Interview

Wie Mannheims Bildungsbürgermeister der Kita-Krise begegnet

Seit vier Jahren ist Dirk Grunert Bildungsbürgermeister. Mit seiner „ersten Halbzeit“ ist er zufrieden, sieht aber auch Probleme - vor allem wegen des Fachkräftemangels in Kitas. Warum er dennoch optimistisch in die Zukunft blickt

Von 
Bertram Bähr
Lesedauer: 
Schulbesuche gehören für Bürgermeister Dirk Grunert (hinten am Tisch, r.) zum Alltag – wie hier an der Kerschensteiner Gemeinschaftsschule auf der Schönau. © Stadt Mannheim/Thomas Tröster

Mannheim. Herr Grunert, nach 100 Tagen im Amt haben Sie gesagt: „Es macht mir jeden Tag richtig Spaß.“ Würden Sie diesen Satz heute noch so unterschreiben?

Bürgermeister Dirk Grunert: An 99 Prozent der Tage ja.

An welchen Tagen nicht?

Grunert: Ich kann da nichts Spezifisches benennen. Es gibt manchmal einfach einen Tag, an dem man sagt, es hätte heute auch entspannter laufen können. Aber grundsätzlich macht die Aufgabe sehr viel Spaß, gar keine Frage.

Die 100 Tage waren Anfang Februar 2020 um. Von Corona hatte man zu diesem Zeitpunkt gehört, aber nur am Rande.

Grunert: Stimmt, es war eher etwas Abstraktes aus China in den Nachrichten.

Aber wenige Wochen später der Lockdown. Wie hat Corona Ihre Arbeit verändert?

Grunert: Ganz massiv. Ich war erst wenige Monate im Amt. Es muss ungefähr der 15. März 2020 gewesen sein, als klar war, jetzt trifft es uns auch. An jenem Sonntag haben wir uns hier in diesem Raum in kleiner Fachrunde getroffen und beraten, wie gehen wir damit um? Was bedeutet das für unsere Kitas, die Schulkindbetreuung und so weiter? Corona hat die Arbeit zwei, zweieinhalb Jahre extrem geprägt.

Um was ging es zu Beginn konkret?

Grunert: Es war eine Notbetreuung im Gespräch für Eltern in systemrelevanten Berufen. Wir haben uns überlegt, wie können wir das in guter Qualität schnell organisieren. Wie ermitteln wir die betroffenen Familien, wie müssen die Menschen das beantragen etc.? Das waren die ersten Überlegungen.

Es kamen wohl jede Menge Aufgaben dazu, mit denen Sie bei Amtsantritt nicht gerechnet hatten.

Grunert: Das stimmt. Als ich mein Amt antrat, hatte ich eine klare Idee, welche Themen ich angehen wollte. Aber die standen ja erst einmal gar nicht im Fokus. Sondern es war eine lange Zeit Corona, Corona, Corona.

Mit welchen Folgen?

Grunert: Gerade der Gesundheitsbereich hat einen viel größeren Raum eingenommen. Ich hätte nicht gedacht, dass er in den ersten Jahren so dominant sein würde innerhalb des Themenspektrums im Dezernat. Wir haben Zusatzkräfte aus allen Bereichen dorthin abgeordnet.

Nach 100 Tagen im Amt sagten Sie auch, bei der Stadt sei der Kita-Fachkräftemangel „noch nicht so aufgeschlagen“. Wann wurde Ihnen klar, dass die Personalsituation DAS zentrale Problem ist?

Grunert: Das kann ich nicht genau sagen. Mir war immer bewusst, die Schaffung weiterer Kita-Plätze wird das dominierende Thema meiner Amtszeit sein, die zentralste Aufgabe. Uns war klar, dass wir dafür zusätzliche Fachkräfte brauchen, daran haben wir gearbeitet. Zug um Zug wurde aber immer deutlicher, dass der Personalmangel am Ende noch entscheidender sein würde als das bauliche Thema.

Betreuung

Mannheims Kitas in Not: So schlimm ist der Personalmangel

Veröffentlicht
Von
Bertram Bähr
Mehr erfahren

Sie versuchen mit verschiedensten Anreizen, Personal zu gewinnen. Die Lage bleibt dennoch prekär. Fühlen Sie sich wie Don Quijote beim Kampf gegen Windmühlen?

Grunert: (überlegt). Ich weiß nicht, ob das das passende Bild ist. Ja, es fällt einem im Moment schwer zu glauben, dass es schnell besser wird. Aber wir haben auch in diesem Jahr wieder viel auf den Weg gebracht: Mit dem neuen Ausbildungsangebot „Direkteinstieg Kita“ konnten wir die Ausbildungsquote beispielsweise um weitere 20 Prozent steigern.

Was, wenn alles nichts nutzt, sich die Lage weiter verschärft: Bleiben irgendwann Kitas zu?

Grunert: Ich erwarte nicht, dass ganze Kitas geschlossen werden müssen. Aber möglicherweise einzelne Gruppen oder einzelne Angebote innerhalb eines Kinderhauses.

