Mannheim. Es war eine Erfahrung, die sie nie vergessen werden – und eine, die ihnen gezeigt habe, was der europäische Gedanken bedeutet: Die Mannheimer Ralph Kaiser, Cem Cetin, Christian Armbruster, Nico Franke sowie Axel Zimmermann und sein Sohn Oskar sind mit drei gemieteten Kleinbussen und zahlreichen Spenden nach Przemysl an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren und haben auf ihrem Rückweg 14 Geflüchtete nach Mannheim gebracht.
Es ist Anfang März, wenige Tage, nachdem russische Truppen die Ukraine überfallen haben, als sich die vier Freunde treffen. „Ich muss dorthin an die Grenze und organisiere Transporter“, habe Cetin zuvor Kaiser geschrieben. Das Ziel: Sachspenden vor Ort abgeben – und Vertriebene in Sicherheit bringen. „Es ist wichtig, dass neben den großen Organisationen auch die normale Bevölkerung vor Ort Solidarität zeigt“, meint Cetin im Gespräch mit der Redaktion. „Es lag uns am Herzen, selbst etwas zu unternehmen, selbst etwas umzusetzen“, ergänzt Kaiser. „Natürlich war es auch ein Abenteuer. Wir haben aber vor allem – und deshalb haben wir das gemacht – helfen wollen.“

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Mit Spenden und organisatorischer Hilfe, etwa vom bekannten Mannheimer Fotografen Luigi Toscano, bereitet sich die Gruppe tagelang akribisch auf den Trip vor. Auch Axel Zimmermanns Sohn Oskar und dessen Freund Christian stoßen noch dazu. Für die Generation sei die Situation völlig unbekannt, sagt Zimmermann. „Sie sind in einer Selbstverständlichkeit des Friedens und der Freiheit aufgewachsen, die eigentlich keine Selbstverständlichkeit ist.“ Zimmermann berichtet von Stopps an Raststätten, an denen er Zusammenhalt gespürt habe. „Wir haben Autos, Busse und Lkws aus ganz Europa gesehen, die sich Richtung polnisch-ukrainischer Grenze aufgemacht haben, um für westliche Werte einzustehen“, sagt er.
Mit 14 Geflüchteten nach Hause
Im Grenzgebiet lassen sich die Mannheimer unter Vorlage ihrer Ausweise und Führerscheine mit einem Bändchen als Fahrer registrieren.„Das ist wichtig, weil wir uns so von nicht registrierten Menschenhändlern und Kriminellen optisch abgrenzen“, erklärt Kaiser.

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Trotzdem: Während der Reise verläuft nicht alles so reibungslos, wie es sich das Sextett zunächst erhofft hat. 21 Menschen etwa, mit denen Helfer der Gruppe vor Ort bereits in Kontakt standen, hätten kurzfristig andere Wege genutzt, um ihre Flucht fortzusetzen, erfahren die Mannheimer. Weil aber der Montag naht, müssen Franke und Armbruster mit ihrem Kleinbus „leer“ zurück nach Mannheim fahren. „An dem Wochenende waren deutlich weniger Flüchtlinge an der Grenze“, erläutert Kaiser. „Stattdessen gab es ein Überangebot an Transportmöglichkeiten.“
Auch Lehrer mit Hilfsaktion erfolgreich
- Auch eine weitere Gruppe von sieben Mannheimern um Dieter Neuffer, Lehrer an der Carl-Benz-Schule (CBS), und dem Kfz-Meister Kai Michelbach hat 13 Menschen in einem privaten Konvoi aus dem polnisch-ukrainischen Grenzgebiet nach Mannheim gebracht und Spenden abgegeben. Anlaufpunkt war das polnische Bielsko-Biala, etwa zwei Stunden von der Grenze zur Ukraine entfernt. „In meinem Wagen befand sich eine junge Frau mit einem Neugeborenen. Das muss man sich einmal vorstellen“, berichtet Neuffer. Die Aktion sei kräftezehrend gewesen. Aber Müdigkeit und Erschöpfung verdränge man, „weil man weiß, dass man diese Menschen in Sicherheit bringen und ihnen helfen muss“. Weitere Aktionen sind in Planung.
- Das Benzin habe man bisher selbst bezahlt und sei bereit, das auch weiterhin durchzuziehen. Unterstützung, auch in Form von Sachspenden, ist dennoch willkommen. Wer helfen möchte, kann sich über das Sekretariat der CBS (carl.benz.schule@mannheim.de) an ihn wenden.
Nach vielen Gesprächen und einem zusätzlichen Tag an der Grenze finden Kaiser, Cetin und die Zimmermanns schließlich eine Gruppe von 14 Geflüchteten, die mit nach Mannheim fahren. Bis heute hält die Gruppe Kontakt zu den Männern, Frauen und Kindern, die sie zunächst an die Jugendherberge gebracht haben und die anschließend Unterkünfte gefunden haben.
Komplizierte Organisation
„Wir haben ständig wechselnde Situationen erlebt und gelernt, dass man noch viel detaillierter planen muss, als wir es sowieso schon gemacht haben“, resümiert Kaiser, der wie Zimmermann und Cetin eine weitere Fahrt nicht ausschließt. In Gefahr habe sich die Gruppen laut eigener Aussage zwar nie befunden, von spontanen Nachahmungen und unvorbereiteten Fahrten an die polnisch-ukrainische Grenze raten Cetin, Kaiser und Zimmermann aber dennoch ausdrücklich ab. Registrierung, Mautstationen, mehrsprachige Hinweisschilder, das richtige Gepäck, das gezielte Spenden von Hilfs- und Sachgütern sowie vor allem die Kommunikation vor Ort und „andere Sachen, an die man gar nicht denkt“: Vieles müsse bedacht werden und einiges funktioniere nur mit Kontakten, erklären sie – und bieten an, ihre Erfahrungen zu nutzen, um andere bei Vorbereitungen zu unterstützen. „Wir hätten gerne mehr Informationen gehabt, bevor wir losgefahren sind“, erklärt Cetin, der über ukraine-helfer@almend.de erreichbar ist.
Auch die Stadt bietet Möglichkeiten zur Hilfe für die Ukraine an – ohne dafür vor Ort sein zu müssen. Informationen hierzu sind über mannheim.de/ukraine-hilfe-mannheim abrufbar.
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