Medizin

Wie der Mannheimer Neurochirurg Nima Etminan Leben rettet

„Er sagte: Vertrauen Sie mir. Ich werde auf Sie aufpassen“: Barbara Brati will dem Mannheimer Arzt danken, der sie mitten im Hirn operierte. Uns erklärt er, wie es ihm gelang - und warum bei ihm im OP keine Musik läuft

Von 
Lea Seethaler
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Barbara Brati will ihrem Neurochirurgen Nima Etminan öffentlich danken. Denn er hat ihr Leben gerettet – und rettet tagtäglich viele weitere Menschen. © Lea Seethaler

Mannheim. Barbara Brati steht in den Räumlichkeiten der Neurochirurgie des Universitätsklinikum Mannheim. Ihre blauen Augen strahlen wie Bergseen. Sie plaudert, lacht. Aber sie ist offensichtlich aufgeregt. Die 63-Jährige wartet auf ihren Neurochirurgen Nima Etminan, der sie erfolgreich an einem lebensbedrohlichen Hirnaneurysma operiert hat. Ein Aneurysma ist eine Ausbuchtung in der Gefäßwand, die sich - in Bratis Fall - mitten im Hirn befand.

„Bin lieber im dunklen OP-Saal als im Blitzlicht der Medien“

Als Etminan, Direktor der Neurochirurgischen Klinik, eintrifft, sagt er scherzend, dass er lieber in seinem dunklen OP-Saal agiert als im Blitzlicht der Medien. Doch dieses Interview sei ihm wichtig. Er wolle deshalb dem Wunsch seiner Patientin nachkommen, die Öffentlichkeit über Aneurysmen und ihre lebensrettende Operation zu informieren.

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Unbehagen und Erstaunen beim Blick in eigenen Kopf

Riesige Bildschirme mit 3D-Bildern, welche die Hirngefäße zeigen, sind zu sehen. „Lassen Sie uns gemeinsam Frau Bratis Aneurysma anschauen“, sagt er. Er schaut zu ihr rüber. Sie schluckt. Faltet ihre Hände, drückt sie gegeneinander. „Geht es Ihnen gut, Frau Brati?“ Sie nickt. Aber man merkt ihr an, dass sie mit Unbehagen sowie Erstaunen auf die Bilder ihres eigenen Körpers schaut.

Aneurysma-OP mit Risiken machen - ja oder nein?

Titanclips im Gehirn dienten dem Verschluss von Bratis Aneurysma und so dem Wiederherstellen eines gesunden Gefäßes. Für Brati ein lebenswichtiger Eingriff. „Trotz jahrelanger Stabilität“, so Etminan, „begann das Aneurysma 2022 zu wachsen“. Etminan, der Brati im Frühjahr 2023 operierte, betont, dass bei vielen Aneurysmapatienten Beobachtung in Kombination mit einer Blutdrucktherapie oft ausreiche. Gerade leitet er sogar eine Studie zu neuen medikamentösen Therapien. „Wegen des kurzfristigen Wachstums bestand bei ihr nun eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass das Aneurysma bald reißen könnte.“

„Menschen sollen wissen, was er tagtäglich leistet“

„Es war mir so wichtig, Professor Etminan heute meinen Dank auszudrücken“, sagt Brati. „Die Öffentlichkeit soll wissen, was er hier tagtäglich leistet!“ Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Aufregung. Etminan nimmt ihre Hand: „Frau Brati, es ist alles gut. Atmen Sie.“ Äußerlich sieht man nicht einmal eine Narbe. Sie streicht über ihre Schläfe. „Für mich ist Nima Etminan ein Genie. Nicht nur als Arzt, sondern auch als Mensch“, fügt sie hinzu.

Deutlich in der starken Vergrößerung zu erkennen: Aneurysma mit Verkalkungen und roter Entzündung. © Seethaler

Vier Prozent sterben bei der OP oder erleiden Schlaganfall

„Die Operation von Frau Brati war durchaus risikobehaftet. Rund vier Prozent beträgt die Wahrscheinlichkeit, während der Operation einen Schlaganfall zu erleiden oder zu sterben“, erklärt Etminan und betont wie wichtig es ist, sich an einem spezialisierten Zentrum und durch einen erfahrenen Neurochirurgen behandeln zu lassen. Er und seine Klinik sind international für die operative Behandlung und Erforschung von Hirngefäßerkrankungen anerkannt.

