Mannheim. Distickstoffmonoxid – besser bekannt als Lachgas – hat Medizingeschichte geschrieben. Schließlich ist das geruchslose, dafür leicht süßliche Gas anno 1844 von dem amerikanischen Zahnarzt Horace Wells erstmals als Narkosemittel verwendet worden. Die Geburtsstunde der Anästhesie! Auch aktuell sorgt Lachgas für Schlagzeilen. Diesmal als legale Partydroge. Das Rauschmittel ist zwar erlaubt, aber keineswegs ungefährlich. Michael Platten, Chef-Neurologe der Universitätsmedizin Mannheim (UMM), warnt vor dem schnellen Kick aus der Kartusche beziehungsweise aus dem Luftballon.
Lachgas hat Auswirkungen auf Blutbildung
Gerade unlängst ist auf seiner Station ein junger Mann eingeliefert worden, der nach wiederholtem Lachgas-Konsum das Bewusstsein verloren hatte, nicht mehr laufen konnte und auf den Rollstuhl angewiesen war. Michael Platten weiß aus der Fachliteratur wie aus dem Behandlungsalltag, dass häufig inhaliertes Distickstoffmonoxid schwere Nervenschäden im Rückenmark auszulösen vermag. Außerdem kann der Vitamin-B12-Stoffwechsel, der bei Zellteilung, Blutbildung und Nervenfunktionen eine wichtige Rolle spielt, folgenschwer beeinträchtigt werden. „Tückischerweise sind manche der Schäden irreversibel“, kommentiert der Direktor der Neurologischen UMM-Klinik das Risikopotenzial.
„Missbrauch von Lachgas nimmt zu“, titelte Mitte September das Ärzteblatt und verwies auf das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Dieses gab bekannt, dass sich innerhalb eines Jahres die Zahl der Fälle von 68 auf 215 mehr als verdreifacht hat. Als problematisch wird gesehen, dass Distickstoffmonoxid aufgrund der Legalität leicht erhältlich ist: Der Verkauf läuft über Anbieter im Internet, aber auch an Kiosken und in Supermärkten.
„In Mannheim haben wir aktuell 20 Sachverhalte in Verbindung mit Lachgas dokumentiert“, teilt das Polizeipräsidium auf Anfrage dieser Redaktion mit und ergänzt: „In ganz Baden-Württemberg sind aktuell 103 Sachverhalte mit Bezug zu Lachgas bekannt geworden.“ Allerdings ist die Dunkelziffer nur schwer einzuschätzen – zumal inhaliertes Distickstoffmonoxid im Blut nicht nachweisbar ist. In Mannheim wie anderen Städten hat die Polizei deshalb in ihren Info-Angeboten rund um Suchtprävention auch das Lachgas aufgenommen.
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Auch wenn junge Menschen, die den flüchtigen „Glücksbringer“ nutzen, üblicherweise keine Suchtberatungsstellen aufsuchen, so ist das Rauschmittel gleichwohl Thema. Philip Gerber, der als Geschäftsführer des Drogenvereins Mannheim für Inhalte und Innovation zuständig ist, erklärt: „Aus Befragungen und unseren Beobachtungen wissen wir, dass Lachgas bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wieder mehr konsumiert wird.“ Er sieht vor allem die Gefahr, „dass sich ein dauerhafter Konsum verfestigt, mit dem sich die negativen Auswirkungen stark erhöhen“.
Lachgas auch Ursache für Verkehrsunfälle
Andere Länder haben bereits reagiert: Seit Jahresbeginn darf in den Niederlanden Lachgas nur noch von Ärzten als Betäubungsmittel verwendet werden. Und Privatpersonen können lediglich mit dem Gas gefüllte Mini-Patronen kaufen, beispielsweise für Schlagsahnespender. Wie das Gesundheitsministerium in Den Haag mitteilte, habe auch die Zunahme von schweren, nicht selten tödlichen Verkehrskollisionen mit Unfallverursachern, die vorher das Rauschgas inhaliert hatten, zu dem Verbot geführt.
Und in Paris, wo die Polizei im letztjährigen Sommer 14 Tonnen Lachgas-Kartuschen beschlagnahmte, ist Minderjährigen ab Mai untersagt worden, zu Freiluftpartys rund um den Eiffelturm, auf großen Plätzen und Parks sowie in bestimmten Straßen das Party-Rauschmittel mit sich zu führen. Im Vorfeld hatte für Furore gesorgt: So manche jener Jugendlichen, die sich abends auf der Champs Elysées mit E-Scootern Wettrennen lieferten, düsten mit Lachgas-Kick über die Prachtmeile von Paris.
Da drängt sich ein historischer Rückblick auf: Der amerikanische Zahnarzt Wells, der visionär Distickstoffmonoxid für eine Zahnextraktion ohne Schmerzen verwendete, hatte dessen betäubende wie stimulierende Wirkung bei einer Jahrmarkt-Vorführung entdeckt, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich waren. Obendrein galten damals Lachgas-Partys als letzter Schrei, auch wegen einer veränderten Farbwahrnehmung. Erst als sich aufgrund von Überdosierung dramatische Zusammenbrüche mit folgenschwerem Sauerstoffmangel mehrten, war der große Rausch der berauschenden Partys erst mal vorbei.
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