Medizin

Wie Leukämie das Leben von Lola aus Mannheim verändert hat

Es ist ein Schicksalsschlag, den Eltern nicht erleben wollen: Gestern noch war ihr Kind gesund, heute ist es ernsthaft krank. Von diesem Tag an ist nichts mehr, wie es einmal war

Von 
Valerie Gerards
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Die Diagnose Leukämie verändert das Leben eines Kindes, wie auf unserem Symbolbild, und seiner Familie. © iStock

Mannheim. Es ist ein Schicksalsschlag, den Eltern nicht erleben wollen: Gestern noch war ihr Kind gesund, heute ist es ernsthaft krank. Von diesem Tag an ist nichts mehr, wie es einmal war. Die Welt - von jetzt auf gleich ist sie für die Familie eine andere. So, wie bei Maren und Sascha A., deren Tochter an Leukämie erkrankt ist.

Im August 2022 hat die damals sechsjährige Lola aus Mannheim in der Nacht immer mal wieder Gelenk- und Gliederschmerzen. Typische Wachstumsschmerzen eigentlich. „Sie ist zu dieser Zeit tatsächlich gewachsen, und es war alles gut. Lola war nur ein bisschen anhänglicher, weniger selbständig als sonst und wollte, dass wir wieder mit auf den Spielplatz kommen“, rekapitulieren Lolas Eltern die Zeit vor der Diagnose. Ob das schon mit der Krankheit zu tun hatte, wissen sie nicht. Vielleicht war es aber auch nur die Aufregung vor der bevorstehenden Einschulung.

Nachdem Lola dann in die erste Klasse geht, entdecken die Eltern große blaue Flecken an ihrem Arm, an den Händen und an der Hüfte. Das Mädchen weiß nicht, woher diese kommen. Hingefallen sei sie jedenfalls nicht. Es folgt ein kleiner Infekt, sie hat einen Tag lang Fieber und sieht sehr blass aus. Aber auch das ist nichts Ungewöhnliches.

Leukämieerkrankung: Der Verdacht der Kinderärztin

Als Lola erneut diese Wachstumsschmerzen verspürt, googelt ihre Mutter die Symptome. „Normalerweise mache ich das nicht. Wenn man nur Husten eingibt, kommen ja schon die schlimmsten Sachen. Und dann kam bei Gelenkschmerzen und blauen Flecken direkt Leukämie. Ich dachte noch, wie blöd. Man sollte wirklich nicht googeln.“

Die Eltern wollen trotzdem abklären, dass ihre Tocher nichts Schlimmeres hat. Mitte Oktober fährt Sascha A. mit seiner Tochter zur Kinderärztin. Sie möchte am nächsten Morgen ein Blutbild machen lassen und schickt Vater und Kind nach Hause. Denn sie hat, das erfahren die Eltern später, eine Befürchtung, über die sie erst mit ihrem Team reden und die sie vor Lola nicht aussprechen will. Als die Kinderärztin am Nachmittag desselben Tages anruft, sitzt Maren A. gerade mit ihrer vierjährigen Tochter am Tisch, das sechs Wochen alte Baby auf dem Arm. Lola macht ihre Hausaufgaben. Dann geht alles sehr schnell.

Matthias Dürken, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. © UMM

Leukämie bei Kindern: Heilungschancen von rund 90 Prozent

„Die Kinderärztin war sehr einfühlsam, sagte, sie hoffe, dass sie sich irrt. Aber wenn es das ist, wovon sie ausgeht, sei es etwas ganz Schlimmes. Ob sie es aussprechen solle, oder ob ich Bescheid wisse? Wir sollten noch heute ins Klinikum fahren, also sofort“, erinnert sich Maren A. Da hatte die Kinderärztin längst in der Universitätsklinik Mannheim (UMM) angerufen.

Maren ahnt das unausgesprochene Wort und fängt an zu weinen. Sascha A. fährt mit Lola ins Krankenhaus. Sie will gar nicht dorthin, weil sie ja weiß, dass ihr dort Blut abgenommen werden soll. In der Ambulanz wird schnell klar, dass etwas nicht stimmt, die Anzahl der Thrombozyten in Lolas Blut ist viel zu gering. „Ich habe drei Stunden gewartet und für sie, für uns alle gehofft, dass es nicht Leukämie ist. Aber als die Ärztin uns hereingerufen und mich angeschaut hat, war es mir eigentlich schon klar.“ Es ist 22 Uhr, als seine schlimmste Befürchtung Gewissheit wird.

Eine Krankheit, über die Lolas Eltern bis zu diesem Zeitpunkt kaum etwas wissen. Aber doch genug, dass die Diagnose sie in große Angst versetzt. Leukämien sind seltene, bösartige Erkrankungen des blutbildenden oder lymphatischen Systems. Meistens erkranken Erwachsene, aber manchmal trifft es auch Kinder. Nur etwa vier Prozent der Erkrankten sind unter 15 Jahre alt. In Deutschland erkranken jährlich 2200 Kinder und Jugendliche an Krebs. In der Onkologischen Klinik der UMM werden jährlich rund 60 Minderjährige behandelt.

Das Warten auf Neuigkeiten

Vater und Kind müssen im Krankenhaus bleiben und sofort auf die Kinderkrebsstation, Station 31-4, wo sie isoliert werden; zu groß ist die Gefahr einer Infektion für Lola. Ihre Blutwerte sind so schlecht, dass die das Kind noch in der Nacht ihre erste Bluttransfusion bekommt. Am nächsten Morgen wird das Knochenmark zum ersten Mal punktiert, um die Krebsform zu bestimmen. Für den Vater ist es schrecklich, eine Dreiviertelstunde zu warten.

Am nächsten Tag wird Nervenwasser aus der Wirbelsäule entnommen und Lola bekommt einen Herzkatheder. Am übernächsten Tag beginnt bereits die Chemotherapie. Diese dauert einen Monat, ihr Vater bleibt Tag und Nacht bei seiner Tochter im Isolationszimmer. Sein Homeoffice verlegt er ins Krankenhaus, sein Arbeitgeber ist glücklicherweise verständnisvoll. Die Mutter kümmert sich um das Baby, die vierjährige Tochter und besucht die beiden jeden Tag.

In den ersten Wochen sitzt der Schock bei Lolas Eltern tief. Maren bricht oft in Tränen aus, Sascha berichtet, dass er zwar recht gut funktioniert habe. „Richtig darüber reden konnte ich in den Wochen aber noch nicht, weil ich dann relativ schnell weinen musste. Das Schlimmste war der Moment, als sie uns die Diagnose gesagt haben. Ich habe mich zusammengerissen, aber das war schon heftig.“

Zu diesem Zeitpunkt sind eine Ärztin, eine Psychologin und zwei Assistenzärzte im Raum. Sie sagen dass die akute lymphoblastische Leukämie der Blutkrebs ist, den die meisten Kinder haben. Er ist am besten behandelbar und hat die besten Heilungschancen. Aber Maren und Sascha A. haben tausend Gedanken und Ängste, während sie gleichzeitig den Ärzten zuhören wollen. Viele Informationen prasseln auf die Eltern ein, während sie noch unter dem Schock der Diagnose stehen. Nach dem Gespräch stellen sie fest, dass sich beide an verschiede Dinge erinnern.

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Auch für die Ärzte ist es belastend, Eltern eine Krebsdiagnose ihres Kindes überbringen zu müssen, „weil wir uns natürlich auch in die Familien mit ihren Sorgen und Ängsten hineinversetzen. Ich bin selbst Vater“, sagt Matthias Dürken, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der UMM. Eine Psychologin unterstützt die Ärzte. Sie ist die ganze Zeit anwesend und auch anschließend für die Familie jederzeit ansprechbar.

