Mannheim. Aufgesprengte Türen, alarmierte Nachbarn, traumatisierte Jugendliche und eine hitzige Debatte unter Stadträten - das ist die vorläufige Bilanz des Einsatzes eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Käfertal. Das hatte an einem frühen Donnerstagmorgen Ende April Räume in dem Stadtteil gestürmt und dabei vier junge Austauschstudenten aus dem westafrikanischen Benin angetroffen.
Über den weiteren Verlauf aber herrscht Uneinigkeit, beschäftigt der Vorfall nun auch Stadträte, Nachbarn sowie den Vermieter der gestürmten Wohnung. So sehr, dass er sich an den „MM“ gewandt hat: „Das war keine Wohnung, sondern Büroräume. Die Männer haben da ohne Absprache, also illegal übernachtet“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte.
Er erklärt auch, dass er das Büro mit einer Fläche von 120 Quadratmetern seit mehreren Jahren an einen Kfz-Händler vermietet hat - und der bislang unauffällig gewesen sei. Allerdings ist es offenbar genau dieser Mieter, den die Polizei ins Visier genommen hatte. Der Verdacht nach intensiven Ermittlungen: Rauschgifthandel und Waffenbesitz.
Verdächtig verpackte Lebensmittel
Beim Stürmen des Büros finden die Beamten damals neben dem Verdächtigen auch vier Austauschstudenten aus Westafrika vor. Als Gäste der Initiative Black Academy, auch „Schwarze Akademie“, waren die Jugendlichen als Klimaaktivisten und Teil eines Jugendaustauschprogramms nach Mannheim eingeladen und dort zur Übernachtung einquartiert worden. Wohl völlig überrumpelt von den bewaffneten Einsatzkräften packt die Aktivisten die Angst - und treibt sie zur Flucht über eine Terrassentür.
Die Polizisten nehmen die Verfolgung auf, legen den Männern zunächst Handschellen an und durchsuchen sie und die Unterkunft. Weil sich die verdächtigen Gegenstände später als ungewöhnlich verpackte Lebensmittel entpuppen, lassen die Beamten die Jugendlichen wieder frei, erklären ihnen die Sachlage auf Englisch und Französisch. Später ziehen die Einsatzkräfte nach anderthalb Stunden wieder ab.
Nachbarn als Zeugen gesucht
So schildert es der offizielle Polizeibericht und geht es aus der Antwort des Polizeipräsidiums auf Anfrage dieser Redaktion hervor. Eine andere Version veröffentlicht die Black Academy selbst, wirft der Polizei Rassismus und Polizeigewalt vor.
In der Stellungnahme der Akademie, die eine Woche später am 2. Mai, pünktlich zur Demo zum Jahrestag des tödlichen Polizeieinsatzes am Marktplatz veröffentlicht wird, heißt es: Die jungen Austauschstudenten seien „ohne Schuhe aus ihrer Wohnung geholt, gewaltvoll behandelt und in Handschellen abgeführt“ worden. Und das stundenlang bei „extremen Temperaturen, an die sie nicht gewöhnt sind“. Außerdem sollen die Polizeikräfte verboten haben, mit Vertretern der Academy oder des Projekts Kontakt aufzunehmen.
Das sagt der Vermieter
„Hier werden Tatsachen verdreht. Die Polizei hat sich sachlich verhalten, das haben mir auch die anderen Mieter berichtet“, sagt der Vermieter, der dieser Redaktion auch Fotos weiterleitet, die den SEK-Einsatz sowie ein Flugblatt zeigen sollen - aufgenommen von Nachbarn. Die informieren den Vermieter auch über einen verteilten Zettel, über den die Akademie Zeugen sucht: „Wer hat etwas gesehen? Zeugen gesucht! Die Männer sind unschuldig und auf Aussagen von Zeugen für rechtliche Schritte angewiesen“, heißt es darauf.