Das ist doch jetzt schon der Fall.

Grunert: Im Moment reduzieren wir vor allem Randzeiten. Entweder kurzfristig oder bis zum Ende des Jahres. Und es kann sein, dass wir entweder eine neue Gruppe erst einmal nicht eröffnen oder mal eine Gruppe befristet schließen müssen. Aber ich bin optimistisch, dass es nicht zur Schließung eines ganzen Hauses kommen wird.

Personalmangel

Lage in Mannheims Kitas „als kritisch zu bewerten“

Veröffentlicht
Von
Bertram Bähr
Mehr erfahren

Zurück zur Zeit Ihres Amtsantritts. Der Schwerpunkt lag, Sie sagten es, zunächst auf dem Ausbau.

Grunert: Ja. Wir haben unmittelbar nach meinem Amtsantritt schnell begonnen, Standortkonzeptionen für alle 17 Stadtbezirke zu erstellen.

Sie haben dazu Anfang 2021 einen Lenkungsausschuss zum Kita-Ausbau ins Leben gerufen. Bis zum Jahresende, so hieß es damals, sollten Standortkonzeptionen für alle Stadtteile vorliegen. Jetzt hat es fast drei Jahre gedauert. Wieso?

Grunert: Es war dann doch nicht ganz einfach, diese fast 100 neuen Standorte zu finden, und uns war zunächst nicht klar, dass Kita-Standorte im Umfeld schnell auf Widerstand stoßen. Das war an etwa zehn Standorten der Fall. Deshalb mussten wir vor Ort diskutieren und noch einmal ganz genau abwägen, ob es Alternativen gibt. Wir hatten teilweise auch juristische Auseinandersetzungen um Standorte.

Laufen noch Rechtsstreitigkeiten?

Grunert: Es läuft noch ein Verfahren, aber wir sind auf gutem Wege. In einem Fall konnten wir beispielsweise am Ende mit den Bewohnern aus dem Umfeld zu einer Einigung kommen.

Die Don-Quijote-Frage lässt sich auch beim Thema Schaffung neuer Kita-Plätze stellen. Trotz aller Bemühungen fehlen nach wie vor Hunderte. Sind Sie frustriert?

Grunert: Nein. Es ist klar, dass die Schaffung von Plätzen ihre Zeit benötigt. Aber die Projekte, die wir benötigen, sind baulich auf dem Weg. Manches geht nicht ganz so schnell, wie wir uns das wünschen. Aber wir scheitern nicht mit dem weiteren Ausbau, sondern es hängt komplett am Personal.

Also fällt Ihre Bilanz zum Ausbau unterm Strich positiv aus?

Grunert: Ja, ich bin zufrieden. Die letzte Standortkonzeption liegt jetzt vor. Die Botschaft ist: Wenn wir das umsetzen, was wir in den 17 Konzeptionen beschlossen haben, sind wir auf dem richtigen Weg und benötigen keine weiteren Kita-Standorte mehr. Das ist durchaus ein Erfolg.

Dirk Grunert

  • Dirk Grunert ist seit November 2019 Bürgermeister für Bildung, Jugend und Gesundheit.
  • Davor saß der gebürtige Niedersachse zehn Jahre für die Grünen im Gemeinderat, fünf als Fraktionsvorsitzender.
  • Grunert hat in Mannheim Betriebswirtschaftslehre studiert und danach das Zweite Staatsexamen fürs Lehramt absolviert. Anschließend arbeitete er als Berufsschullehrer in Neckargemünd

 

Wie sehen Sie die Kitas 2027, zum Ende Ihrer Amtszeit, aufgestellt?

Grunert: Ich gehe davon aus, dass wir durch die Plätze, die dann vorhanden sind, einen sehr guten Schritt vorangekommen sind und den Bedarf deutlich stärker decken können. Die Frage ist, können wir alle Gruppen, die baulich geschaffen wurden, tatsächlich eröffnen? Bekommen wir es trägerübergreifend hin, ausreichend Personal auszubilden und zu halten?

Aber Sie haben ja schon betont, dass Sie skeptisch sind, ob man das Problem in Gänze lösen kann.

Grunert: Wir werden es in Gänze lösen, die Frage ist nur bis wann? Ist das in zwei Jahren, in vier Jahren? Eine exakte Einschätzung ist im Moment schwer zu treffen.

Kommen wir zu Schulen: 2019 gab es zehn, inzwischen sind es zwölf Ganztagsgrundschulen. Sind Sie mit dem Ausbautempo zufrieden?

Grunert: Ja. Von zehn auf zwölf klingt jetzt nicht so viel. Aber wir haben ebenfalls zahlreiche weitere Grundschulen auf den Weg gebracht. Es dauert einfach, bis die entsprechende Mensa gebaut ist und der Anbau steht. Außerdem: Es gibt zwar ein paar Grundschulen, die Halbtagsschule bleiben wollen, aber die allermeisten beschäftigen sich inzwischen gedanklich mit dem Ganztag. Das ist ein Wandel in der Haltung, der mich sehr freut und den wir als Stadt sehr unterstützen.

