Krieg in der Ukraine - Martina Lenz und Chris Rihm koordinieren Helferinnen und Helfer in der Erstanlaufstelle für Geflüchtete / Schnittstelle zwischen Verwaltung und Ehrenamt

Wie Martina Lenz und Chris Rihm Mannheims ehrenamtlichen Helfern selbst helfen wollen

Von 
Sebastian Koch
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Kümmern sich um die Anliegen all derer, die sich für Geflüchtete ehrenamtlich engagieren: Martina Lenz und Chris Rihm vor dem Thomashaus in Neuhermsheim. © Thomas Tröster

Mannheim. Martina Lenz und Chris Rihm sitzen auf einer Bank vor dem Thomashaus in Neuhermsheim. Immer wieder laufen Menschen an ihnen vorbei. Manche haben Koffer dabei, andere schlendern in Shirts über die Terrasse. Viele grüßen. Mal auf Ukrainisch, mal auf Deutsch - Rihm und Lenz sind sowohl Bewohnerinnen und Bewohnern als auch Angestellten im Haus bekannt. Seit die Erstanlaufstelle für Geflüchtete von der Jugendherberge ins Thomashaus umgezogen ist, verbringen die beiden hier viel Zeit: Das Duo koordiniert die Hilfe von Ehrenamtlichen.

Etwa 2800 Menschen aus der Ukraine hat Mannheim seit Beginn des Kriegs aufgenommen - offiziell. Tatsächlich dürfte die Zahl größer sein: Ukrainerinnen und Ukrainer müssen sich nicht offiziell anmelden und kommen oft privat unter. Um in Mannheim die Auswirkungen des Angriffs auf die Ukraine zu bewältigen, hat die Verwaltung von Anfang an auch auf ehrenamtliche Hilfe gesetzt - sei es bei der Aufnahme von Geflüchteten, bei der Betreuung oder auch beim Übersetzen. „Die größte Faszination am Ehrenamt ist, zu sehen, wie viele Menschen Hilfe anbieten“, sagt Lenz. „Es fasziniert mich, Menschen zu treffen und demütig zu erleben: ,Wow, was stemmt ihr alles’.“

Aufbau neuer Strukturen

Für beide ist das Ehrenamt fester Bestandteil ihres Alltags. Rihm arbeitet seit Jahren in der Notfallseelsorge und in der Kommunalpolitik. „Das Ehrenamt erfüllt alles, was die Gesellschaft ausmacht.“ Lenz, die sich als „Pragmatikerin“ bezeichnet, hat sich viele Jahre in der Schule ihrer Kinder engagiert und weltweit in Krisengebieten geholfen, etwa nach dem Erdbeben in Nepal oder dem Tsunami auf Sri Lanka. „Ich bin niemand, der nur motzt, sondern jemand, der sich aktiv beteiligen will, Dinge zu verbessern.“ Es motiviere sie, „wenn Menschen trotz Anstrengungen etwas erreichen“.

Welche Hilfe wird benötigt?

  • Lenz und Rihm bitten davon abzusehen, Sachspenden ohne Absprache zu bringen. Oft würden solche Spenden nicht mehr benötigt werden.
  • Neben abgesprochenen Sachspenden können Menschen zum Beispiel mit Fahrdiensten oder das Zeigen der Stadt, etwa mit der Straßenbahn, helfen. „Geflüchtete kommen aus der Selbstständigkeit, wollen dahin wieder zurück – aber sie brauchen eine erste Assistenz, die ihnen zeigt: ,So funktioniert Deutschland.’“, sagt Lenz. Auch Betreuung von Kindern ist eine Option, sich zu engagieren.
  • Unter 0177/242 89 74 können sich Interessierte über Spendenbedarf und Hilfsmöglichkeiten informieren.

Man sehe im Kontext des Kriegs, dass eine Verwaltung auch an Grenzen stoße, ergänzt Rihm. „Ehrenamtliches Engagement ist flexibler, als es eine Verwaltung sein kann.“ Während Kommunen definierte Aufgaben erfüllen müssten, steige das Ehrenamt da ein, wo Verwaltung aufhöre. „Das Ehrenamt kümmert sich außerhalb von starren Rahmenbedingungen um das Menschsein in den Bereichen, die hauptberuflich nicht abgedeckt werden können.“ Seit Mitte April bilden Rihm und Lenz so die Schnittstelle zwischen Ehrenamt und Verwaltung im Thomashaus. Sie sind keine Angestellten der Stadt, sondern versuchen, zwischen ihr und den Freiwilligen zu vermitteln sowie die Interessen der Helferinnen und Helfer zu vertreten. „Wir geben dem Ehrenamt über Gespräche mit der Verwaltung oder Treffen von Helfern und Helferinnen eine Struktur“, erklärt Rihm. Die habe es schon in der Jugendherberge gegeben. Aber der Kommunalpolitiker gesteht, dass auch die Politik gehofft hatte, Krieg und Zuwanderung würden „nach drei oder vier Wochen“ vorbei seien. Da mache man sich wenig Gedanken über eine dauerhaft ehrenamtliche Struktur. „Wir haben erst lernen müssen, dass uns das Thema monatelang, hoffentlich nicht jahrelang begleiten wird, und brauchen deshalb nun andere Strukturen.“ Die Stadt habe Menschen aufgefordert, Geflüchtete aufzunehmen und zu unterstützen, sagt Lenz. „Die Strukturen haben aber nicht zu dem gepasst, was die Stadt gesucht hat, und deshalb sind Menschen, die sich engagieren wollten, nicht mitgenommen worden.“

Beide betonen, das bislang Geleistete aber nicht zu unterschätzen. „Was hier gestemmt worden ist, ist gigantisch“, stellt Lenz klar. „Wir wissen, was in der Verwaltung geleistet wird, und dass man Menschen in Büros nicht klonen kann“, sagt Rihm. „Die politische Kommunikation ist aber nicht immer passend“ und die „praktische Wertschätzung“ Helfenden gegenüber stehe nicht immer im Fokus.

Seelische Nachsorge

Deshalb brauche es jemanden, der auch für Helferinnen und Helfer da sei. „Wer macht was, wann und wie - diese Fragen allein zu beantworten, ist für die, die sich einfach nur engagieren wollen, zu viel“, begründet Lenz. Außerdem kümmern sich die Koordinatoren um die seelische Nachsorge. „Viele haben Verwandte in der Ukraine oder bekommen Geschichten mit, die sie nicht verarbeiten können, wenn sie nicht auch mal über ihre Sorgen sprechen können. Auch das ist etwas, das zum Menschsein dazugehört.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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