Lili startet mit einem saftigen Knall in die Welt: Kurz nach ihrer Geburt im warmen Boden einer Vergissmeinnicht-Pflanze saust die kleine Schwebfliege nämlich frontal gegen eine Fensterscheibe. Sie will in den Süden fliegen, zu den Alpen, das fühlt sie tief im Herzen. Den großen Flug, den die kleine Schwebfliege nach dem Fehlstart endlich antreten kann, beschreibt „Ganz oben fliegt Lili“.
Überraschend menschlich
Das Kinderbuch, das die Berliner Autorin in ihrer Zeit als Mannheimer Feuergriffel verfasst hat, ist ein faszinierendes Roadmovie - auch für Erwachsene. Es ist witzig, nachdenklich und - obwohl die meisten Protagonisten Insekten sind - überraschend menschlich. Dass Lili nach ihrem Unfall kein „L“ mehr aussprechen kann, macht den besonderen Charme des Zweiflüglers aus. Wenn die Fliege im Buch spricht, steht überall da, wo ein „L“ stehen sollte, eine kleine blaue Raute. Doch auch ohne diesen Buchstaben treffen ihre Worte ins Herz. Wenn Lili beispielsweise mit dem Po voran durch Wälder und über Meere saust und dabei sagt: „Geich patz ich vor Gück“, kitzelt das gute Gefühl nicht nur der Schwebfliege bis in die Fußspitzen.
Julia Willmann und ihr Feuergriffel-Buch
Der Feuergriffel ist das Mannheimer Stadtschreiber-Stipendium und wird alle zwei Jahre von der Stadtbibliothek ausgeschrieben.
Die Berlinerin Julia Willmann war 2021 die achte Stipendiatin und lebte von April bis Juli im Turm der Alten Feuerwache, um an ihrer Buch-Idee „Die keine Fiege ii und das Rauschen der Welt“ zu arbeiten. Darin geht es um eine Schwebfliege namens Lili, die kein „L“ aussprechen kann.
Willmann wurde 1973 in Freiburg im Breisgau geboren und studierte Romanistik, Germanistik und Medienwissenschaften in Aix-en-Provence und Düsseldorf, anschließend Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
Sie schreibt für Kinder und Erwachsene. 2017 erschien ihr Romandebüt „Was es ist“ (fontis Verlag). „Rascha und die Tür zum Himmel“ wurde 2018 mit dem Amanda Neumayer-Stipendium gefördert und für den Korbinian Paul-Maar-Preis 2022 nominiert.
Im Februar 2023 erschien ihr Feuergriffel-Buch unter dem Titel „Ganz oben fliegt Lili“.
Illustratorin des Buches ist Alexandra Junge. Die Freiburgerin erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. baum
Das Publikum im Dalbergsaal lacht laut, als Willmann von den Abenteuern der Fliege vorliest, ist ergriffen, als sie mit Knorrte, dem Käfer, einen Freund findet, der sie mit einem Reisetagebuch ausstattet. Der Käfer hat ebenfalls eine Art Sprachfehler: Überall, wo ein „R“ steht, spricht Knorrte zwei. Auch körperlich ist der Käfer beeinträchtigt, ihm fehlt ein Hinterbein - er ist nicht perfekt, was ihn umso sympathischer macht. Auch die vielen anderen Tiere, die Lili über und unter den Wolken begegnen, darunter Marienkäfer, Falter, Hummeln, Fruchtfliegen, Kakerlaken mit Bauchladen oder Libellen, haben witzige Sprachfehler, die bei den Dialogen herrlich komisch rüberkommen. „Vor allem diese Gute-Laune-Kapitel“, sagt Willmann, „sind Mannheim zu verdanken“, erinnert sich die Autorin an ihre Zeit in der Quadratestadt.
Fünf Mannheim-Bücher
Nicht bei allen Preisträgern, die als Stadtschreiber in Mannheim gearbeitet haben, ist aus der Feuergriffel-Idee ein Buch entstanden. Vor Julia Willmann haben das bisher vier Autoren geschafft: Antje Wagner (Feuergriffel 2009) veröffentlichte „Vakuum“ 2012. Das Buch „Wolfsliebe“ von Rike Reiniger (Preisträgerin 2011) kam 2013 heraus, das Jugendbuch von Tobias Steinfeld (Feuergriffel 2015) 2018 unter dem Titel „Scheiße bauen: sehr gut“ und „Marilu“ von Tania Witte (Feuergriffel 2019) erschien 2021.
Infos zum Buch
Julia Willmann: „Ganz oben fliegt Lili“. Peter Hammer Verlag,
ISBN: 978-3-7795-0700-0, Preis: 15 Euro.
Bei der Buchvorstellung im Dalberghaus beschreibt Bettina Harling von der Bibliothekspädagogik die Lesung als Buch-Geburt: „Und wir fühlen uns heute wie die Patentante.“ Sie verrät, dass während des Literaturfestivals, das noch bis 12. März in der Alten Feuerwache stattfindet, auch andere Feuergriffel in Mannheim weilen: Neben Tobias Steinfeld auch Tania Witte, die bei der Lili-Lesung im Publikum sitzt.
Wie Julia Willmann auf die Idee kam, ein Buch über eine Schwebfliege zu schreiben? „Wir denken immer so viel darüber nach, wie unsere Erde und Umwelt leidet. Ich wollte so gerne eine Geschichte schreiben, in der man die Welt liebt, wie sie ist - aus den Augen einer Fliege.“ Über die beeindruckende Spezies hat sie dabei intensiv recherchiert. Sie weiß, dass Schwebfliegen tausende Kilometer in den Süden fliegen: „Sie sind die kleinsten Pendlerinnen und Pendler unserer Erde und mit den Bienen die wichtigsten Bestäuber.“ Kein Wunder also, dass sie für Willmann inzwischen eine enorme Bedeutung haben: „Und ich wünsche mir, dass auch die Leser danach so viel Liebe für Schwebfliegen haben, wie für enge Freunde.“
Ein neues Buch ist übrigens noch nicht in Arbeit: „Ideen sucht man nicht, sie kommen uns besuchen“, sagt Julia Willmann. Und im Moment sei sie noch in der Warteschleife. Ob die kleine „Fiege ii“ am Ende die „Apen“, also die Alpen, erreicht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Sie lässt die Leserschaft nach der Lektüre mehr als zufrieden zurück: Denn ob Mensch, ob Tier, niemand ist perfekt - und das ist gut so.
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