Mannheim. „Fluchtursachen vor Ort bekämpfen“: Viele Politikerinnen und Politiker fordern das immer wieder. Aber was heißt das konkret? Eine Idee, wie so etwas funktionieren kann, wurde unter dem Titel FoodRoutes in Mannheim geboren. Grundgedanke: Jugendliche aus Tunesien und Marokko lernen, einen Gastronomiebetrieb aufzubauen. Sie können damit später nicht nur selbst ihren Lebensunterhalt sichern, sondern auch Arbeitsplätze schaffen. Inzwischen nimmt diese Idee konkrete Formen an. Wie kam es dazu, was ist geplant – eine Übersicht.
Der Food-Truck
André Brehm ist Lehrer an der Justus-von-Liebig-Schule (JvL). Er bildet Jugendliche zu Köchen aus. Und hat vor ein paar Jahren einen „Food-Truck“ zusammengezimmert. Unterstützt von ein paar Dutzend Schülerinnen und Schülern zieht er damit durch die Stadt und bietet Catering an. Eine Art Schülerfirma soll daraus werden. Aber dann kommt die Corona-Zwangspause. Inzwischen ist der Truck wieder in Sachen Catering unterwegs, zum Beispiel vor kurzem beim Start des Moll-Musikgymnasiums. Vergleichbares könnte auch in Afrika Schule machen.
Die Tunesien-Touren
Dass Kochen verbindet, im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft überwindet – diese Erfahrung macht André Brehm tagtäglich als Lehrer, der auch sehr viel mit Geflüchteten arbeiten. Da liegt es nahe, dass der Küchenmeister der JvL Ländergrenzen überwinden möchte.
Das tut er 2022 und 2023 jeweils für mehrere Wochen. Mit Fahrrad, Topf und Pfanne reist er nach Tunesien und sammelt unterwegs Spenden. Im ersten Jahr kocht er im SOS-Kinderdorf in Sousse mit Kindern und Jugendlichen, im zweiten geht es nach Akouda, einen Vorort von Sousse, wo er mit seiner Aktion eine Grundschule unterstützt. In den nächsten Sommerferien plant Brehm eine weitere Tunesien-Tour.
Die Unterstützerin
Die Veterinärmedizinerin Rahef Meriem Ouerdani hat mit 1200 Kilometer-Radtouren zwar nichts am Hut. Aber sie reist mit dem Flieger nach Nordafrika, um vor Ort die Projekte Brehms zu unterstützen. Aus vielen Gesprächen mit Flüchtlingen weiß die gebürtige Tunesierin, dass sie „definitiv lieber in ihrem Land bleiben würden, aber sie haben dort beruflich keine Chance“. Könnte man das nicht ändern, fragen sie und André Brehm sich. Und führen viele Gespräche dazu.
Der Shared Value Lab Afrika
An der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Neckarau hat Dolores Sanchez Bengoa einen Afrika-Schwerpunkt etabliert, den Shared Value Lab Afrika. Von einer der Gesprächspartnerinnen von Brehm und Ouerdani erfährt sie von den Koch-Projekten. Sie ist skeptisch. Schließlich geht es ihr um Management-Unterstützung für Start-ups in Afrika. „Was soll ich mit einem Koch“, fragt sie sich zunächst. Um es dann doch zu probieren.
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Ihr Professoren-Kollege Hans-Rüdiger Kaufmann ist ebenfalls dafür: „Die Fahrradfahrten von André Brehm haben uns total begeistert.“ Kaufmann sagt sich: „Mit solch leidenschaftlichen Leuten muss das etwas werden.“ Im September 2022 kommt es zu einem ersten Treffen, Pläne werden geschmiedet, Ideen konkretisiert.
Die Finanzierung
Sanchez Bengoa und Kaufmann aktivieren ihr Netzwerk. Über den Europäischen Verband beruflicher Bildungsträger (EVBB) finden die deutschen Initiatoren Partner in Tunesien und Marokko, Griechenland und Italien. Sie reichen die Idee einer Gastro-Ausbildungsinitiative in den beiden nordafrikanischen Ländern Anfang 2023 bei der EU ein.
Im Sommer bekommen sie eine Finanzierungszusage über 300 000 Euro, die mit eigenen Mitteln auf 500 000 Euro aufgestockt werden. Gesucht werden noch Sponsoren. Wer helfen möchte, kann sich an André Brehm (a.brehm@jvls-ma.de) oder Hans-Rüdiger Kaufmann (hans-ruediger-kaufmann@hdwm.org) wenden.
Das Kick-off-Meeting
Vor wenigen Tagen fiel mit einem zweitägigen Kick-off-Meeting in Tunis der Startschuss zu dem Projekt, das vorerst auf drei Jahre ausgelegt ist. Rund zwei Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren teils in Präsenz, teils virtuell dabei.
Die Projektphase
Zunächst stehen umfangreiche Vorarbeiten an, etwa ausführliche Interviews mit Entscheidungsträgern für Weiterbildung, Hoteliers und Gastronomen. Außerdem werden afrikanische Berufsschüler zu Erwartungen und Problemen befragt, Weiterbildungsmodule, Lernziele, Lehrvideos und Marketingstrategien entwickelt.
Im Rahmen des Projekts sollen marokkanische und tunesische Berufsfachschüler einen Food-Truck bauen und betreiben. Ein Teil der Jugendlichen wird im kommenden Jahr mehrwöchige Praktika in Mannheim, Griechenland und Italien absolvieren.
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