Reißt es, stirbt ein Drittel

Auf die Frage hin, was es bedeutet, wenn ein Aneurysma im Alltag reißt, wird Brati sichtlich nervös und erklärt: „Ich wäre mausetot gewesen. Mausetot!“ Etminan wirkt wieder beruhigend auf Brati ein. Er bietet ihr an, kurz rauszugehen und im Nebenzimmer einen Kaffee zu trinken. Während Brati das Zimmer verlässt, rollt Etminan zu seinem PC und öffnet Bilder. Er will über Risiken reden. Jetzt wird klar, warum er die Patientin rausgeschickt hat.

In der Bildgebung am Computer sieht man die silbernen Titanclips. © UMM

„Wenn ein Aneurysma reißt, sterben ein Drittel der Betroffenen, ein weiteres Drittel verbleibt schwerstbehindert, und das verbleibende Drittel überlebt und kann mit Einschränkungen wieder ins Berufsleben zurückkehren“, sagt er. Der Neurochirurg beschönigt nichts, aber er schützt seine Patienten, wenn es nötig ist. „Die Angstthematik bleibt oft“, fügt er hinzu.

Permanente Angst ist auch Risikofaktor

„Bei der Besprechung der Aneurysmadiagnose und der Behandlungsoptionen sehe ich oft Angst in den Augen der Patienten“, sagt er. Auch sie spielt neben der Lage und Größe des Aneurysmas eine wichtige Rolle bei der Entscheidung „OP - ja oder nein?“. Eine permanente Angst vor einer Blutung ist ebenfalls ein Risikofaktor.

Sein Handy klingelt: „Stroke?“, wiederholt er die englische Bedeutung von Schlaganfall, gibt Anweisungen und legt wieder auf. „Sorry, wo war ich?“, fragt er und fährt mit seiner Erklärung fort.

Nicht rauchen, Blutdruck runter

Etminan ist es wichtig, zu erklären, dass von einem Aneurysma selten eine „unmittelbare Gefahr ausgeht“, wie es in den Medien oft dargestellt wird. Vielmehr entstehen Aneurysmen über viele Jahre durch Lebensgewohnheiten. „Rauchen und Bluthochdruck“, erklärt er, „sind die beiden wichtigsten Risikofaktoren.“ Also Faktoren, die man einstellen oder kontrollieren sollte. Frauen über 50 sind besonders gefährdet.

Drei Millionen Deutsche haben eines

Etwa drei Millionen Deutsche haben ein Aneurysma, ohne es zu wissen. Aber Etminan betont, dass nur ein sehr geringer Anteil davon kurzfristig reißt. Er zeigt ein Video mit Szenen aus einer OP. „Schauen Sie. Sehen Sie diese Verkalkungen und dieses hochrote Areal im Aneurysma? Das ist eine aktive Entzündung der Aneurysmawand. Von hier kann die Blutung ausgehen.“ Aktuell gibt es keine Früherkennung einer Blutung, aber Etminan und sein Team arbeiten an einem Bluttest.

Fakten zu Hirnaneurysmen, Risikofaktoren, Studie und Selbsthilfegruppe

  • Ein Aneurysma ist ist eine Aussackung in einem arteriellen Gefäß. Die meisten Hirrnaneurysmen verursachen keine Symptome, es sei denn, sie wirken lokal raumfordernd auf Hirnnerven oder es kommt zu einem Einreißen.
  • Aneurysmen kommen bei bis zu drei Prozent der Bevölkerung vor. Nur 0,2 Prozent aller Aneurysmen in der Bevölkerung reißen pro Jahr ein, so aktuelle Untersuchungen.
  • Das Beobachten oder Behandeln eines Aneuysmas wird durch viele Faktoren bestimmt. Etwa Größe, Lage und Form des Aneurysmas, ein erhöhtes familiäres Risiko von Aneurysmen sowie das Vorhandensein von Risikofaktoren wie Rauchen und Bluthochdruck.
  • Für bestimmte Lagen oder Formen der Aneurysmen haben sich Vorteile der offenen, operativen Methode oder der Kathedermethode gezeigt, so der Neurochirurg Nima Etminan. Beim „Clipping“ wird das Aneurysma durch Abklemmen „gesichert“; diese Methode sei die effektivste, aber auch die anspruchsvollere, betont Etminan.
  • Bei der Kathetermethode, dem „Coiling“, werden winzige Platinspiralen über die Leistenarterie ins Aneurysma geschoben und damit verschlossen; diese Methode gelte als einfacher, aber weniger effektiv.
  • Die klinische Studie PROTECT- U (www.protect-u-trial.com) untersucht die schützende Wirkung einer medikamentösen Therapie, um das Wachstum oder das Einreißen des Aneurysmas zu verhindern.
  • Die bundesweite Selbsthilfegruppe für Betroffene mit Hirn-Aneurysma „Der Lebenszweig“ bietet Rat, Mut zur Entscheidungsfindung und Neues unter www.hirn-aneurysma.de/kontakt.html

Gegen den Begriff „Zeitbombe"

Auch bei Brati wurde das Aneurysma zufällig bei einer MRT-Untersuchung entdeckt. Inzwischen befindet sie sich wieder in Etminans Arztzimmer. „20 Jahre hatte ich eine tickende Zeitbombe im Kopf“, sagt sie. „Nein!“, ruft Etminan, der gerade um seinen Tisch läuft, sich abrupt umdreht und ihr freundlich, aber bestimmt widerspricht: „Das sind Ihre Worte! Ich lehne diesen Begriff ab!“ Auch hier vertritt Etminan, der international viele Aneurysma-Studien, einschließlich der EU-Leitlinien zur Aneurysma-Behandlung geleitet hat, klar seine Meinung.

„Das Gehirn fasziniert mich“

Es gibt verschiedene Behandlungsmethoden, jede hat ihre Vor- und Nachteile sowie Risiken. „Das Gehirn und seine Komplexität haben mich schon immer fasziniert“, sagt er. Er nimmt einen großen Schluck Cola. „Mein persönliches Laster ist Koffein“, fügt er grinsend hinzu. „Ich liebe guten Kaffee, aber ich rauche nicht...“, erklärt er.

„Sie sagten, ich soll in fünf Jahren zur Kontrolle kommen. Kann ich auch schon in zwei Jahren vorbeischauen?“, fragt Brati. „Meine Patientin ist eine sehr intelligente Frau“, sagt Etminan, während er sie ansieht. „Manchmal ist Intelligenz aber auch ein Fluch, besonders, wenn man sich Sorgen macht. Gerade bei den Erkrankungen, die wir hier behandeln, ist es wichtig, dass wir für die Menschen da sind und auf diese Sorgen eingehen.“

Etminan operiert jährlich bis zu 70 Aneurysma-Patienten. Doch er behandelt auch viele Patienten mit Hirntumoren, einschließlich Kindern, und entfernt Tumore im Rückenmark. Wie bewältigt er diese Herausforderungen? Gibt es ein spezielles Ritual im OP, in dem so viel auf dem Spiel steht - das wertvolle Gehirn, die Persönlichkeit, das Leben eines Menschen?

Kein Reden, keine Musik im OP

„In meinem OP wird nichts Unnötiges gesprochen, und es läuft keine Musik“, erklärt Etminan ernst. „Es ist vergleichbar mit einer Nachtlandung im Cockpit, bei der auch hochkonzentriert gearbeitet werden muss.“ Er macht eine nachdenkliche Pause. Es sei ihm wichtig, „stets ein Bewusstsein für die uns übertragene Verantwortung insbesondere bei unseren Operationen zu haben.“

„Verantwortung darf uns nicht lähmen, sondern muss uns anspornen“

Es gebe nicht selten Situationen, „wo wir während einer OP, etwa bei einer Mutter von kleinen Kindern, uns mit der Entscheidung konfrontiert sehen, die Qualität ihres weiteren Lebens gegen die vollständige Heilung ihres Leidens - ein Aneurysma oder einen Tumor - abwägen zu müssen.“ Mit diesen Entscheidungen hätten in direkter Konsequenz zwar die Patienten zu leben, „mit der Verantwortung für diese Entscheidung aber wir selbst.“ Etminan: „Diese Verantwortung darf uns jedoch nicht lähmen, sondern muss uns stets zu Höchstleistung anspornen.“

„Er sagte: Ich verhandle nicht“

Sein Handy klingelt erneut. „Entschuldigen Sie!“, sagt er. Brati lehnt sich vor: „Ich höre immer auf ihn. Er sagte damals klar zu mir: Ich lasse nicht mehr mit mir verhandeln. Ich werde Sie operieren. Das ist mein Spezialgebiet. Vertrauen Sie mir, ich werde auf Sie aufpassen.“

Das Telefonat endet, und Brati fasst sich an den Kopf. „Die Clips können doch nicht herausfallen?“, fragt sie. „Manchmal denke ich, sie könnten verrutschen.“ Etminan schaut sie lächelnd an. „Das werden sie nicht. Sie sitzen fest, für immer.“

Berg von Geschenken in Sprechzimmer

Sein Blick wandert zu einem Berg von Geschenken, die in seinem Sprechzimmer stehen. Es sieht aus wie Weihnachten, nur der Baum fehlt. In einem Bilderrahmen präsentiert er eine Zeichnung. Das Kunstwerk zeigt Hände. Darunter steht: „Goldene Hände“. Eine Aneurysma-Patientin hatte es ihm gemalt, erzählt Etminan - und seine Augen leuchten auf eine besondere Weise.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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