Nun fragt sich der Hauseigentümer: Warum wurden die Studenten statt in einem Hotel in seinem illegal weitervermieteten Büro untergebracht? Dass der Kfz-Händler seit knapp einem Jahr wenige Quadratmeter an den Verein Place untervermietet, sei bekannt und geduldet worden, räumt der Vermieter ein. Die Untermiete sei dennoch illegal, da es zwar einen Vertrag gebe - den er, so der Vermieter, weder abgesegnet noch gesehen habe.
Verein ruft zu Spenden auf
Der Verein als Untervermieter ist Mitbegründer der Black Academy, die von Stadt und Goethe-Institut gefördert wird. Ob die Initiative den Raum angemietet hat, wie gut sie den beschuldigten Mieter kennt und warum die Wahl auf diese Unterkunft gefallen ist - diese Fragen hat die Redaktion an die Akademie gerichtet - mit der Bitte um eine Stellungnahme. Diese ließ die Initiative bislang unbeantwortet.
Stattdessen erreicht die Redaktion einige Tage später die Pressemitteilung einer Crowdfunding-Plattform. Darin meldet sich Place zu Wort, bezeichnet sich als Verein, der den Austausch organisiert hat. Ruft zu Spenden mit einem Ziel von 10 000 Euro auf. Denn „um Gerechtigkeit für die vier jungen Männer zu erreichen, bedarf es finanzieller Unterstützung für die Gerichtskosten und die psychologische Betreuung“. Im Aufruf erneuert der Verein seine Vorwürfe von rassistischer Polizeigewalt, erklärt: Die Spezialkräfte seien ohne Durchsuchungsbefehl eingedrungen, die Männer „mit brutaler Gewalt“ gefesselt worden. Nun seien sie mit traumatischen Erfahrungen zurückgeflogen.
Der Fall hat bereits für Wirbel gesorgt, hatte Oberbürgermeister Peter Kurz die Betroffenen direkt ins Rathaus eingeladen sowie psychologische Betreuung zur Seite gestellt. Integrationsbeauftragter Claus Preißler betont in der Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung später, wo der Einsatz eine hitzige Debatte auslöst: Wichtig sei, dass die Jugendlichen den Einsatz nach eigenem Empfinden als rassistischen Übergriff der Staatsgewalt erlebt haben. Im zweistündigen Gespräch mit Kurz und Migrationsbeirat sei die Ohnmacht und Wut greifbar im Raum gewesen.
Ulrike Schäfer, Vizepräsidentin des Polizeipräsidiums Mannheim, ist auch im Ausschuss und betont: „Dass der Vorfall von den Jugendlichen als rassistisch empfunden worden ist, bedauere ich zutiefst, weil es nicht so war. Ich möchte noch einmal klarstellen: Die Maßnahmen, die getroffen wurden, waren nicht rassistisch motiviert. Die Unterscheidung ist wichtig.“ Und versichert: Diese Wohnung wäre genauso durchsucht worden, wenn dort Studierende aus Berlin gewesen wären. Schäfer weist den Vorwurf zurück, dass die Polizei unter einem Vorwand eingedrungen sei. Es habe zwei richterliche Durchsuchungsbeschlüsse gegeben gegen zwei Beschuldigte, die im Rauschgifthandel aktiv seien.
Aus Sicherheitsgründen draußen
Dass dort Studenten übernachten, sei nicht bekannt gewesen. Die Vizepräsidentin sagt: Sie seien aus Sicherheitsgründen auf die Straße gestellt und mit Jacken, Decken und Schuhen ausgestattet worden, da man Sprengstoff in der Wohnung vermutet hatte. Der dazu geeilten Betreuerin habe man Auskunft erteilt, eine Visitenkarte ausgehändigt.
Auf Anfrage erklärt das Präsidium: Der beschuldigte Mieter sei auf freiem Fuß, gegen ihn werde ermittelt. Waffen seien in der Wohnung sichergestellt worden. Eine Anzeige der Jugendlichen oder ihrer Vertreter gegen Beamten wurde bislang nicht erstattet. Wie man in Mannheim zukünftig mit solchen Vorfällen umgehen will? Die Mannheimer Liste fordert in einem Antrag zum Gemeinderat eine Aufarbeitung der Diskussion über den SEK-Einsatz.
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