Ahmad Mansour
- Ahmad Mansour wurde am 2. Juli 1976 in Israel geboren. Er ist seit 2004 in Deutschland und hat seit 2017 auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
- Der deutsch-israelische Psychologe, Autor und Islamismusexperte lebt in Berlin.
- Im September 2022 erschien sein Buch „Operation Allah. Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will“ im S. Fischer Verlag.
Mannheim. Herr Mansour, Sie waren mal ein Antisemit, wie haben Sie sich von Ihrem Hass befreit?
Ahmad Mansour: Das war ein Prozess, der Jahre gedauert hat. Die Medizin, die mich von meinem Hass befreit hat, war die Begegnung mit den Juden. Ich bin zwar in Israel groß geworden, doch wir Araber lebten in unserem kleinen Dorf in einer Parallelwelt und wollten mit dem Feind nichts zu tun haben. Durch mein Studium und meine Arbeit in Tel Aviv konnte ich die Juden kennenlernen. Ich habe erfahren, dass das, was mir meine Eltern, Großeltern und Lehrer erzählt haben, nicht gestimmt hat. Ich habe dadurch gelernt, wie wichtig es ist, sich eine eigene Meinung zu bilden. Irgendwann konnte ich mich dann von meinem Hass befreien.
Es war also der Kontakt zu den Menschen, der Sie geheilt hat?
Mansour: Absolut. Es gibt nur eine Möglichkeit, Vorurteile gegen andere Menschen abzubauen. Und das ist die Begegnung. Das ist mir übrigens später ein zweites Mal passiert.
Wann?
Mansour: Als ich 2004 nach Deutschland ging, stieß ich in Berlin-Neukölln auf viele Araber. Dort fühlte ich mich anfangs wohl. Sie wissen: dieselbe Sprache, dasselbe Essen, dieselbe Kultur. Da habe ich sehr schnell Vorurteile gegen die Deutschen entwickelt. Ich habe dann Neukölln verlassen …
… lassen Sie mich raten, um mehr mit Deutschen in Kontakt zu kommen.
Mansour: Genau. Dadurch habe ich erfahren, dass die Deutschen eben nicht alle gleich, sondern unterschiedlich sind. Wenn wir Vorurteile abbauen wollen, darf es keine Ghettos geben. Die Menschen müssen sich überall begegnen können.
Sie leben jetzt ja schon lange in Deutschland. Wie haben Sie denn die Ausbreitung des Antisemitismus wahrgenommen?
Mansour: Wenn wir über Antisemitismus sprechen, dann dürfen wir nicht erst 2004 oder 2015 beginnen. Der Antisemitismus hat schon seit Hunderten von Jahren in Deutschland Tradition mit dem Holocaust als Höhepunkt.
Das ist mir auch klar.
Mansour: Zurück zu Ihrer Frage: Ich habe 2004 eine Gesellschaft vorgefunden, in der die Antisemiten sich leise ausgedrückt haben. Wenn ich aber im Gespräch gesagt habe, das ich ein Palästinenser bin, haben die gleich davon angefangen, wie schrecklich die Zustände in Israel wären, dass dort den Palästinensern dasselbe passieren würde, was damals Hitler mit den Juden gemacht habe. Und dann haben sie vom Einfluss der Juden in Europa gesprochen. Aber halt alles hinter vorgehaltener Hand und nicht öffentlich.
Das hat sich seitdem aber doch stark geändert, oder?
Mansour: Natürlich. Die Antisemiten treten heute viel selbstbewusster auf. Das hat mit den Krisen und den sozialen Medien zu tun. Die Spinner waren früher unter sich, waren wenige, hatten kaum Einfluss und wurden nicht überall gehört. Heute können sie sich im Internet austauschen und ihren Hass ungestört verbreiten. Ich erlebe das bei den Islamisten in der muslimischen Community, den Querdenkern und den Rechtsradikalen, die mit der AfD mittlerweile auch eine Partei im Bundestag haben. Und ich erlebe das bei den Linksradikalen, die mit der BDS eine Boykottbewegung gegen Israel installiert haben. Ich hätte mir 2004 nicht vorstellen können, dass der Antisemitismus sich in Deutschland so stark verbreitet.
Sind die Verschwörungsmythen das einigende Band für die Antisemiten, die ja aus völlig verschiedenen Milieus stammen?
Mansour: Ja schon. Natürlich ist nicht jeder Corona-Leugner automatisch ein Antisemit. Wer aber behauptet, dass Israel oder der jüdische US-Milliardär George Soros das Coronavirus verbreitet haben, schürt natürlich antisemitische Ressentiments. Extremisten verbreiten immer Verschwörungsmythen und heizen damit den Antisemitismus an. Es sind dann immer die Juden, die hinter allem stehen und das Elend in der Welt verbreiten. Wir sollten aber keine rationale Erklärung für den Antisemitismus suchen. Denn die gibt es nicht. Antisemitismus existiert seit 5000 Jahren. Wenn wir uns die Frage stellen, warum das so ist, werden wir keine befriedigende Antwort finden. Hitler hat mit dem Islamisten Amedy Coulibaly kaum etwas gemeinsam, der 2015 in einem Supermarkt in Paris vier Juden ermordete. Und dennoch haben sie alle etwas gemeinsam: Sie suchen ein Feindbild und finden es meistens bei den Juden.
Wie groß ist die Sprengkraft des Antisemitismus für unsere Demokratie in Deutschland?
Mansour: Freiheit und Demokratie sterben nicht über Nacht. Das ist eine schleichende Gefahr. Wir müssen aber der nächsten Generation die Botschaft auf den Weg geben, die uns die Geschichte gelehrt hat: Es darf nie wieder Gewalt gegen Juden geben. Es reicht aber nicht, wenn wir das immer nur herunterbeten. Der Antisemitismus verbreitet sich schon jetzt sehr stark. Wenn ein bestimmter Punkt überschritten wird, würde unser Fundament zerstört. Ich finde, dass die „Nie wieder“-Bekenntnisse bei uns zur Folklore geworden sind. Was hilft es, wenn deutsche Politiker den Antisemitismus am Holocaust-Gedenktag geißeln und sich dann mit den Mullahs in Teheran treffen, die den Staat Israel am liebsten auslöschen würden.
Sie werfen vielen Muslimen vor, sie würden den Antisemitismus nach Deutschland importieren. Ist das vor dem Hintergrund, dass wir Deutschen sechs Millionen Juden ermordet haben, nicht schräg?
Mansour: Ich sehe da keinen Widerspruch, weil beides stimmt und weil die Realität mehrdimensional ist. Denn Antisemitismus ist ja herkunftsübergreifend. Es gibt den klassischen deutschen Antisemitismus und es gibt eben auch Antisemitismus, der von Muslimen importiert wurde und gepflegt wird. Und ich arbeite ja in einem Bereich, der sich mit Jugendkultur und Muslimen beschäftigt. Ich beschäftige mich mit den Themen Islamismus und Integration. Und natürlich verallgemeinere ich auch nicht. Ich bin ja selbst ein Muslim, der sich vom Antisemitismus befreit hat. Ich kenne Syrer, Iraner, Iraker und Afghanen, denen es genauso geht oder gegangen ist wie mir. Aber trotzdem gibt es viele Leute, die zu uns kommen, die anders sozialisiert sind und nicht über den Antisemitismus nachdenken, sondern in einem System aufgewachsen sind, in dem der Staat selbst den Hass auf die Juden schürt.
Sind die Islamisten gefährlicher als die Rechtsextremisten?
Mansour: Wir sollten uns auf diese Frage nicht einlassen. Ein einzelner Attentäter kann ja schon das ganze Land verunsichern. Das haben wir in Halle gesehen. Dieses Verbrechen hat uns doch wieder einmal vor Augen geführt, wie gefährlich das Leben für die Juden in Deutschland sein kann. Sie sind offenbar nicht einmal an ihrem höchsten Feiertag in einer Synagoge sicher. Auch wenn der Attentäter in Halle kein Muslim war, haben wir eine mehrdimensionale Bedrohungslage. Wir haben Links- und Rechtsradikale und Islamisten. Und alle können unsere Freiheit und Sicherheit gefährden.
Ist für Sie jemand, der die Besetzung des Westjordanlands durch Israel kritisiert, ein Antisemit?
Mansour: Nein. Ich bin in Israel sehr links sozialisiert worden, und ich bin für die Zwei-Staaten-Lösung und gegen die Siedlungspolitik Israels. Die Hälfte der Israelis sieht das auch so. Es gibt aber ein Problem, wenn ich mit dem Finger nur auf Israel zeige und es allein für die Situation verantwortlich mache. Und wenn ich den Terror der Palästinenser verharmlose und die Realität und die Komplexität, mit denen der Staat Israel seit seiner Existenz zu kämpfen hat, ausblende und nicht in der Lage bin, ebenfalls die Palästinenser für ihren Hass zu kritisieren und dafür, dass ihre Politik eine Zwei-Staaten-Lösung bewusst mehrfach verhindert hat, um die eigene Opferrolle weiterhin zu zelebrieren.
Der Nahost-Konflikt ist nach Ihrer Einschätzung also nicht die Ursache des Antisemitismus?
Mansour: Ich glaube mittlerweile fest, dass der Antisemitismus die Ursache des Nahost-Konflikts ist und nicht umgekehrt. Es gibt aber inzwischen auch viele Muslime im Nahen Osten, darunter auch Palästinenser, die mit dem Antisemitismus und dem Hass nichts mehr zu tun haben wollen und die Realität dort viel differenzierter betrachten als viele Europäer, die meinten, von hier aus den Juden in Israel vorschreiben zu können, wie sie im Nahen Osten zu überleben haben.
In Deutschland gilt die Boykottbewegung BDS per Bundes- tagsbeschluss als antisemitisch. Sehen Sie das auch so?
Mansour: Auch wenn ich kein Freund von Pauschalurteilen bin, muss ich leider festhalten, dass die BDS-Bewegung massive antisemitische Züge hat. Die Kampagne vergleicht ja das Leben der Palästinenser mit dem früheren Apartheid-System in Südafrika. Ich habe als arabischer Palästinenser, also als jemand, der zu einer Minderheit in Israel gehört, keine Apartheid erlebt. Im Gegenteil: Ich habe in Israel Karriere gemacht und wurde nie diskriminiert. Viele Araber leben in Israel viel freier und haben eine bessere Lebensqualität als in den meisten arabischen Ländern. Die BDS gibt mit ihrer Kampagne aber Israel die alleinige Schuld an allem. Israel wird dämonisiert, delegitimiert und mit Doppelstandards betrachtet. Wenn ich sage: „Israel ist ein Apartheid-Staat“, ist das Unsinn und ein einseitiges politisches Statement. Die Kampagne setzt aber bewusst das aus der Geschichte bekannte alte Narrativ ein: „Kauft nicht bei Israelis, kauft nicht bei Juden, ladet sie nicht zur documenta ein.“ Das ist doch der klassische Antisemitismus.
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