Bislang bestimmen die Schulen selbst, ob sie Ganztag möchten. Das Land will, dass sich Kommunen im Zweifelsfall über das Votum der Schulkonferenz hinwegsetzen können, eine Gesetzesänderung dazu ist in Vorbereitung. Ist das in Ihrem Sinne?

Grunert: Das ist absolut in meinem Sinne. Der beste Weg ist zwar, gemeinsam mit den Schulen den Ganztag zu entwickeln. Aber wenn wir Grundschulen in Stadtbezirken haben, in denen es für die Schüler enorm wichtig ist, ein hochwertiges ganztägiges Bildungsangebot zu bekommen, und ein Kollegium vielleicht aus Gründen der individuellen Lebensgestaltung gerne in einer Halbtagesschule arbeiten will, steht das für mich nicht im richtigen Verhältnis. Wir wären dann in einzelnen Ausnahmefällen auch bereit, diesen neuen gesetzlichen Weg zu gehen. Aber das ist nicht unser Standardweg. Wir setzen zunächst auf Konsens mit dem Kollegium.

Förderung

Wie Kinder in Mannheim in Bewegung gebracht werden

Veröffentlicht
Von
Bertram Bähr
Mehr erfahren

Don Quijote zum Dritten: Die Bemühungen um mehr Bildungsgerechtigkeit laufen seit Jahren. Aber statistisch gesehen ändert sich wenig. Teilen Sie diese Ansicht?

Grunert: Das ist nicht ganz so einfach zu beurteilen. Die Statistik ist das Eine. Aber bringen die Kinder heute noch die gleichen Voraussetzungen mit wie vor zehn Jahren? Ich glaube, die Herausforderungen, vor denen die Lehrkräfte und Erzieher*innen heute stehen, sind größer. Wir hatten in den letzten Jahren vermehrt Zuwanderung, auch von Familien, die in ihrem Heimatland Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren haben. Kinder haben zum Teil keinerlei Vorkenntnisse, können nicht mal eine Schere oder einen Stift halten. Wenn das Niveau dann gleich bleibt, obwohl die Voraussetzungen schwieriger geworden sind, sehe ich das als Erfolg. Wir setzen viele gute und wertvolle Maßnahmen um. Aber die zahlen sich oft erst später aus. Ich bin mir sicher: Irgendwann wird sich das auch deutlicher in den Statistiken niederschlagen.

Worin sehen Sie Ihre größten Erfolge in der „ersten Halbzeit“?

Grunert: Ich bin insgesamt zufrieden. Wir konnten vieles angehen, zum Beispiel die Dynamisierung der finanziellen Förderung bei Jugendtreffs, Stadtjugendring, Suchtberatung etc. Im Kita-Bereich konnten wir netto zusätzliche Plätze schaffen, obwohl verschiedene Träger in den letzten Jahren abgebaut haben. Wir sind bei Ganztagsschulen vorangekommen, beim Ausbau der Schulsozialarbeit und bei Jugendtreffs. Wir werden eine dritte, die Rosa-Parks-Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe errichten. Wir haben den Griechisch-Unterricht an der Waldhofgrundschule gerettet und die Qualität des Kita- und Schulessens deutlich gesteigert.

Welche Erwartungen haben sich am wenigsten erfüllt?

Grunert: (überlegt einige Zeit). Da fällt mir nichts Großes ein. Vielleicht das: Wir bekommen in bestimmten Stadtbezirken zunehmend Schwierigkeiten, Familien mit Kinderärzten und Hausärzten zu versorgen. Der Einfluss der Kommune auf die Gesundheitsversorgung ist gerade im ärztlichen Bereich sehr gering, das ist ein bisschen frustrierend.

Gibt es neben den Mammut- aufgaben Kita- und Schul-Ausbau Projekte, die sie in der „zweiten Halbzeit“ umsetzen möchten?

Grunert: Wir wollen die offene Kinder- und Jugendarbeit weiter ausbauen. Ziel ist, dass Jugendliche in jedem Stadtteil ein Angebot haben, das sie erreichen können. Auch nach 18 Uhr und an Wochenenden. Im Gesundheitsbereich möchte ich einen Drogenkonsumraum schaffen. Und natürlich den Neubau der Stadtbibliothek realisieren. Dieses Projekt ist enorm wichtig für das eben von Ihnen angesprochene Thema Bildungsgerechtigkeit. Damit schaffen wir einen Begegnungsort für Menschen in Mannheim, der niedrigschwellig und kostenfrei nutzbar ist. So ein Ort ist wichtig in der Innenstadt und führt auch zu einer Belebung des Stadtzentrums.

Würden Sie 2027 gerne in die Verlängerung gehen?

Grunert: Mein Job macht mir viel Spaß. Wenn das 2027 noch so ist und die Umstände es erlauben, wäre das eine Option für mich. Aber das ist dann in 2026 zu betrachten. Ich bin weiterhin voll motiviert, da gibt es keinen Zweifel.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke