Förderung

Wie Kinder in Mannheim in Bewegung gebracht werden

Motorische Defizite sind bei Kindern keine Seltenheit. Um dem entgegenzuwirken, muss möglichst früh mit Bewegungsförderung begonnen werden. Wie das gehen kann, zeigt ein großer Verein

Von 
Bertram Bähr
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Dem Bewegungsdrang der Kinder Rechnung tragen – und sie machen lassen: Darauf setzt der TSV 1846 in der frühkindlichen Motorik-Förderung – und bietet dazu die unterschiedlichsten Möglichkeiten. © TSV Mannheim

Mannheim. Die Zahlen sind alarmierend. Fast 30 Prozent der fünfjährigen Kinder in Mannheim haben nach einer Statistik des Gesundheitsatlas Baden-Württemberg Defizite bei der Grobmotorik. Kein Wunder, dass Bildungsbürgermeister Dirk Grunert angesichts dessen betont, es brauche mehr „geeignete und vielfältige Bewegungsangebote“, mit denen man „möglichst früh“ und „auf möglichst breiter Basis ansetzen“ müsse.

Ein gutes Beispiel dafür, wie das gehen kann, liefert der TSV Mannheim 1846. Der älteste und mit rund 4500 Mitgliedern größte Breitensportverein Mannheims bringt mit seinen verschiedenen Angeboten Kinder schon vor dem vollendeten ersten Lebensjahr in Bewegung. Das beginnt mit dem Eltern-Kind-Turnen, setzt sich mit dem allgemeinen Kinderturnen für Drei- bis Sechsjährige, der Kindersportschule (KiSS) für Grundschulkinder und den vielfältigen Angeboten der verschiedenen Abteilungen fort.

Gelegenheit, sich auszutesten

Ein Herzstück ist für den TSV dabei seine Sportkita Purzelbaum, eröffnet im Mai 2014. Sie bietet seit Jahren 90 Plätze und wurde gerade erweitert. Die Arbeiten im angrenzenden Neubau im Sportzentrum am Luisenpark sind nahezu abgeschlossen. Mit dem neuen Trakt stehen beim TSV fünf Kitagruppen (100 Plätze) und vier Krippengruppen (40 Plätze) zur Verfügung.

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Kinder haben einen unfassbaren Bewegungsdrang“, stellt TSV-Präsident Holger Diekmann fest. Dem wolle man in jeder Beziehung Rechnung tragen, erklärt Marc Kästle, der Leiter der Sportkita. Und zwar ohne allzu viele Vorgaben. Den Kindern etwas zutrauen, ihnen die Gelegenheit geben, sich auszutesten, das hält Kästle für ganz entscheidend. Ein Beispiel: „Sie klettern so hoch, wie sie sich das zutrauen. Und wenn sie mal runterfallen, ist das ganz normal.“ Dabei sei es mitunter „erstaunlich“ zu beobachten, „was die Kinder schon alles können“. Für Krippenkinder gebe es pro Woche dreineinhalb bis vier, für Kita-Kinder fünfeinhalb bis sechs reine Sportstunden, erklärt Holger Diekmann. Federführend dabei ist Übungsleiter Peter Huhn. Er bietet eine Bewegungslandschaft an - Aufbauten mit Großgeräten, mit denen sich verschiedene Bewegungssituationen schaffen lassen. Was die Kinder daraus machen, überlässt er weitgehend ihnen selbst.

Misserfolge gehören zum Konzept

Zum Konzept gehören Misserfolge: Wenn ein Junge oder ein Mädchen ein bestimmtes Ziel nicht auf Anhieb erreiche, sei das ganz normal: „Ein Kind, das einen Misserfolg hatte, ist grundsätzlich motiviert, das zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu probieren“, so Peter Huhns Erfahrung. Und wenn ein Kind dann eine Bewegung geschafft hat, strahlt es. „Sich mit ihm zu freuen, den Erfolg zu zelebrieren - das ist es, was uns motiviert“, sagt Kästle.

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Sportstunden sind das eine - aber um Bewegung gehe es auch während der übrigen Zeit ständig, betont Kästle. „Wir wollen Bewegung als alltägliche Handlung für die Kinder verstanden wissen“, auch Fingerspiele oder das An- und Ausziehen der Kleidung schulten schließlich die Feinmotorik. Andere Kompetenzen wie der Umgang mit digitalen Medien ließen sich ebenfalls integrieren. Kästle nennt als Beispiel eine Fotosafari, bei der bestimmte Bewegungsabläufe eingebunden werden, um aus verschiedenen Perspektiven zu fotografieren. So haben die Kinder, die von der Sportkita in die Grundschule wechseln, wohl kaum motorische Defizite. Aber die Plätze beim TSV sind begrenzt, es gibt eine lange Warteliste. In vielen Kitas spielen Bewegungsangebote zwar eine mehr oder weniger große Rolle, aber die Stadt Mannheim möchte das nicht dem Zufall überlassen. Deshalb führte sie im Frühjahr als 18. Kreis in Baden-Württemberg den Bewegungspass ein. Das Konzept wurde 2016 entwickelt, um motorische Fertigkeiten wie Laufen, Springen, Klettern, Balancieren oder Werfen zu fördern.

Purzelbäume schlagen, Kerze halten, rückwärts Slalom laufen, Ball hochwerfen und fangen: Mit ganz einfachen Mitteln können Kitas ein vielfältiges Angebot auf die Beine stellen. Auch hier ist der TSV mit dabei, er schult die Betreuungskräfte bei einer eintägigen Fortbildung. Zum Auftakt gingen 17 Kitas an den Start, inzwischen sind es deutlich über 50, die beim Bewegungspass mitmachen. Das Konzept solle in Mannheimer Kitas weitgehend flächendeckend umgesetzt werden, hat die Stadt als Ziel ausgegeben.

Viele Eltern gehen leer aus

Nun gibt es in Mannheim Eltern, die ihre Kinder in keiner Kita anmelden, weil sie darauf keinen Wert legen. Und daneben gibt es Hunderte, die wegen des großen Mangels an Kindertageseinrichtungen erst gar keinen Platz bekommen. Sie gehen bei all diesen Angeboten, die es gibt, leer aus. Und kommen auch jenseits der Kitas nicht immer zum Zuge. Zum Beispiel beim schwimmen, erklärt TSV-Vorstand Bernd Kupfer: Hier gebe es eine „Riesen-Nachfrage, aber zu wenig Wasserflächen“. Auch bei der Kindersportschule (KiSS) des TSV ist die Nachfrage weit höher als das Angebot.

Knapp 400 Plätze gibt es, laut Kästle ist die „Kapazität maßlos erschöpft“, die Warteliste lang. Generell, so Diekmann, gelte: „Die Vereine können nur einen Teil des Bedarfs befriedigen.“

Aus Sicht des TSV könnte die Stadt Mannheim aber dabei helfen, weitere Kapazitäten zu schaffen - und Eltern zu sensibilisieren, die ihre Kinder bisher nicht zu Sport und Bewegung motiviert haben. So könnte zum Beispiel der Familienpass - für Kästle „ein tolles Angebot“ - um Gutscheine für Kindersportstunden erweitert werden. Auch der Ausbau der Ganztagsschulen bietet für Diekmann eine „Riesenchance“ - wenn man denn die Sportvereine darin unterstütze, in den Nachmittagsstunden Angebote zu schaffen.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

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