Die Empfindung, eine Welt zu betreten, die noch kein Tourist gesehen hat, mit Stethoskop und Antibiotika im Rucksack aufzubrechen, um Menschen in entlegenen Bergregionen zu helfen: „Dieses Glücksgefühl, als ich zum ersten Mal durch den Urwald gelaufen bin, diese Chance, dass ich ein winziger Teil von etwas so viel Größerem als man selbst ist, sein durfte, das werde ich wohl nie vergessen“, erzählt Katharina Hempel.
Vor sieben Wochen ist die 36-jährige Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin in den Flieger gestiegen. 42 Tage lang steuerte die promovierte Medizinerin mit einem Team der Hilfsorganisation German Doctors schwer zugängliche Gebiete der philippinischen Insel Luzon an, um ehrenamtlich Menschen zu versorgen. Jetzt tauscht sie die Dschungelklinik wieder gegen die Hightechmedizin im Klinikum ein.
Überwältigender Empfang
Und denkt sicherlich manches Mal nicht nur an die grandiose Natur, sondern auch an die Menschen auf Luzon zurück. „Schon der Empfang war überwältigend“, erinnert sich die Pfälzerin lachend. Liebevoll gebastelte „Welcome“-Collagen mit Schmetterlingen zierten ihre Zimmertür. Schließlich ist sie nach der Pandemie-Zwangspause, als die Ehrenamtlichen nicht einreisen durften, eine der ersten Mediziner, die wieder an den Start gehen. Einzige Ausnahme: Gerhard Steinmaier, der sogenannten Langzeitarzt von German Doctors, der auch währen der Coronazeit ständig auf Luzon gearbeitet hat: „Er war mir ein toller Mentor, fachlich und menschlich.“
Mit dem Equipment einer rollenden Klinik angesteuert dienten - von der Kirche bis zum Klassenzimmer einer Grundschule - die exotischsten Räume als Sprechzimmer. Herzerkrankungen seien sehr häufig, auch einer ungesunden Ernährung geschuldet: „Es gibt dort halt traditionell drei mal am Tag Fleisch,“ erzählt der Fan einer ausgewogenen Mischkost. Und es komme häufig zu Rückenproblemen, „weil die Menschen den ganzen Tag, ob auf dem Feld oder im Haushalt, in der Hocke arbeiten.“ 85 Prozent Luftfeuchtigkeit bieten zudem das ideale Milieu für Pilzinfektionen: „Obwohl die Filipinos penibel reinlich sind. Jeder wechselt täglich die Kleider, aber man schwitzt eben ständig.“
„Es war beeindruckend zu erleben, wie viel mit wenig geht“
Ultraschalluntersuchung auf einer Decke zwischen Schulbank und Tafel, Behandlung hinter einem kurzerhand aufgespannten Stück Stoff: „Es war beeindruckend zu erleben, wie viel mit wenig geht.“ Wie flexibel und anpackend die Ureinwohner agieren. Das reiche von der liebenswerten Angewohnheit jedes noch so schäbige Gefäß mit wunderschönen Blumen zu bepflanzen - bis zu Hilfsmaßnahmen nach einem Erdbeben.
Schließlich hat Katharina Hempel am eigenen Leib gespürt, wie es sich anfühlt, wenn die Erde unter einem bebt. Glücklicherweise blieb das German Doctors Basislager von größeren Schäden verschont. „Aber andernorts stürzten Häuser und Brücken ein. Da wurde nicht lange lamentiert, sondern sofort mit dem Wiederaufbau begonnen.“
Katharina Hempels Blick auf ihren Beruf ist bei aller Empathie für ihre Patienten unverstellt und nüchtern. Sie weiß, dass all zu viel Mitleid eine klare Diagnose und die Suche nach Heilungsmöglichkeiten oft unmöglich macht. Als angehende Kinderonkologin wird die Ärztin im Klinikumsalltag täglich mit schweren Schicksalen konfrontiert, betreut als Teil eines Teams nicht nur die Mädchen und Jungs mit ihren Krebserkrankungen, sondern auch die gesamte Familie. Was ihr dabei hilft, Halt zu finden sei das akademische Interesse. Schließlich sei Krebs auch bei jungen Menschen recht gut zu heilen. Und der Ehrgeiz für die Familien da zu sein, sie zu begleiten: „Man kann so viel von Kindern lernen. Sie sind emotional oft viel schlauer als wir Erwachsene.“
Katharina Hempel muss auch schmerzhaft Grenzen des Machbaren erfahren
Aber in Mannheim sind die medizinischen Möglichkeiten verglichen mit denen auf Luzon geradezu unbegrenzt. Wie hat es sich nun für die Naturwissenschaftlerin auf den Philippinen angefühlt, so ganz, ohne OP-Säle und Kernspinntechnik zurechtzukommen? „Ja, das war ja schon vor meiner Abreise meine große Sorge, wie ich das packe.“ Genau wie in Mannheim habe sie auf genaues beobachten und Zuhören gesetzt, auf die klinische Diagnostik, besonders bei Säuglingen, wo nur der nonverbale Kontakt möglich ist. Da habe sich wieder ihr wichtigstes Werkzeug bewährt - ihre Hände: „Und die habe ich ja immer dabei.“
Aber natürlich hat sie auch schmerzhaft die Grenzen des Machbaren erfahren müssen:. „Da war eine Frau mit einem Tumor. . .“Und trotz aller Nüchternheit herrscht ein Moment der Stille. „Wissen Sie, diese schwer kranken Menschen, die sterben dort einfach. “Ohne bildgebendes diagnostische Verfahren, ohne Operation, ohne Chemotherapie. Dafür würde es ja schon am nötigen Geld mangeln: „Das ist dann eben Fakt.“ Wie soll man, wie kann man überhaupt damit umgehen? „Ich weiß es nicht,“ fährt sie fast tonlos fort, ringt um eine angemessene Formulierung: „Ich finde es einfach nur unfair, ja das ist das richtige Wort, unfair. Die einen haben die Möglichkeit, die medizinische Palette zu nutzen, die anderen nicht.“
Berührende Erfolgsgeschichten
Aber es gibt auch fast unglaubliche Erfolgsgeschichten. So kommt Langzeit-Arzt Steinmaier eines Tages ein schreckliches Schicksal zu Ohren. In einem Dorf werde seit sieben Jahren eine junge Frau in einem Verschlag gefangen gehalten und nur durch einen Spalt mit Nahrungsmitteln versorgt. Sie war vor Beneden ihres EDV-Studiums an Schizophrenie erkrankt. Medikamente sind teuer und die Bewohner wussten sich nicht anders zu helfen, als sie einzusperren. Steinmaier und sein Team befreiten die Patientin, versorgten sie mit Medikamenten gegen Psychosen. „Sie heißt Leya“, erzählt Hempel: „Heute arbeitet sie auf dem Feld und ist super in die Dorfgemeinschaft integriert.“
„Das Ziel ist Hilfe, die bleibt“, resümiert die gebürtige Neustädterin. „Es macht einen großen Unterschied, ob wir kommen oder nicht - für uns und die Menschen“, sagt die Medizinerin. Und man sieht ihr an, dass sie dabei an Patienten wie Leya denkt, an Menschen in deren Leben die ehrenamtlichen Helfer wieder etwas Licht und Zuversicht bringen. Nicht zuletzt denkt sie auch an sich: „Ich hoffe, dass ich mir ein bisschen von der Gelassenheit der Filipinas erhalte.“ Und mitnehmen kann in ihren Mannheimer Klinikalltag.
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