Mannheim. Lars Andersson dirigiert die an der Linie stehenden Mädchen. „Tina, du gehst da hoch. Leona, du bleibst bei mir“, erklärt der Fußballtrainer. „Alle anderen schauen zu, wie die Übung funktioniert.“ Andersson läuft mit dem Ball am Fuß auf Tina zu, passt ihr, wartet auf den Rückpass, passt Tina erneut, ehe die dann mit dem Ball am Fuß auf Leona zuläuft.
Seit mehr als einem Jahr trainiert Andersson Mädchen auf dem Kunstrasen des VfR Mannheim. „Die Zeit war damals einfach reif, dass der VfR Mädchenfußball anbietet“, sagt der Trainer, während er die Übung der C-Juniorinnen beobachtet. „Akzeptanz und Voraussetzungen haben sich Schritt für Schritt entwickelt.“
Boom blieb aus
Nachdem sich die Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in England im vergangenen Jahr erst im Finale den Gastgeberinnen hatte geschlagen geben müssen, hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf einen Boom beim Mädchen- und Frauenfußball gehofft. Neun Monate später sagt Andersson: „Wir haben etwas Zugwind gespürt.“ Zumindest von einem „kleinen Hype“ spricht Maximilian Hiemenz, der Juniorinnen bei Polizei Mannheim trainiert. „Wir haben bei den ganz Kleinen viel Zulauf.“
Nach einer wahren Euphoriewelle, die den Fußballkreis Mannheim erfasst, klingt das noch nicht. Auch Michael Mattern, stellvertretender Vorsitzender des Kreises und Abteilungsleiter für Frauen- und Mädchenfußball beim TSV Neckarau, ist zurückhaltend. Zwar müsse man abwarten, wie sich die Lage im Sommer darstelle, wenn Vereine üblicherweise neue Frauen- und Mädchenteams zum Spielbetrieb meldeten. In der Winterpause hätten das aber keine Vereine überraschend getan.
Die Wertschätzung habe nach dem EM-Hype immerhin klar zugenommen, heißt es.
Mattern warnt aber davor, die Bilanz nur daran festzumachen. Zur Wahrheit gehöre auch, dass der Frauenfußball stärker wahrgenomen werde. Die Sportschau zeige regelmäßig Zusammenfassungen, und dass Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg Spiele der Champions League der Männer im ZDF analysiere, sei auch lange nicht vorstellbar gewesen. Im Winter hatte auch die Torfrau der Nationalmannschaft, Almuth Schult, zur Stammbesetzung im ARD-Studio während der Herren-WM in Katar gehört. „Was die Wertschätzung betrifft, hat der Frauenfußball den Hype der EM mitgenommen“, sagt Mattern.
Aufmerksamkeit steigt
Beim DFB und den Profivereinen käme Frauenfußball eine stärkere Relevanz zuteil, ist auch Lena Trentl überzeugt, die die Damen des TSV Neckarau in der viertklassigen Oberliga trainiert. Zuletzt hätten immer mehr Vereine, die Profimannschaften im Herrenbereich hätten, Frauenteams gemeldet oder Spielrechte übernommen, was Aufmerksamkeit verschaffe. Eintracht Frankfurt hatte 2020 die Damen des 1. FFC Frankfurt integriert und spielt seitdem Bundesliga. Ab der Saison 2023/24 ist die Förderung von Frauenfußball für den Profi-Männerfußball ein Kriterium im Lizenzierungsverfahren.
Trentl sagt, die Europameisterschaft habe dem Frauenfußball in der Spitze geholfen. „Wir müssen abwarten, wie viel davon in die unteren Ligen tröpfelt. Dort spüren wir den Schwung in Nuancen.“ Die Trainerin coacht die am höchsten spielende Mannheimer Damenmannschaft. Auch aus anderen Kreisen sei ihr kein Hype bekannt. „Vielleicht ist es illusorisch, dass ein einziges Ereignis das auslösen kann.“
Unmittelbar nach dem Turnier hatte Mattern im Sommer erklärt, im Amateurbereich würden für eine breitere Basis für den Juniorinnen- und Damenfußball Ehrenamtliche fehlen. Man werde keinen nachhaltigen Erfolg erleben, wenn es diese Menschen nicht gebe. Er stehe heute noch zu dieser Aussage, erklärt er.
Eltern als Trainer?
Scheitert der Boom also am Ehrenamtsmangel? Vereine könnten junge Mädchen auffangen, wenn sie noch mit Jungs in einer Mannschaft spielen dürften, sagt Mattern. Wenn die Teams in der Pubertät getrennt würden, werde es schwer. Daran habe auch die EM nichts geändert. „Im Amateurbereich hat der Frauen- und Mädchenfußball keinen Hype erlebt.“
Der Funktionär weiß von Vereinen, die „aus allen Nähten platzen“ würden. „Die sagen Mädchen, ihr könnt gerne kommen, wir stellen den Platz, ihr bekommt Bälle, Leibchen und alles. Aber sag deinen Eltern, dass sie Trainer machen müssen.“ Unter dem Mangel litten nicht nur, aber vor allem die Mädchen.
Die begrenzten Ressourcen in den Vereinen kommen eher den Jungs zugute.
„Die Vereine machen, was sie können“, ist Andersson überzeugt - die Mittel seien aber knapp. „Im Fußball kommen die begrenzten ehrenamtlichen Ressourcen eher den Jungs zugute.“ Auch Eltern von fußballspielenden Töchtern zeigten daran oft weniger Interesse als die, deren Söhne auf dem Platz stünden, meint er. Auch deshalb fehlten die Ehrenamtlichen.
60 Mädchen zählt Andersson in den Juniorinnenteams des VfR - und nur drei Trainer. Jeder, der Kinder habe, wisse, dass ein Erwachsener allein keine 20 tobenden Kinder sinnvoll betreuen könne, sagt Mattern. Auf den Plätzen stünden sie teilweise vor 25 bis 30 Kindern. „Da ist jeder Trainer hinterher fix und fertig. Wir schaffen es aber nicht anders.“
Vereinstreue bei Mädchen höher
Diese Probleme sieht auch Hiemenz. Hätten vor der EM etwa 50 Mädchen für Polizei Mannheim gespielt, seien es nun fast 90. Hiemenz trainiert zwei Mannschaften. „Man muss sich glücklich schätzen, wenn man Trainer findet, die mit Lust und Spaß dabei sind.“
Als stellvertretender Kreisvorsitzender ist Mattern für den Spielbetrieb maßgeblich mitverantwortlich. Macht er es sich nicht zu einfach, die Verantwortung für die Förderung von Mädchen- und Frauenfußball allein Vereinen und Ehrenamtlichen zuzuschieben? „Wenn man sich zum Mädchenfußball bekennt und Leute hat, bekommt man von uns jede Unterstützung“, verspricht er und zählt Beratungen, Spielmobile, Schnuppertrainings oder Schulungen für Betreuerinnen und Betreuer auf. „Die Initiative muss aber von Vereinen kommen.“ Auch Andersson sagt: „Prinzipiell ist in Mannheim die Unterstützung für Vereine da.“
Wer Mädchen früh binde, könne später selbst von ihnen als Ehrenamtliche profitieren, meint Mattern. „Die Vereinstreue von Mädchen ist oft stärker als von Jungs.“
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