner. „Von den neun Freiwilligen, die wir in den letzten drei Jahren gehabt haben, haben anschließend sieben Sonderpädagogik in dem Fachbereich studieren wollen.“ Sollten sich für das Schuljahr keine Bundesfreiwilligen mehr finden, müsste die Direktorin den Betrieb vor allem in der ersten Klasse „total umstrukturieren“, sagt sie. „Es wäre sowohl für uns als Schule als auch für junge Menschen schade, wenn wir keinen Bundesfreiwilligen finden.“ Interessierte könnten sich mit einer Mail an jutta.sahner@zulliger-schule.de melden.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Für Andreas Pfeifer hatte der Freiwilligendienst weitreichende Auswirkungen. Den Master hat er nicht begonnen, sondern sich stattdessen um ein Studium der Sonderpädagogik beworben. Der Freiwilligendienst habe ihm neue Perspektiven aufgezeigt. „Man sieht Zahlen und kennt Statistiken, aber kann sich doch nichts darunter vorstellen“, sagt er. „Man lernt im Bundesfreiwilligendienst Dinge, die man vorher nicht hat wissen können.“

Indes appelliert Paul daran, einen Rückgang „nicht der Verrohung der Jugend“ zuzuschreiben. Es gebe viele Jugendliche, die sich sozial oder politisch engagieren. „Vielleicht müssten wir das Jahr anders bewerben“, schlägt sie vor. „Es wäre legitim zu sagen: ,Ein Bundesfreiwilligendienst oder FSJ bringt nicht nur uns etwas, sondern auch du hast einen Nutzen, kannst dich entwickeln und Kontakte knüpfen.’“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen