Jugendkulturzentrum - Workshops für Schüler sollen helfen, mit absurden Lügengeflechten umzugehen / Jugendliche können Klassenkameraden ab Juni ausbilden

Wie sich Teenager vor Verschwörungstheorien schützen können

Von 
Lisa Uhlmann
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Glaube an alternative Fakten ist oft stärker als wissenschaftliche Argumente: Teilnehmer einer „Querdenker“-Demo im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses. © Dieter Leder

Mannheim. Menschliche Organe, die in Schweinen herangezüchtet werden. Und eine reiche Oberschicht, die sich solche Organe einfach kaufen kann. Die Unterschicht aber geht – wie so oft – leer aus. Ist das nun wirklich wahr oder doch alles erfunden? Während der eine Teil der 15 Schüler die „Erleuchteten“ vertritt und die Verschwörungstheorie verteidigen soll, müssen die anderen, die „Kritiker“, dagegenhalten.

Die Idee hinter dieser Übung: Wer einmal selbst eine Verschwörungstheorie kreiert hat, dem fällt es später leichter, komplexe Lügengeflechte als solche zu erkennen. „Wir wollen die Jugendlichen bestärken, selbstbewusster dagegen zu handeln. Denn gerade in Diskussionen mit Erwachsenen werden sie oft nicht ernst genommen“, sagt Nadja Kaiser, Expertin für Antirassismustrainings und Workshops für Erwachsenenbildung.

Workshops und Anlaufstellen für Betroffene

  • Die Workshops werden per Zoom ausgerichtet und sind auf das Onlineformat ausgelegt. Die ausgebildeten Jugendlichen vermitteln ihr Wissen in einem dreieinhalbstündigen Workshop ihren Klassenkameraden. Das Projekt wird von der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Jugendbildung Baden-Württemberg und der Landeszentrale für politische Bildung im Rahmen des Landesprogramms „Demokratie stärken“ unterstützt.
  • Das Angebot richtet sich an Klassen ab Stufe 9, die sich im Wechselunterricht befinden. Das Angebot kann ab Juni gebucht werden. Kontakt: frank.degler@forum-mannheim.de
  • Anlaufstellen und Hilfe: Mobile Beratung gegen rechts: Informationen und Analyse, Monitoring, Bildungsformate.
  • Zielgerichtete Unterstützung bei Antisemitismus gibt es beim regional spezialisierten Beratungsprojekt vom Verein OFEK: https://ofek-beratung.de/bawue 
  • Beratung für Menschen, die Orientierung auf dem Markt der Weltanschauungen suchen, bietet die Beratungsstelle Zebra vom baden-württembergischen Kultusministerium: https://zebra-bw.de 
  • Beratungsstelle Leuchtline hilft Betroffenen von rechter Gewalt: https://www.leuchtlinie.de 
  • Meldestelle für Hetze im Netz: Demokratiezentrum Baden-Württemberg – respect! 

Mit ihrer Kollegin Lena Schmidt hat sie im Auftrag des Jugendkulturzentrums Forum einen kostenlosen Online-Workshop für Jugendliche zusammengestellt. Das Ziel: Sie sollen danach ihr neues Wissen im Unterricht an Klassenkameraden weitergeben – und im besten Fall ein Bewusstsein dafür schaffen, wie gefährlich solche Theorien sind, wie man sie erkennt und Anhängern am besten begegnet. „Je mehr junge Menschen sich damit auskennen, desto eher gelingt es, die Schweigespirale zu brechen, die in sozialen Medien herrscht, wenn etwa Corona-Leugner lautstark mobil machen“, sagt Projektleiter Frank Degler vom Forum. Aber interessieren sich die Teenager überhaupt für solche Verschwörungstheorie? Und wenn ja, warum wollen sie sich dagegen einsetzen?

Diskussion mit Lehrern und Eltern

„Solche Mythen sind kein Nischenthema mehr. Im Gegenteil: Sie dienen in der Krise als Rettungsanker. So etwas beginnt im Kopf und endet im schlimmsten Fall mit Gewalt wie im Fall der Pizzagate-Affäre“, sagt der 18-jährige Liam vom Bach-Gymnasium. Schülerin Johanna pflichtet ihm in der digitalen Workshoprunde bei: „Solche Verschwörungstheorien verhärten die Fronten, bremsen den Dialog und sind gefährlich für die Demokratie.“

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Tatsächlich berichten die Jugendlichen, die vom Bach-Gymnasium, Geschwister-Scholl-Gymnasium, der Friedrich-List-Schule und dem Hebel-Gymnasium in Schwetzingen kommen, auch von ihren Erfahrungen, die sie mit Coronaleugnern oder Anhängern von Verschwörungstheorien gemacht haben: Da ist der Lehrer, der im Unterricht keine Maske tragen will, sich weigert, einen Corona-Test zu machen. Die Tante am Telefon, die behaupt, dass die Regierung eine Diktatur errichten will und es kein Virus gibt. Gespräche mit der Mutter oder der Familie eines Freundes, die Sätze sagen wie: „Impfen ist der Seelentod, lass dich nicht impfen“, oder „Warum ziehst du einen Maulkorb im Treppenhaus an?“ – „Solche Theorien von Erwachsenen zu hören ist sehr schockierend für Jugendliche, denn eigentlich sind sie ja die richtungsweisende Instanz“, sagt Projektleiter Degler. Im Workshop lernen die Schüler deshalb, solche Gespräche selbst zu gestalten – und sinnlosen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Oder den Mut zu fassen, sich dagegenzustellen, Grenzen zu setzen und sich Hilfe von anderen zu holen. „Gerade wenn Schüler ihre Lehrer auf das Maskentragen hinweisen müssen, entsteht ein Machtgefälle. Der Wunsch war groß, mit uns solche Situationen durchzusprechen und herauszufinden, wie man damit am besten umgeht“, erklärt Workshopleitern Schmidt. Denn die Schüler hätten etwa Angst, schlechte Noten zu erhalten. Dafür zeigen die Workshopleiterinnen Auswege auf: Schüler können sich als Klasse zusammenschließen und gemeinsam dagegenhalten oder sich an offizielle Stellen wenden wie die Schülervertretung. Was die Expertinnen noch mit auf den Weg geben: Logisches Gegenargumentieren oder eine Theorie sogar entlarven zu wollen, führt bei Anhängern von Verschwörungstheorien oft zu nichts.

Denn hier gehe es um Glaube, nicht Wissen. Wer mit Fakten gegen solche Überzeugungen ankämpfe, bewirke nur, dass sich die Anhänger noch stärker in ihr Glaubensgebäude zurückzögen. Der Rat der Expertinnen: sich ein realistisches Ziel setzen. Denn das Weltbild einer Person lasse sich nicht durch eine Diskussion umwerfen. Vielmehr lohne es sich, nachzufragen: Welche Folgen hat dieser Glaube für andere, wer wird dadurch gefährdet?

Egal ob Pizzagate, Chemtrails, Eidechsenmenschen oder die Q-Anon-Bewegung – am Ende des Workshops sind die Jugendlichen gerüstet, um nicht mehr auf solche Verschwörungstheorien hereinzufallen. Schließlich wissen alle am Ende: Die Sache mit den menschlichen Organen in Schweinen für die Oberschicht ist natürlich erfunden.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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