Mannheim. Es ist wohl eine Mischung aus Glück, Mut und sehr guten Schwimmkenntnissen, dass der Sportlehrer beim zweiten Tauchversuch den vermissten Jungen auf dem Grund des Vogelstangsees entdeckt: Völlig leblos liegt der 15-Jährigen mit dem Rücken auf einem Algenbett - in drei Metern Tiefe.
„Diesen Anblick werde ich so schnell nicht vergessen, es war purer Zufall, dass ich am See war“, so beschreibt es Boris Münzer später, als er den Vorfall dem „MM“ schildert. Was der Familienvater aus Dudenhofen bei Speyer dann am Telefon berichtet, ist aber nicht nur die Geschichte eines Jungen, den das schnelle Handeln von anderen Badegästen vor dem Ertrinken gerettet hat. Sondern es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass gerade an unbewachten Seen Badegäste wie Münzer auf Nichtschwimmer achten - und im Notfall mit vereinten Kräften direkt reagieren.
Ertrinkende erkennen
Wer am Ertrinken ist, wedelt laut DLRG nicht panisch mit den Armen oder schreit, die Stimmritzen verschließen sich. Außerdem fehlt oft die Kraft, um auf sich aufmerksam zu machen.
Ertrinkende halten sich senkrecht im Wasser, strecken die Arme zu beiden Seiten aus, um Auftrieb zu bekommen. Und sie tauchen immer wieder unter Wasser. Dabei setzt auch der Kleinkind-Reflex ein: Wer mit dem Gesicht im Wasser landet, hört auf zu Atmen und liegt still. Zu Ertrinken dauert 30 bis 60 Sekunden lang.
Weil sie einen anderen Körperschwerpunkt haben, sinken Kindern schneller unter Wasser. Bei Kindern unter drei Jahren setzt ein Totstellreflex ein: Dabei erstarren sie vor Angst und können den Kopf nicht mehr heben.
Eltern sollten Spielregeln verabreden und sich auch nicht durch Smartphones ablenken lassen. Auch Schwimmhilfen für Kinder sorgen für mehr Sicherheit im Wasser. Nichtschwimmer sollten sich immer nur bis zum Bauchnabel im Wasser und in Ufernähe aufhalten.
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„Wichtig ist aber, dass man zuerst die Gefahr für sich selbst im Gewässer einschätzt. Und seine eigenen Kräfte nicht überschätzt. Sonst sind später gleich zwei Menschen in Not. Schon 50 bis 100 Meter als Schwimmstrecke sind beachtlich, fürs Tauchen in der Tiefe braucht es viel Kondition“, warnt Thorsten Großstück von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Mannheim. Der stellvertretende Vorsitzende und Leiter der Einsatzgruppe stellt klar: Die meisten, die im Wasser untergehen, schreien weder um Hilfe noch fuchteln sie vorher wild mit den Armen. Vielmehr sei es ein „stilles Ertrinken“, würden dabei die Bewegungen langsamer, sinke der Kopf immer tiefer ins Wasser, bis man einfach untergehe. Auch deshalb behalten die DLRG-Kräfte gerade die langsamen Schwimmenden im Blick.
So oder so ähnlich muss es wohl auch dem 15-Jährigen ergangen sein, der an diesem heißen Montagnachmittag Anfang August mit zwei Freunden allein am Vogelstangsee in Ufernähe planscht - und plötzlich verschwindet. Nur wenige Minuten davor bemerkt Familienvater Münzer, der zum ersten Mal den See in Mannheim besucht, die drei Halbstarken. Auch weil sein Sohn direkt neben der Gruppe im Wasser spielt. Da die Jungen sich aber bewusst nicht tiefer ins Wasser wagen als bis zu den Knien, hin und wieder zarte Schwimmversuche unternehmen, erkennt der Sportlehrer: Wahrscheinlich können die Jungs nicht schwimmen. Seine Entscheidung, besser die drei Teenager im Auge zu behalten, rettet später einem der Jungen wahrscheinlich das Leben.
Badeausflüge enden nicht selten mit einem Unglück
Schließlich enden Badeausflüge nicht selten tödlich, wie ein Unglücksfall am Vogelstangsee aus dem Vorjahr zeigt: Damals war ein achtjähriges Mädchen dort ertrunken. Die Mutter hatte die Achtjährige an einem späten Samstagabend als vermisst gemeldet, nachdem sie ihr Kind bei einem Ausflug an den See längere Zeit nicht mehr gesehen hatte. Rettungstaucher entdeckten das bewusstlose Kind später unter der Wasseroberfläche, das Mädchen starb im Krankenhaus.
Wie schwer es ist, in freien Gewässern Ertrinkende, die schon untergegangen sind, wieder zu finden, betont auch DLRG-Einsatzleiter Großstück. „Oft hat man nur einen halben Meter Sicht, das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.“
Badeverbot im Rhein
- In Mannheim gilt ein grundsätzliches Badeverbot in Rhein und Neckar. Das hat der Gemeinderat zuletzt 2019 bestätigt. Ein Antrag der Grünen, das Schwimmen im Rhein zu erlauben, fand seinerzeit keine Mehrheit. Fachleute wie die DLRG raten ohnehin dringend davon ab. „Der Rhein ist definitiv kein Gewässer, um schwimmen zu sehen“, sagt ein Sprecher der Lebensrettungsgesellschaft.
