Mannheim. Die Glocken der nahen St. Peter- und Paul-Kirche ertönen, als Kantor Amnon Seelig das Jüdische Totengebet spricht – ein ökumenisches Zeichen für diesen besonderen Moment. In der Feudenheimer Talstraße, ihrem letzten Wohnort, sind zwei Stolpersteine verlegt worden, die an das von den Nationalsozialisten ermordete Ehepaar Hermann und Selma Kahn erinnern. Insgesamt kommen jetzt in Mannheim an zwei Tagen 32 neue Stolpersteine dazu – als Erinnerung an Opfer der Diktatur und Mahnung für nachfolgende Generationen.
„Es sind Zeichen gegen Gewalt, Zeichen gegen Nationalismus, gegen Rechtspopulismus und Zeichen für den Frieden, die wir gerade in der jetzigen Zeit dringend brauchen“, so Rolf Schönbrod vom überwiegend von den Naturfreunden getragenen, etwa ein Dutzend Aktive zählenden Arbeitskreis, der diese kleinen Steine mit großer Bedeutung verlegt. Weltweit sind es schon 200 000 der speziellen Pflastersteine, bei denen auf Messingblech Namen sowie Lebensdaten und Orte von Opfern des Nationalsozialismus graviert sind.
„Wir kommen wieder“
Die zwei Steine in Feudenheim tragen die Namen des Viehhändlers Hermann Kahn, 1878 geboren, und seiner Frau Selma, geborene Marx, 1886 geboren. Ihre beiden Kinder hatten es noch geschafft auszuwandern, als der Terror der Nazis gegen die Juden begann. Aber das Ehepaar Kahn ist 1940, wie nahezu allen badischen und pfälzischen Juden, in das Lager Gurs in den Pyrenäen deportiert, dann 1942 über Paris ins Konzentrationslager Auschwitz gefahren und dort umgebracht worden. „Sie sassen im selben Zug, aber ob sie sich noch mal gesehen haben, weiß man nicht“, so Alois Putzer, Vorsitzender des Vereins für Ortsgeschichte Feudenheim.
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Für sein Buch „Auf den Spuren der jüdischen Mitbürger Feudenheims“ hat er die Biografien und Schicksale der jüdischen Einwohner des Stadtteils recherchiert und nun auch initiiert, mit Stolpersteinen die Erinnerung an sie wachzuhalten. Geplant waren daher noch viel mehr der Mini-Mahnmale, aber sie konnten nicht alle rechtzeitig produziert werden. „Aber wir kommen wieder“, so das Versprechen von Rolf Schönbrod. Die Jüdische Gemeinde ist dankbar dafür. „Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, was passiert ist, denn es darf nie wieder passieren“, betont daher der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Benny Salz, den Satz des Schriftstellers Primo Levi (1919–1987): „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Die Stolpersteine seien „eine gute Idee, weil sie Bewusstsein schaffen“ und die Namen der Opfer dort präsent hielten, wo die Menschen zuletzt lebten. „Ich habe kein Problem damit, dass da dann jemand darüber läuft – ich bin da anderer Meinung“, widerspricht Salz damit auch der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde München, die Stolpersteine daher ablehnt.
Mit deren Position konfrontiert ihn eine Schülerin, ist die Feudenheimer Stolperstein-Verleihung doch zugleich eingebettet in ein Projekt des Deutsch-Türkischen Instituts für Arbeit und Bildung mit Schülern der Marie-Curie-Realschule und der Friedrich-List-Schule. „Wir suchen nach Möglichkeiten, Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft aufrechtzuerhalten“, erläutert Projektkoordinatorin Gizem Weber. Mit ihrer Kollegin Gülsah Alkaya-Saunders und den Schülern erarbeitet sie das Leben von vier nach Gurs verschleppten Kindern, das dann bei einer Gedenkveranstaltung am 9. November präsentiert werden soll.
Südmauer als Gedenkstätte
„Ich finde toll, dass sich Jugendliche damit beschäftigen – gerade in Zeiten, in denen es auch wieder mehr Antisemitismus gibt“, dankt ihnen Alois Putzer an der Gedenkstätte der Feudenheimer Synagoge in der Neckarstraße. Mit Amnon Seelig führt er sie da in das Leben der einst großen Jüdischen Gemeinde im Stadtteil ein. „Juden waren in Feudenheim stark integriert, es gab viele Freundschaften, einige haben sogar noch aus dem Lager Gurs Briefe nach Feudenheim geschrieben“, weiß er. Doch 1938 zündeten die Nationalsozialisten die 1819 errichtete Synagoge an. Die Ruine wurde 1962 abgetragen – bis auf die Südmauer, die 1965 seit Gedenkstätte ist. „Als die Synagoge brannte, durfte sie nicht gelöscht werden“, so Putzer über die Geschehnisse im November 1938. „Die Lehrer der benachbarten Schule standen am Fenster und warnten die Schüler, dass das mit allen passiert, die gegen Hitler sind – und nach dem Krieg haben diese Lehrer dann behauptet, sie wären im Widerstand gewesen“, bemerkt Putzer kritisch: „Aber ihre Namen sind bekannt in Feudenheim!“
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