Krieg in der Ukraine

Wie Mannheimer Start-ups um Geflüchtete aus der Ukraine werben

Im Rahmen der „Hackschool“ gehen Mannheimer Start-ups gezielt auf Geflüchtete aus Russland und der Ukraine zu, um sie in den hiesigen Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein Besuch im Mafinex

Von 
Sebastian Koch
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Verantwortliche der Mannheimer Hackschool wollen russischen und ukrainische Geflüchtete in Start-ups integrieren, um auch von deren IT-Kentnissen zu profitieren. © Christoph Blüthner

Mannheim. Der Schreibtisch, an dem Roman Burak sitzt, ist aufgeräumt. Neben dem großen Bildschirm und dem Laptop liegt ein Flyer herum, viel mehr ist auf der weißen Tischplatte nicht zu finden. In dem großen Bürozimmer stehen an diesem Vormittag eine Menge Menschen hinter Burak, der auf dem schwarzen Schreibtischstuhl sitzt. Das Interesse an dem Mann ist groß: Roman Burak gehört zu den vor dem Krieg in der Ukraine nach Mannheim Geflohenen, die im Rahmen der sogenannten Hackschool bei Start-ups im Gründerzentrum Mafinex versuchen, ihre Karriere voranzubringen und auf dem hiesigen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Etwa 25 Geflüchtete - sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland, woher ja auch Menschen wegen drohender Repressionen fliehen - sind Teil des sich noch in sprichwörtlichen Kinderschuhen befindlichen Projekts. In zwei Teilen haben sich die Geflüchteten mit den Unternehmen vertraut machen können. Zunächst ging es darum, sich in einer Art „Klassenzimmer“ zu vernetzen, ehe sich die Geflüchteten wochenlang bei Unternehmen präsentieren können. Dafür seien gezielt Geflüchtete angesprochen worden, die Englisch sprechen und IT-Kenntnisse mitbringen, hieß es vor einigen Wochen in einer Beschlussvorlage für den Gemeinderat.

Keine klassische Klientel

„Wir bieten Geflüchteten eine Chance, ihre Qualifikationen auf unserem Arbeitsmarkt einzubringen“, erklärt Jens Hildebrandt, der als Leiter des städtischen Fachbereich Arbeit & Soziales für die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zuständig ist. „Unsere Arbeit ist erfolgreich, wenn uns Geflüchtete nicht mehr brauchen, weil sie ihren Lebensunterhalt selbstständig verdienen und auf dem Arbeitsmarkt untergekommen sind.“ Laut Mitteilung der Stadtverwaltung ist das Format der Hackschool deutschlandweit jedenfalls „absolut einzigartig“.

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Ob das tatsächlich so ist, lässt sich kaum prüfen. Klar ist: Die Verwaltung, aber auch die vielen Start-ups, die in Mannheim ansässig sind, begreifen den Zuzug ukrainischer und russischer Menschen auch als Chance. Schließlich fehlt es gerade in der IT-Branche an qualifizierten Kräften. Ein Bereich, in dem die Ukraine als fortschrittlich gilt. In Mannheim sind bislang mehr als 3700 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer gemeldet - 2630 davon im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren.

Burak arbeitet für das Start-up von Benito Campos: Visual Abstract versucht, grob erklärt, Forschungsergebnisse aus der Medizin für soziale Medien aufzubereiten und Erkenntnisse dort in Bildern darzustellen. Wissen könne so einer breiteren Masse zugänglich gemacht werden, ist die Hoffnung von Campos und Burak, der auch in der Ukraine im medizinischen Bereich gearbeitet hat.

Geflüchtete aus der Ukraine können uns mit guter Ausbildung und teilweise hoher Qualifikation oft sehr weiterhelfen.
Jens Hildebrandt Leiter des städtischen Fachbereich Arbeit & Soziales

Geflüchtete aus der Ukraine haben Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, früher auch als Hartz IV bekannt. Die Menschen, die wegen des Kriegs kämen, würden nicht das klassische Profil jener aufweisen, die üblicherweise Leistungen nach dem SGB II bekämen, erklärt Carl Philipp Schöpe, Geschäftsführer der Jobcenter. „Geflüchtete aus der Ukraine können uns mit guter Ausbildung und teilweise hoher Qualifikation oft sehr weiterhelfen.“ Hildebrandt ergänzt: „Die Menschen, die wegen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine gekommen sind, sind für uns eine sehr spannende Gruppe.“ Nicht nur der Qualifikation wegen. „Die Motivation ist hoch und eine ganz andere als wir es eigentlich aus dem Bereich des SGB II kennen“, sagt Hildebrandt. „Die Menschen wollen ihr Geld selbst verdienen.“

Sprache bei der Arbeit lernen

Jonas Dirb arbeitet für Wertschöpfer IT an der Digitalisierung von Geschäftsprozessen, wie etwa Systemen für Krankmeldungen oder Bewerbermanagement. Olena Kolomets wirkt mit Dmitrii Markevich für Virtual Batch an der Erstellung und Verwaltung fälschungssicherer digitaler Zertifikate mit. Sie sei schon in Kiew im Bereich Grafikdesign tätig gewesen, erzählt Kolomets, und berichtet von anderen Geflüchteten, die zögerten, sich auf Jobs zu bewerben, weil das Deutschlernen eben auch Tücken hat. Auch sie habe sich bereits bei Unternehmen beworben. „Viele haben mir dann abgesagt, weil der Sprachnachweis gefehlt hat“, sagt Kolomets auf Englisch.

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Wo größere Unternehmen bei Einstellungsrichtlinien oft eingeengt seien, könnten Start-ups flexibler agieren, sagt Schöpe. Da könne man auch mal über noch fehlende Nachweise hinwegsehen. Natürlich sei Sprache ein Schlüssel für Integration, erklärt er. „Der Weg zu einem Nachweis für ein Sprachniveau ist aber lang.“ In der Start-up-Szene gilt Englisch als Geschäftssprache. So geht der Vormittag fast ausschließlich in englischer Sprache vonstatten, was die fünf Geflüchteten fließend beherrschen. Und die deutsche Sprache? Die, erklären sie, könne man in Gesprächen lernen. Immer wieder mal schleicht sich das eine oder andere deutsche Wort, der eine oder andere deutsche Satz ein.

Nach zwei Stunden endet das Gespräch. Während der Redakteur zurück an seinen Schreibtisch fährt, bleiben Burak, Kolomets und die anderen Geflüchteten im Mafinex. Der Arbeitstag hat schließlich gerade erst begonnen.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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