- Der Fluss ist durch seine unebene Gewässersohle voll von Strömungen und Wirbeln, die selbst die geübtesten Schwimmer an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen. Immer wieder gibt es Todesfälle von Menschen in der Region zu beklagen, die von der Strömung im vermeintlich seichten Gewässer mitgerissen wurden. 2018 starben bei Worms auf diese Weise zwei Mädchen im Alter von neun und 13 Jahren. Die Gefahr ist nicht geringer geworden, sondern eher gestiegen, seit der Fluss weniger Wasser führt. Denn dadurch ist die Strömung schneller.
- Der niedrige Pegelstand sagt nichts über die tatsächliche Wassertiefe aus. Wenn der Pegel bei Worms beispielsweise bei 13 Zentimetern liege, bedeute das nicht, dass nur noch 13 Zentimeter Wasser im Fluss seien, so ein Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtverwaltung Oberrhein. Die Tiefe in der Fahrrinne liegt derzeit immer noch bei über einem Meter.
An Baggerseen lauerten immer ähnliche Gefahren: Meistens fällt das Ufer schräg ab, bringen Wasserpflanzen oder Temperaturunterschiede Schwimmer aus der Ruhe. Wer noch dazu seine Schwimmfähigkeit mit Leichtsinn, Übermut und Alkohol kombiniert oder ohne Abkühlung überhitzt ins Wasser springt, kann leicht in Not geraten.
Dass an jenem Montagnachmittag plötzlich etwas nicht stimmt, realisiert Münzer, als er nach einer Weile wieder zu den Jugendlichen blickt. Die planschen nicht mehr vergnügt, sind nur noch zu zweit, sprechen sogar verzweifelt einen Fahrradfahrer an - der daraufhin in voller Montur in den See springt, um erfolglos nach dem Vermissten zu tauchen. Am Ufer stehen bereits zwei Männer, die immer wieder ratlos und kopfschüttelnd aufs Wasser schauen. „Ich hab’ nicht lange nachgedacht, mir die Taucherbrille von meinem Sohn geschnappt und bin reingesprungen“, erinnert sich der 42-Jährige, der leidenschaftlicher Schwimmer ist.
Weitsicht des Schwimmers retten dem Jungen das Leben
Mit der Brille hat er gute Sicht, entdeckt den Jungen beim zweiten Tauchgang und zieht ihn an den Armen aus der Tiefe. An Land gelingt es Münzer und fünf weiteren Helfern, den Jungen wiederzubeleben - der tatsächlich wieder anfängt zu Atmen, die Augen aufschlägt und versucht, davonzulaufen. Der Ersthelfer verwickelt den 15-Jährigen in ein Gespräch - um ihn bei Bewusstsein zu halten, bis die alarmierten Rettungskräfte eintreffen. Die gleichaltrigen Freunde des Jungen helfen beim Übersetzen. Denn der Gerettete stammt aus dem kleinen afrikanischen Staat Eritrea, spricht kaum Deutsch.
Bei solchen Rettungsaktionen, weiß der stellvertretende DLRG-Chef Großstück, ist jede Sekunde entscheidend: Schon eine bis zwei Minuten unter Wasser seien kritisch. Wer bereits untergegangene Personen wieder an die Wasseroberfläche bringen will, sollte ihnen unter die Achseln greifen, später den Kopf am Kiefer übers Wasser halten. Der Experte empfiehlt Helfenden auch, sofort mit der Reanimation an Land zu beginnen. Dabei sei vor allem die Herzdruckmassage entscheidend. „Jeder und jede sollte sich zum Rettungsschwimmer ausbilden lassen. Für uns gehört das wie ein Erste-Hilfe-Kurs zum Grundwissen“, findet Großstück.
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Zwar gelingt es Münzer und den anderen Lebensrettern, die während der zur Suche nach dem Jungen auch den Notruf wählen, den Gerettetem lebend den Sanitätern zu übergeben. Seitdem aber lässt den Familienvater eine Frage nicht mehr los: Wie geht es dem Jungen heute?
Über den Jugendlichen weiß der Sportlehrer nur das, was ihm der 15-Jährige nach der Reanimation selbst kurz und knapp erzählt hat: Er wohne seit einem Jahr mit seiner Mutter in Deutschland und gehe in Mannheim zur Schule. Was der 42-Jährige dem Geretteten gerne sagen würde, wenn es ihm gelingt, ihn wieder zu finden? „Ich würde gerne dem Jungen und seinen beiden Freunden Schwimmen beibringen. Oder einen Schwimmkurs bezahlen - denn das halte ich für sehr sinnvoll“, findet Boris Münzer.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar An unbewachten Gewässern sind achtsame Badegäste wie eine Lebensversicherung!