Mannheim. „Total verkitscht“, findet Marion Hartard den Weltfrauentag. Sie ist Sozialarbeiterin beim Fraueninformationszentrum (FIZ) in Mannheim und sagt: „An einem Tag Tulpen und Rosen verteilen und die Frauen einen Tag würdigen, lenkt von der Wirklichkeit ab.“ Nämlich von Missständen. Weltweit, in Deutschland und auch in Mannheim. Man solle an diesem Tag eher noch deutlicher darauf hinweisen, dass Frauen in vielen Lebensbereichen von Gewalt betroffen sind, sagt Hartard.
In ihrer täglichen Arbeit ist sie mit ihrer Kollegin Tina Wagner damit konfrontiert, was es heißt, wenn Frauen Gewalt durch Männer erleiden. Implizit oder explizit, auf unterschiedlichste Arten: durch Worte oder durch Taten. Vom Ehemann, der seiner Frau sagt: „Der Rock ist zu kurz, so gehst du mir nicht raus“ - bis zum brutalen Schläger. Aus ihrer Arbeit in Mannheim kennen sie all diese Beispiele.
Aber auch besonders problematische Trennungen und Scheidungen, finanzielle Abhängigkeit als Druckmittel, Kampf um Kinder mit psychologischer Gewalt sind ihnen aus dem Tagesgeschäft gut bekannt. Und die Zahlen der von Gewalt Betroffenen, die Beratungsgespräche aufsuchen, steigt. Und zwar stetig. Das sei schon vor der Pandemie so gewesen, erklärt Wagner. Seit der Pandemie aber noch einmal um ein vieles Mehr. So verzeichnete die Beratungsstelle im Jahr 2014 noch 560 Beratungskontakte, 2021 bereits 877.
Um den Beratungsaufwand abzufangen, Beratungen zu gewährleisten, auch Öffentlichkeitsarbeit für das immer drängendere Thema zu betreiben, braucht es Geld. Doch das fehlt - und mit ihm auch das wichtige Personal, das sich kümmert. Zusätzliche Aufgaben seien durch aktuelle Entwicklungen zudem „on top“ dazugekommen, ohne dass das Budget wachse. Zuletzt etwa der neue Arbeitsbereich „Arbeit mit Frauen mit Fluchthintergrund“.
Demo-Aktion und Fakten
- Öffentliche Straßenaktion mit Schildern am 8. März am Straßenrand der Reichskanzler-Müller-Straße/Ecke Kepler Straße um 16 Uhr sowie am 9. März in der Augusta-Anlage (Mittelstreifen)/Ecke Otto-Beck-Straße, ebenso 16 Uhr.
- Unterstützung dafür erhält das FIZ u. a. durch Drogenverein, Vorstand Paritätischer Kreisverband Mannheim (dessen Mitglied es ist), Antidiskriminierungsbüro, SPD-Fraktionsvorsitzenden Thorsten Riehle, den Flüchtlingsseelsorger der Katholischen Kirche Mannheim und Privatpersonen.
- Das Fraueninformationszentrum ist die ambulante Beratungsstelle des Mannheimer Frauenhaus e.V. Es unterstützt Frauen in schwierigen Trennungs- und Scheidungssituationen und berät Frauen, die Wege aus einer gewalttätigen Beziehung suchen. Es informiert zu Wohnungsverweis, Gewaltschutzgesetz und Stalking. Immer unabhängig vom Aufenthaltsstatus, Alter, mit und ohne Behinderung, gleich welcher Lebensform.
- Spendenkonto: Förderverein Frauenhaus e.V., Spende für die Beratungsarbeit im FIZ, Sparkasse Rhein Neckar Nord, IBAN: DE17 6705 0505 0030 2467 21, BIC: MANSDE66XXX
„Trotz medialer Präsenz ist das Thema Gewalt gegen Frauen weiterhin ein unliebsames Thema“, sagt Tina Wagner. Die Arbeit im Frauenunterstützungssystem sei der Arbeit in der Familie und allgemein der sogenannten Carearbeit sehr ähnlich. Carearbeit, auch Sorgearbeit genannt, ist überwiegend von Frauen geleistete Arbeit, wie das Pflegen von Angehörigen, Kümmern um Kinder oder Haushalt: „Sie ist sehr anspruchsvoll, es wird viel erwartet, am besten zum Nulltarif, es gibt wenig Anerkennung und das meiste bleibt unsichtbar“, resümiert Wagner. „Wir sind trotz alledem stolz, dass es uns bereits seit 35 Jahren gibt - und auf unsere Errungenschaften. Man wisse aber, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, da es sich bei der Finanzierung immer noch „um eine in der Regel freiwillige Leistung der Kommunen und Länder“ handle. „Und das muss sich ändern“, sagt Wagner. „Deshalb haben wir für den 8. März, dem internationalen Frauentag, eine Plakataktion an befahrenen Straßen in der Mannheimer Innenstadt geplant“, beschreibt sie (siehe Infobox). Ziel der Aktion sei es, vor allem auf die schwierige finanzielle Situation des ambulanten Frauenunterstützungssystem hinzuweisen. „Gleichzeitig haben wir dieses Jahr unser 35-jähriges Jubiläum. 35 Jahre FIZ, aber noch immer keine ausreichende und bedarfsgerechte Finanzierung, steigende Beratungszahlen mit fast gleichbleibenden Personal“, resümiert Wagner mit Nachdruck.
