Mannheim. Fehlende Kontrollen, reduzierte Technik, gravierende Mängel im Brandschutz: Die für die Wiederöffnung des Fahrlachtunnels verantwortlichen Projektkoordinatoren Alexandre Hofen-Stein und Alex Stork haben im Bericht zur Aufarbeitung, wie es zur Schließung des Tunnels kommen konnte, ein beispielloses Verwaltungsversagen in den vergangenen rund 40 Jahren präsentiert. Auf Anfrage äußern sich am Tag danach die Gemeinderatsfraktionen, welche Konsequenzen folgen müssen, wer Verantwortung trägt und wie sie den Zustand der Brücken bewerten. Die zuständige Bürgermeisterin Diana Pretzell (Grüne) hatte im Ausschuss gesagt, dass bei den Bauwerken ebenfalls „einiges an Sanierungsbedarf“ bestehe. Alle Fraktionen loben die Aufklärungsarbeit von Hofen-Stein und Stork.
Grüne
Für die größte Fraktion ist klar, dass technische Anlagen von hoher Relevanz „nur unzureichend beim Bau umgesetzt worden sind“, heißt es. „Es ist daher nicht auszuschließen, dass bei der Generalsanierung ab 2024 weitere Entdeckungen und Überraschungen folgen.“ Defizite müssten weiter aufgearbeitet, Kontrollmechanismen geschaffen und Zuständigkeiten „möglicherweise“ neu verteilt werden. „Wir können nach einer solchen Diagnose nicht zum Tagesgeschäft übergehen.“ Außerdem müsse geprüft werden, ob bei Brücken „ebenfalls Versäumnisse entstanden sind, die sich direkt und indirekt auf die Sanierungskosten und eventuelle Verkehrseinschränkungen in der Gegenwart auswirken“. Es habe allerdings schon Arbeiten an Brücken in den vergangenen Jahren gegeben.
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SPD
Fraktionschef Thorsten Riehle verweist auf ein „Gesamtorganisationsverschulden“, das zur Schließung geführt habe. „Insofern ist es nicht zielführend, nach einer schuldigen Person zu suchen.“ Man brauche künftig „klare Verantwortlichkeiten“ in der Projektsteuerung, gerade wenn es um fachbereichsübergreifende Zuständigkeiten gehe. Laut Verwaltung waren jahrelang mehrere Fachbereiche für die Unterhaltung des Tunnels verantwortlich. Riehle fordert „ein Controlling und eine transparente Dokumentation“ über die Einhaltung aktueller Standards. Aufgrund des Alters der Brücken geht er davon aus, „dass Sanierungsbedarf besteht“. Einzelne Arbeiten seien bereits erfolgt, für andere müsse die Verwaltung nun eine Planung vorlegen.
CDU
Laut CDU hat sich Pretzell „lange Zeit mit der Veröffentlichung der Ergebnisse“ gelassen. Die Fraktion begrüßt aber, dass erste Konsequenzen bereits gezogen wurden, indem Zuständigkeiten neu geregelt und Mängel im Tunnel beseitigt worden seien. Es müssten nun alle „kritischen Bauwerke“ wie Unterführungen oder Brücken überprüft werden. Das „gesamtorganisatorische Versagen“, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Verantwortliche in der Verwaltung gegeben habe. „Das sind der zuständige Baubürgermeister, damals Lothar Quast, und schließlich der Oberbürgermeister“, heißt es. „Das Organisationsversagen ist auch ein Führungsversagen.“
LI.PAR.Tie
Fraktionschef Dennis Ulas fordert, dass sich die Verwaltung neu organisieren müsse, „um derart ,gesamtorganisatorisches Versagen’ bei aktuellen und neu zu errichtenden Ingenieurbauwerken zu verhindern“. Die 2019 erfolgte Berufung eines Tunnelmanagers sei ein „erster und überfälliger Schritt“ gewesen. In der politischen Verantwortung sieht er die damals zuständigen Dezernenten, Fachbereichsleiter und Projektleiter. Weder der für Verkehr zuständige Bürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD) noch Pretzell seien verantwortlich, „da sie dieses Projekt nur geerbt haben“. Neben der Verwaltung müsse sich der Gemeinderat hinterfragen, ob er den personellen und finanziellen Aufwand für die Errichtung, Instandhaltung und Überwachung solcher Bauwerke unterschätzt habe. Über den Zustand der Brücken könne die Fraktion „keine qualifizierte Aussage treffen“.
