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Wenn der beste Faktencheck am Verschwörungsglauben scheitert

Von 
Stefanie Ball
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Die angebliche Lüge leugnen: Schriftzüge an einer Wand in einer Offenbacher Unterführung. © Frank Rumpenhorst/picture alliance/dpa

Die Thesen der Corona-Leugner sind immer die gleichen: Es gibt weltweit keine Übersterblichkeit. Das Gesundheitssystem war nie überlastet. Das menschliche Immunsystem braucht Kontakte. Es ist wahrscheinlicher, starke Nebenwirkungen der Impfung zu bekommen als die Covid-19-Erkrankung. Hunderttausende Menschen sterben weltweit durch die Corona-Maßnahmen. Warum spricht niemand darüber? Wann stellt ihr die richtigen Fragen? So steht es auf einem Flyer eines ominösen „Corona-Ausschusses“, den dieser Tage jeder ungefragt im Briefkasten finden kann.

So argumentieren diejenigen, die unter dem vermeintlich harmlosen Anspruch, „Querdenker“ zu sein, auf der Straße demonstrieren. So wird es in einschlägigen Gruppen in den sozialen Medien verbreitet. Widerspruch ist zwecklos.

Denn was die „richtigen“ Fragen sind, entscheiden die Fragenden selbst. So warnt der Tübinger Amerikanistik-Professor und Experte auf dem Gebiet der Verschwörungsmythen, Michael Butter: „,Wir fragen nur’ ist das Mantra überzeugter Verschwörungstheoretiker in der Gegenwart und sollte einen nicht täuschen.“ Anders als vor 150 Jahren, als quasi jeder an irgendeine Verschwörungserzählung glaubte, erfuhren solche Mythen seit den 1960er Jahren eine Stigmatisierung und wanderten aus der Mitte der Gesellschaft an die Ränder. Das lasse, so Butter, Verschwörungstheoretikern zwei Optionen: „Sie können ganz offensiv diese Theorien vertreten oder sie können vorgeben, dass sie ja nur Fragen stellen.“

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Ergebnisoffen sind die allerdings nicht, in der Regel führen sie auf ein bestimmtes Ziel hin, und das heißt nicht, dass das Coronavirus eine potenziell tödliche Bedrohung darstellt und der einzige Weg aus der Pandemie über die Impfung führt. Bis dahin bitte Abstand halten, Mundschutz tragen, Kontakte beschränken. Diese Wahrheiten prallen am Gedankengebäude der Verschwörungstheoretiker ab.

Rat zur Zurückhaltung

„Jeder, der widerspricht, ist entweder verblendet oder Teil der Verschwörung“, erklärt die österreichische Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig, warum der beste Faktencheck das Gegenteil bewirken kann, nämlich dass sich die Verschwörungsgläubigen bestätigt sehen. Denn, so lautet ihre einfache wie absurde Argumentation: Je mehr Fakten, desto tiefer muss die Verschwörung sein!

Brodnig, die sich schon vor der Coronakrise mit Fake News (Falschnachrichten) sowie Hass und Hetze im Internet befasst hat, geht in ihrem neuen Buch „Einspruch“ der Frage nach, wie mit Freunden, Verwandten, Kollegen umgegangen werden sollte, die sich plötzlich zu kruden Thesen versteigen. Selbst wenn man angesichts des allergrößten Humbugs am liebsten ausrufen würde „Hey, du bist ein Covidiot“, rät sie zur Zurückhaltung: „Meine erste Frage ist immer: ,Wie meinst du das?’ Es kann sein, dass man innerhalb von drei Minuten mitten in den wildesten Vorstellungen ist, eine dunkle Macht wolle die Bevölkerung unterjochen und gesteuert werde das Ganze von Bill Gates.“

Doch dann gebe es auch Leute, die erzählten, sie hätten etwas in einem Video gesehen und das habe sie verunsichert. „In solchen Fällen ist es womöglich leichter, zu den Menschen durchzudringen.“ Trotzdem: Wer Corona-Leugner bekehren wolle, brauche Geduld: „Wenn einem jemand nicht sofort zuhören will, heißt das nicht, dass es nie wieder klappt, aber dann muss man seine Ziele im Gespräch ziemlich anpassen. Man sollte in einem solchen Fall nicht glauben, dass mit drei, vier eloquenten einfühlsamen Sätzen das Problem gelöst ist. Dann ist es vielleicht ein längerer, doch ungewisser Weg“, weiß Brodnig, die auf einer Reihe von Corona-Demonstrationen war und feststellen musste, wie normal dort alle aussehen.

„Ich war erschreckt, wie breit das in die Bevölkerung reingeht. Dass dort Leute stehen, die ein halbes Jahr vorher nicht für so etwas auf die Straße gegangen wären. Das könnten meine Nachbarin oder meine Tante sein.“ Gerüchte und Desinformation sind allerdings kein Phänomen der Coronakrise. „Wir haben früher nur nicht so viel darüber geredet“, sagt Brodnig. In der Tat liegt die Zustimmungsrate zu Verschwörungserzählungen in Deutschland bei 25 bis 30 Prozent, der Weg zum „Querdenker“ ist da nicht weit. Während es aber erst einmal ungefährlich ist, die Mondlandung anzuzweifeln oder zu glauben, dass Flugzeuge Chemikalien am Himmel versprühen, gefährden Corona-Leugner sich und andere. Die Thesen, so abstrus sie klingen, sollten also ernst genommen werden. So hat auch das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Website „Zusammen gegen Corona“ einen eigenen Punkt „Impfmythen“ eingerichtet.

Dort werden Fragen aufgegriffen wie die, ob eine Covid 19-Impfung Frauen unfruchtbar machen könne. Oder ob es denn stimme, dass in Impfstoffen Mikrochips enthalten seien. Nein, natürlich nicht!

Infos zum Buch:
Ingrid Brodnig: "Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern - in der Familie, im Freundeskreis und online"
erscheint im Brandstädter Verlag und kostet 20 Euro.

Freie Autorin

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