Ein bis zwei Stunden würden für ein ausführliches Erstgespräch mit den Eltern eingeplant. Die Ärzte sprechen dabei nicht nur über die Diagnose und die Krankheit, sondern vor allem auch über Heilungschancen, Behandlungsmöglichkeiten und ihre Nebenwirkungen. „So können wir oft trotz der zunächst extrem schockierenden Diagnose auch hoffnungsvolle Nachrichten überbringen: Dank des medizinischen Fortschritts sind heute rund vier von fünf Krebserkrankungen bei Kindern langfristig heilbar. Bei Leukämien sogar rund 90 Prozent - das ist deutlich besser als bei erwachsenen Patienten“, sagt Dürken.

Lola möchte nichts von ihrer Krankheit hören

Lola redet anfangs überhaupt nicht mit den Ärzten und will von ihrer Krankheit nichts hören. Bis heute ist es für sie schwer zu verstehen, was los ist: Sie hat eine ernste Krankheit, aber sie ist nicht ansteckend. Sie darf aber trotzdem nicht in die Schule, damit sie sich nicht ansteckt. Eigentlich geht es ihr gut, und dann bekommt sie Medikamente, von denen es ihr teilweise schlechter geht als vorher. Wochen später sagt Lola ihrer Mutter, dass sie nie wieder darüber sprechen will. Sie hatte am Montag mit einer Freundin über Krebs gesprochen und am nächsten Tag die Diagnose bekommen; sie denkt, das sei der Grund.

Nach einem Monat darf Lola für eine Woche nach Hause. Dann folgen im Wechsel fünf Tage Chemo und vier Tage daheim - je nachdem, wie gut die Therapie anschlägt. Manchmal sind die Werte zu schlecht, um weiterzumachen. Dann sitzen Vater und Tochter auf gepackten Koffern und müssen warten. Das finden sie fast noch schlimmer, als die Therapie so schnell wie möglich abzuschließen.

Leukämie bei Kindern: Mehrere Monate Chemotherapie

Drei Monate später, im Januar 2023, habe Lola einen gesunden Blick auf ihre Krankheit, die man inzwischen Krebs nennen darf. Sie darf die Schule für Kranke in der UMM besuchen und kennt andere Kinder, die aufgrund der Chemotherapie auch keine Haare mehr haben. „Damit kommt sie besser zurecht, als ich es erwartet habe. Das macht es auch für mich leichter. Die fehlenden Haare machen die Krankheit sichtbar. Aber es ist ja eigentlich überhaupt nicht schlimm, denn sie wachsen ja wieder nach“, sagt Maren A.

Auch die Schule für Kranke in der UMM und die Aktion für krebskranke Kinder Mannheim der Deutschen Leukämie Forschungshilfe haben der inzwischen Siebenjährigen und ihrer Familie geholfen, diese schwere Zeit durchzustehen. Eigentlich sollte Lola in ihrem Zimmer unterrichtet werden, ihre Eltern haben sich aber dafür eingesetzt, dass ihre Tochter mit ihrem Infusionsständer hinüber ins Klassenzimmer gehen darf. Dort trifft sie jeden Tag für vier Stunden ihre beiden Klassenkameraden.

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Sechs bis neun Monate dauert die Chemotherapie voraussichtlich, dann wird für Lola und ihre Familie wieder ein normales Leben anfangen. Sie darf nach Hause, wieder in die Schule und Sport machen, der Katheter kommt raus. Sie gilt dann als geheilt. „Darauf warten wir und darauf fiebern wir hin“, sagt Maren A. Auf der Kinderkrebsstation hängt eine große Glocke. Jedes Kind, das die Station verlässt, darf diese Glocke läuten, so lange es will. Lola freut sich darauf, wenn sie endlich dran ist, aber noch mehr auf die Süßigkeiten, die dann auf einem Tischchen für sie bereitstehen werden. Im Juni wird sie auf der Station 31-4 hoffentlich ordentlich Krach machen.

Freie Autorin

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