Mannheim. In der Waldpforte im Mannheimer Stadtteil Gartenstadt entdeckt Martin Willig als Kind seine Liebe zum Fußball: Er lebt damals im Johann-Peter-Hebel-Kinderheim - und tritt als Straßenfußballer im Team der Einrichtung zwischen 1969 und 1976 gegen Mannschaften aus der Region an. Die Umgebung, in der Willig aufgewachsen ist, hat sich verändert: Das Heim ist in den Kuhbuckel umgezogen, nebenan fährt inzwischen eine Straßenbahn. Doch geblieben ist die tiefe Verbindung, die Martin Willig zum Fußball und zu „seinem Verein“ hat. Auch jetzt noch, wenn er in den Ruhestand geht.
Der SV Waldhof ist für ihn ein typischer Arbeiterverein, er liebt die Mentalität der Menschen, die bei Spielen der Blau-Schwarzen mitfiebern, für den SVW ihr letztes Hemd geben würden. Für sie ist er zuständig: seit 2008 als Streetworker beim Fan-Projekt Mannheim des Sportkreises, das von der Stadt, dem DFB und dem Land Baden-Württemberg finanziert wird. Dass er nun kürzer tritt hat mehrere Gründe: „Ich bin 47 Jahre im Job, habe ja schon mit 15 begonnen, zu arbeiten und kann deshalb in Rente gehen. Außerdem sind es gesundheitliche Einschränkungen.“
Gegen Gewalt und Rassismus
Seine Arbeit im Fanprojekt richtet sich in all den Jahren gegen Gewalt und Rassismus, sich selbst bezeichnet er gern als „Basisarbeiter“: Während sein Kollege sich um sicherheitsrelevante Themen kümmert, ist er Ansprechpartner für Fans. Er ist vor Ort, das Gesicht des Projekts. Und als Puffer zwischen Fans und Polizei bekommt er mitunter auch etwas ab - einen Polizeistock etwa oder einen Fausthieb ins Gesicht. „Es waren so viele Dinge spannend und ereignisreich.“ Vor allem habe die Zusammenarbeit mit Kollegen und dem Sportkreis als Träger stets bestens funktioniert: „Sowohl unter der Führung von Sabine Hamann als auch mit Thomas Balbach.“
Auch den Waldhof-Fans, die „oft so negativ wegkommen“, möchte er Danke sagen: „für die Begegnungen und die vielen Freundschaften in den letzten 15 Jahren, ebenso den Kooperationspartnern von Stadt, Land, DFB und Verein und natürlich dem Fandachverband PRO Waldhof“. Eine „schmerzhafte Erfahrung und Erkenntnis der jahrelangen Arbeit“ sei aber gewesen, „dass Polizei kein ernsthafter Partner im Kontext zu Fanprojektarbeit sein kann. Ebenso die Tatsache, dass es (noch) kein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojekte in der Sozialen Arbeit gibt, was dringend nötig wäre“.
Er ist in den vergangenen Jahren oft mit Fans unterwegs, beispielsweise bei Fahrten der U-18 Teams. Dass er so gut mit den jungen Menschen klarkommt, liegt sicher an seiner schwierigen Vergangenheit: Sein Vater ist italienischer Gastarbeiter, er selbst ist das vierte von fünf Kindern - „alle von einem anderen Vater“. Als seine Mutter ihn im Alter von acht Jahren ins Johann-Peter-Hebel-Heim steckt, hat er dort anfangs Schwierigkeiten. Doch er kann sich gut ausdrücken, erzählt Geschichten: über Cowboys oder Fußball. Das hilft ihm dabei, anzukommen. Und nach einer Ausbildung zum Gärtner schult er um, wird Jugend- und Heimerzieher. Er kann sich in die jungen Menschen hineinfühlen, hat ähnliche Dinge erlebt. Zu den meisten „seiner“ Kinder hat er heute noch Kontakt: „Viele sagen, ich sei ihr Lieblingserzieher gewesen. Dabei war ich oft streng. Aber meine Vergangenheit hat mir sicher geholfen, ein gutes Vorbild zu sein.“
Martin Willig
- Martin Willig wird 1961 in Freiburg geboren. Mit fünf Jahren zieht er nach Heidelberg, wenig später nach Mannheim.
- Mit 15 Jahren lernt er Blumen- und Zierpflanzengärtner, schult 1988 zum Jugend- und Heimerzieher um. Nach Stationen in Nord- und Süddeutschland kommt er 2005 wieder nach Mannheim und arbeitet mit erwachsenen Menschen, die eine Behinderung haben, im betreuten Wohnen auf der Schönau.
