Feuergriffel

Was Henner Kallmeyer als neuer Mannheimer Stadtschreiber plant

Der Theaterregisseur Henner Kallmeyer ist der neue Mannheimer Stadtschreiber für Kinder- und Jugendliteratur. An welcher Buchidee der Feuergriffel während seines Aufenthaltes arbeitet und was er zudem plant

Von 
Eva Baumgartner
Lesedauer: 
Ein Vorbild: Feuergriffel Henner Kallmeyer trägt bei seinem Besuch in Mannheim ein T-Shirt mit Thomas-Mann-Konterfei. Wie der Literatur-Nobelpreisträger ist Kallmeyer in Lübeck geboren. © Eva Baumgartner

Das Mannheimer Stadtschreiber-Stipendium Feuergriffel

  • Der Feuergriffel ist das Mannheimer Stadtschreiber-Stipendium für Kinder- und Jugendliteratur und wird alle zwei Jahre von der Stadtbibliothek ausgeschrieben.
  • Das Förderprogramm entstand bei den Planungen für das Mannheimer Stadtjubiläum 2007 und war lange Zeit einmalig in Deutschland. Es wird aktuell durch die GBG, die Karin und Carl-Heinrich Esser Stiftung, das Kulturzentrum Alte Feuerwache und den Förderkreis der Stadtbibliothek gefördert.
  • Der Preis beinhaltet einen dreimonatigen Aufenthalt im Turm der Alten Feuerwache, eine Pauschale für Anreise und Lebenshaltungskosten in Höhe von 3000 Euro, 3000 Euro Preisgeld sowie 3000 Euro bei Veröffentlichung des Mannheim-Buches.
  • Bisherige Preisträger waren Tamara Bach (2007), Antje Wagner (2009), Rike Reiniger (2011), Sasa Stanisic (2013), Tobias Steinfeld (2015), Florian Wacker (2017), Tania Witte (2019) und Julia Willmann (2021). Für den Feuergriffel 2023 standen nach der Erst-Auswahl drei Kandidaten in der Endrunde. Henner Kallmeyer setzte sich hier gegen die Mit-Nominierten Katja Hensel und Jan Wehn durch.
  • Kallmeyer, Jahrgang 1974, ist gebürtiger Lübecker und lebt seit 2008 in Essen. Als freischaffender Theaterregisseur inszenierte er beispielsweise am Staatstheater Hannover und Stuttgart, am Grillo Theater Essen oder an den Wuppertaler Bühnen. baum

 

Mannheim. Ein bisschen nervös ist er schon, gibt Henner Kallmeyer zu. Als sich der neue Mannheimer Stadtschreiber im Dalbergsaal in der Kinder- und Jugendbibliothek in N 3 umschaut, hält er seine Tasse mit beiden Händen fest umschlossen - und kann es selbst nicht so richtig glauben, dass er der neue Feuergriffel ist: „Das ist meine erste Pressekonferenz, und so richtig offiziell“, lacht er.

Der Theaterregisseur aus Essen möchte während seiner Zeit als Stadtschreiber-Stipendiat für Kinder- und Jugendliteratur an seiner Roman-Idee „Mein Sommer am Volksempfänger“ arbeiten. In seinem Manuskript geht es um das Thema Nationalsozialismus, das er mit einem Rollentausch aufarbeiten möchte: Durch einen Riss in der Zeit lernt die junge Protagonistin Mara ihre Urgroßmutter kennen, die 1938 genauso alt ist wie Mara heute. Durch ein Versehen landet Mara in der Nazizeit und muss sich dort zurechtfinden - eine Geschichte ganz nach Art des „doppelten Lottchens“.

Warum Mannheim die ideale Stadt ist

„Ich komme ja vom Theater, aber das Initial-Erlebnis für diese Roman-Idee war, als ich zuhause bei meinen Eltern war und ein altes Fotoalbum gefunden habe“, erzählt Kallmeyer. In dem Buch seien immer wieder Fotos herausgerissen worden: „Mein Vater hat mir erklärt, dass die Personen, die an dieser Stelle abgebildet waren, Nazi-Insignien trugen und er sie deshalb nicht mehr sehen wollte“, erzählt Kallmeyer. Für ihn ein Fehler: „Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus darf nie aufhören.“

Mannheim ist für Henner Kallmeyer die ideale Stadt für seinen Roman: „Ich wollte eine Stadt, die ich neu entdecken kann, durch die Augen meiner Heldin. Wenn man jetzt hier durchgeht, würde man sich 1938 verlaufen, denn das meiste hier wurde zerstört.“

Mit den Mannheimer Schülerinnen und Schülern möchte Kallmeyer, der an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch unterrichtet, während seines Stipendiums auf Erinnerungssuche gehen: „Ältere Menschen haben diese Zeit erlebt, für die jüngeren ist es aber Geschichte. Deshalb ist die Frage wichtig, wie man diese Erinnerung lebendig hält, beispielsweise mit Gegenständen, die in Familien weitergegeben werden.“

Auch für den Leiter der Mannheimer Stadtbibliothek, Yilmaz Holtz-Ersahin, ist die Erinnerungskultur unerlässlich: „Gerade in einer Migrationsgesellschaft - für eine friedliche Zukunft, und um eine kollektive Identität aufzubauen.“ Auch wenn Holtz-Ersahin wegen der schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien tieftraurig ist, freut er sich bei der Pressekonferenz über die Geschichte, die Kallmeyer schreibt: „Darüber, dass wir hier die Möglichkeit haben, Erinnerungen auszugraben. Viele Menschen können das nicht mehr.“

Antrittsvorlesung auf der Buga

Bildungsbürgermeister Dirk Grunert lobt die Wahl der Jury und bezeichnet den Ansatz Kallmeyers als einen „spannenden Kunstgriff“: „Dieser Perspektivwechsel ist auch ein wichtiger Beitrag zur allgemeinen Erinnerungskultur.“ Dass in diesem Feuergriffel-Jahr zeitgleich die Bundesgartenschau (Buga) in Mannheim stattfindet, mache das Projekt 2023 „besonders spannend“.

Mehr zum Thema

Preisträger

Erlebbare Historie - Autor Kallmeyer wird Mannheimer "Feuergriffel"

Veröffentlicht
Von
dpa/lsw
Mehr erfahren
Stadtschreiber-Stipendium

Wer wird neuer Feuergriffel in Mannheim?

Veröffentlicht
Von
Eva Baumgartner
Mehr erfahren

Dass die Idee Kallmeyers zu dem Ort passt, an dem die Buga stattfindet, findet auch Bettina Harling, Leiterin der Bibliothekspädagogik der Mannheimer Stadtbibliothek, toll. Keine Frage also, dass Kallmeyer seine Antrittslesung am 25. April um 18 Uhr auf dem Buga-Gelände im Campuspavillon hält (keine Anmeldung nötig, Eintritt ist das Buga-Ticket). Die ehemalige Kasernenfläche biete ihm viele Möglichkeiten: „Ein Ort, der so viel erlebt hat, und an dem jetzt Blumen gezeigt werden.“

Feuergriffel bietet Programm in Ferien

30 Autorinnen und Autoren hatten sich für das Stipendium beworben und ihre Buchideen geschickt, darunter auch Kandidaten aus Österreich und Südamerika. Eine siebenköpfige Fachjury wählte den Sieger aus: „Bei Ihnen fand ich es wirklich schade, dass ein Manuskript nur so kurz ist“, lobt Dajana Schneider, die als jugendliches Mitglied im Experten-Gremium saß, den neuen Feuergriffel. Albrecht Plewnia vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim bezeichnete den Rollentausch in Kallmeyers Geschichte als „wirklich eine kühne Idee“.

Neben weiteren Aktionen wie Lesungen für Schulklassen bietet der Feuergriffel während der Pfingstferien (30. Mai bis 2. Juni, jeweils 10 bis 14 Uhr) einen Theaterworkshop auf dem Campus Lernfeld der Buga an. Unter dem Titel „Ein Baum reißt aus“ erarbeiten Kinder zwischen sechs und zehn Jahren ein Theaterstück über eine kleine Tanne, die sich in Richtung Stadt aufmachen will (Anmeldungen: www.buga23.de/veranstaltungskalender).

Dass Kallmeyer auf dem Gebiet der Prosa neu ist, sollte übrigens kein Problem sein, denn für ihn ist der Feuergriffel-Job auch irgendwie Theater: „Da erzählt man alte Geschichten ja auch immer wieder neu“, sagt er augenzwinkernd.

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.