AfD
Für die AfD hat sich bei der abrupten Sperrung des Tunnels abgezeichnet, „dass hier in der Vergangenheit etwas grundlegend falsch gelaufen ist“, erklärt Fraktionsvize Rüdiger Ernst. Auch er fordert, Verantwortlichkeiten „eindeutig“ zu regeln und Kontrollinstanzen einzuführen. „In anderen Kommunen und Straßenverwaltungen ist es meines Wissens nach nicht zu solch einem dramatischen Versagen bei der Kontrolle von Tunneln gekommen.“ Die Verantwortung sieht Ernst bei zuständigen Dezernaten und deren Führungen. Was die Brücken angeht, erwarte Ernst wegen „des allgemeinen Verfalls der Infrastruktur in ganz Deutschland und besonders in Mannheim“ ebenfalls „keine erfreulichen Nachrichten“ sowie hohe Investitionskosten.
FDP/MfM
Die FDP/MfM-Fraktion lobt den Bericht, teilt aber mit, dass offengeblieben sei, ob Sachverhalte vorliegen, die dienst- oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen müssten. In der Verantwortung „für die krassen Versäumnisse der Vergangenheit“ sieht die Fraktion Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD), seine Vorgänger, zuständige Dezernenten und Amtsleiter. „Hier kann sich niemand aus der Verantwortung ziehen.“ Weil „viele der Brücken“ in einem „kritischen Alter“ sind, sei eine „engmaschige Überwachung“ notwendig. Man erwarte, „dass der Oberbürgermeister die internen Prozesse der Verwaltung auf den Prüfstand stellt“ und schlägt vor, eine Bauzustandsliste für Ingenieurbauwerke einzuführen, wie sie es früher bereits für Hochbauten gab.
ML
Der Mannheimer Liste ist es „völlig unverständlich“, dass es keine vollständigen und umfassenden Überprüfungen des Tunnels gegeben habe. Die Verantwortung dafür liege „im Verantwortungsbereich der beiden grün- und rotgeführten Dezernate, der jeweiligen Dezernenten und sicherlich auch zu einem Teil direkt beim Oberbürgermeister“. Aufsichtspflichten seien verletzt und Führungs- sowie Kontrollpflichten nicht wahrgenommen worden. Die Vorgänge müssten deshalb „auch juristisch geprüft und aufgearbeitet werden“. Durch die Einsetzung des Tunnelmanagers seien erste Lehren gezogen worden. Weitere Kontrollinstanzen seien wichtig. Bei den Brücken erwarte die Fraktion „ähnlich schlechte Nachrichten wie beim Tunnel“, heißt es. „Die Andeutungen der Bürgermeisterin lassen das Schlimmste befürchten.“
Die Verwaltung
Der Sprecher des Oberbürgermeisters, Ralf Walther, teilt mit, es sei wichtig gewesen, Öffentlichkeit und Gremien „schnell und ungefiltert“ zu informieren. „Nun stellen sich nach der Vorlage des Berichtes, der übrigens zur Zeit nur aus einer Präsentation und mündlichem Vortrag besteht, dem Oberbürgermeister und der Verwaltungsspitze weitere Fragen zu Inhalt und Konsequenzen“, heißt es. „Diese Fragen müssen zeitnah beantwortet werden.“ Der langjährige (1989-2020) für Bauen, Planung und Stadtentwicklung zuständige Bürgermeister Quast (SPD) war am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Der Mannheimer Fahrlachtunnel ist eine unfassbare Schlamperei!