- Seit April 2008 ist er als Streetworker beim Sportkreis Mannheim im Fanprojekt tätig. Dort ist er für die Fanszene des SV Waldhof zuständig. Das Fanprojekt wird durch die Stadt Mannheim, den DFB und das Land Baden-Württemberg finanziert.
- Er geht seit 1972 zu Waldhof-Spielen und macht Stadionführungen beim SVW. Zudem verfasst er Gedichtbände. Mit Tilo Dornbusch schreibt er 2017 das Buch „111 Gründe, den SV Waldhof Mannheim 07 zu lieben“.
- Willig engagiert sich an vielen Stellen ehrenamtlich, ist beispielsweise auf dem Luzenberg Vorstandsmitglied des Spiegelvereins und des Fördervereins Jugendtreff und bietet Stadtteilführungen an.
- Für seine ehrenamtliche Arbeit mit Flüchtlingen erhalten Willig und sein Team „Martins Söldnertruppe“ im Januar 2017 den Gerhard-Bloemecke-Preis des Kulturvereins Waldhof. 2021 wird Willig zum Barackler des Jahres ernannt, eine Auszeichnung, die der Fanclub des SV Waldhof seit einigen Jahren vergibt.
Der Fußball ist bereits im Kinderheim seine liebste Beschäftigung. Und als er mit zwölf Jahren sein erstes Waldhof-Spiel sieht, ist er sofort Feuer und Flamme für die Blau-Schwarzen: Wenn das Geld nicht reicht, klettert er eben auf einen Baum und schaut von da aus zu.
Martin Willig ist zudem ein kreativer Schreiber: Schon als Jugend- und Heimerzieher verfasst er Gedichte, hat schon einige Bücher mit seinen Texten veröffentlicht. In vielen verarbeitet er Geschichten der Jugendlichen, mit denen er arbeitet. Auch ein Fußball-Buch gehört zu seinen Publikationen: „111 Gründe, den SV Waldhof Mannheim zu lieben: Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt“ (mit Tilo Dornbusch).
Nachdem Willig am vergangenen Wochenende vom SVW in der Halbzeit auf dem Rasen verabschiedet wird (wir berichteten online), würdigt ihn auch der Fan-Dachverband PRO Waldhof: „Martin fühlt den Waldhof, er sieht die Fans, hat gleichermaßen das Vertrauen und den Respekt der organisierten wie nicht-organisierten, jungen und alten Fans; auch Neulinge erkennt und kennt er schnell und bindet sie ein. Erfahrung, Wissen und Gespür für Menschen sind nicht nur Fundament seiner Arbeit im Fanprojekt, sondern seiner Arbeit für den Waldhof an sich. Im Stadtteil ist er nicht weniger engagiert als im Stadion: Er kümmert sich um den Erhalt des historischen Erbes unseres Vereins im Stadtteil und vor allem um die Menschen auf dem Waldhof.“
Seine letzte Tour
Derzeit ist Martin Willig auf seiner letzten beruflichen Tour: Bis Sonntag ist er mit einem Team aus weiblichen SVW-Anhängerinnen beim Fanfinale in Berlin: Seit 1992 treffen sich dort die bundesdeutschen Fanprojekte und die von ihnen betreuten Jugendlichen vor den deutschen Pokalendspielen, um das Fanfinale auszuspielen. Ein Extra-Turnier für weibliche Fußballfans gehört seit 1995 dazu. Die 14- bis 27-jährigen jungen Frauen treten auf der Sportanlage Jungfernheide in Charlottenburg gegen andere Teams aus bundesweiten Fanprojekten an, diesmal auch gegen Hansa Rostock oder 1860 München. Und alle schauen am Samstagabend auch das DFB-Pokal-Finale zwischen Eintracht Frankfurt und RB Leipzig an. In Berlin sind die Mannheimerinnen übrigens Titelverteidiger. „Der berufliche Abschied vom Fanprojekt ist natürlich schwer, aber das ist ein wirklich toller Abschluss“, sagt er. Noch schöner wäre es allerdings, wenn der Pokal mit nach Hause komme: „Aber das wird nicht einfach.“
Bleibt erhalten
Ab Montag ist Martin Willig dann wegen Resturlaub schon nicht mehr im Dienst. Aber er verspricht: „Ich bleibe dem Waldhof definitiv erhalten.“ Auch seine beliebten Stadtteil-Touren vom Schlammloch zum Spiegelschlöss’l werden weiter stattfinden. „Und der Verein hat mich schon gefragt, ob ich auch die Stadionführungen weiter mache“, lacht er. Ohne Zweifel: Obwohl Martin Willig vielen Fans, Sportlern und SVWlern fehlen wird, ist er auch weiterhin vor Ort. Der Fan-Dachverband fasst es treffend zusammen: „Du bist Waldhof“.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel 3. Liga Umbruch als Chance beim SV Waldhof