Sie skizziert, dass es schon immer Probleme bei der Finanzierung der Beratungsstelle gab. Etwa 1989, als der „ständige Kampf um die städtischen Zuschüsse seinen Höhepunkt mit der Ankündigung einer 40-Prozent-Kürzung erreichte“, die dann nach wochenlangem Konflikt und Protest auf 20 Prozent zurückgenommen wurde. Das FIZ steht damals kurz vor der Schließung. In den 90er Jahren kann das FIZ durch Spenden- und Bußgelder die Arbeit weiter fortführen. Doch es gibt auch Fortschritte. Etwa 2016 und 2017, als im Rahmen des Landesaktionsplans eine Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse des Frauenunterstützungssystems durchgeführt wird. „Durch die wurde deutlich, dass eine bedarfsgerechte Versorgung von gewaltbetroffenen Frauen in Baden- Württemberg lückenhaft ist“, beschreibt Wagner. Daraus entstand die Erarbeitung einer Verwaltungsvorschrift zum Ausbau und Finanzierung der Fachberatungsstellen im Land. Und damit erstmals eine finanzielle Förderung auf Landesebene.
Als „kleinen Meilenstein“ bezeichnet Wagner das Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift im Jahr 2021. „Seitdem gibt es erstmals Landesfinanzierung des ambulanten Frauenunterstützungssystems in Baden-Württemberg!“, so Wagner. Und sie verweist auf die „Unterstützung aller Fraktionen im Gemeinderat der Stadt Mannheim“. „Dank der gibt es seit 2022 zusätzliche Gelder für die Clearingstellenarbeit aufgrund steigenden Bedarfs und steigender Fallzahlen“, macht Wagner deutlich. Die Polizei informiert Opfer häuslicher Gewalt über die proaktive Beratung der Clearingstelle, und diese nimmt innerhalb von 48 Stunden Kontakt zum Opfer auf.
„Aber es gibt weiterhin Luft nach oben“, so Hartard. „Und es gibt einfach immer noch keine verbindliche Regelung, die Leistung der Kommunen und Länder kann also jederzeit gekürzt werden.“ Planungssicherheit für die Beratungsstellen also Fehlanzeige. Obwohl sie sich mit einem Dauerproblem beschäftigen. „Und obwohl sich Deutschland mit der Ratifizierung der Istanbul Konvention 2019 verpflichtet hat, ein bedarfsgerechtes Hilfe- und Unterstützungsnetz zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen bereitzustellen“, so Hartard.
Ein großer Geldgeber ist besonders das Land: „Bisher wird davon ausgegangen, dass eine Finanzierung der Fachberatungsstellen über die ,Verwaltungsvorschrift Fachberatungsstellen’ auch nach 2023 gesichert werden kann“, sagt Markus Jox, Sprecher des baden-württembergischen Sozialministeriums auf Anfrage zur Problematik. Förderung der Second-Stage Projekte (Unterstützung nach Aufenthalt im Frauenhaus) konnte etwa bis 2025 sichergestellt werden, so Jox. Zur Kritik am Umsetzen der Istanbul-Konvention sagt Jox, das Land sei finanziell in den letzten Jahren verstärkt in die freiwillige Unterstützung eingestiegen. „Seit 2017 (1,7 Mio. Euro) hat das Land die Haushaltsmittel im Bereich Gewalt gegen Frauen bis 2021 (10,7 Mio. Euro) mehr als versechsfacht.“ Man komme der Förderung nach: „Ebenfalls in der Pflicht zur Sicherstellung der Versorgung sind die Kommunen im Land“, betont Jox.
Zudem listet er verstärkte Förderungen, etwa für Fachberatungsstellen gegen häusliche und sexuelle Gewalt sowie Prostitution und Menschenhandel und eine Platzzahlenerhöhung in Frauenhäusern von 741 (2009) auf 826 (2021) auf.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-weltfrauentag-ist-total-verkitscht-mannheimer-aktion-richtet-blick-auf-realitaet-_arid,1922577.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Weltfrauentag ist mehr als ein Gedenktag: Kampf noch nicht vorbei