Mannheim. Aus dem Nettomarkt in D 3 tönt laute Musik. Karim Baghlani schaut verwundert hinein. Drinnen ist gerade ein Handwerker zugange, ansonsten ist der Laden komplett leergeräumt. „Ach? Der kommt hier raus? Schade“, sagt Baghlani. Auf der anderen Straßenseite sei sein Repetitorium gewesen, die Vorbereitung fürs Jura-Examen. „Dann haben wir uns hier was zum Mittagessen geholt.“ Meistens hätten sie sich damit nebenan in den Schillerpark gesetzt.
Beim Spaziergang mit dem „MM“ durch die Innenstadt, sein Revier, erzählt Baghlani von seiner Anfangszeit in Mannheim. 2011 kam er zum Studium und zahlte 500 Euro Gebühren fürs erste Semester. „Mit fünf Geschwistern hätte ich das gar nicht gemusst, aber das wusste ich leider nicht.“ Seine Mutter, Putz- und Küchenkraft in einer Kita, habe das Geld für ihn zusammengekratzt.
Flucht vor den Taliban: Karim Baghlani wächst in Altrip auf
Der Vater ist Betonmischer. 1991 floh die Familie, als Karim Baghlani vier Monate alt war, vor den Taliban aus Afghanistan. Er wuchs in Altrip auf, da wohnen die Eltern noch. Den Kindern hätten sie gepredigt, sich in der Schule anzustrengen, erzählt er.
Das nennt Baghlani als politisches Motiv: Unabhängig von Herkunft und Geld müssten alle die Chance haben, mit Bildung aufzusteigen. Hierfür stehe vor allem die SPD, daher sei er ihr 2013 beigetreten. „Außerdem war ich ihr dankbar, dass Grün-Rot in Stuttgart die Studiengebühren abgeschafft hatte.“
Neu im Mannheimer Gemeinderat
- Nach der Kommunalwahl am 9. Juni sind 17 Männer und Frauen neu in den Gemeinderat eingezogen.
- In dieser Serie stellen wir die Neuen in loser Folge vor.
2018 wurde Baghlani Bezirksbeirat. Seither engagiert er sich sehr für die Innenstadt. Der Sozialdemokrat moderierte etwa die Monitoringgruppe für den Jungbusch, mischt im Bürger- und Gewerbeverein, bei der AWO und im Förderverein Herschelbad mit. Sein Ziel sei es, den Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder zu stärken, sagt er.
Nach dem Examen Referent beim SPD-Bundesvorstand in Berlin
Nur steil nach oben ging es für den 33-Jährigen indes nicht. So berichtet er vom Schock, durchs zweite Staatsexamen gefallen zu sein. „Da hinterfragt man alles.“ Zum Glück habe er im nächsten Anlauf bestanden, sogar mit recht guter Note.
Der SPD-Bundesvorstand stellte Baghlani als Referenten für Urheber- und Parteienrecht ein. „Das war sehr spannend. Unter anderem konnte ich in Berlin bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel sowie bei Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht dabei sein.“
Ende 2022 wurde ihm die Pendelei aber zu viel. Seither arbeitet der Jurist in Mannheim an der Hochschule für Bundeswehrverwaltung, etwa als Dozent. Mit seiner Partnerin und seinem 17 Monate alten Sohn wohnt er mittlerweile in Neckarau,
Die SPD setzte ihn bei der Kommunalwahl etwas überraschend auf Listenplatz 3, er bekam die siebtmeisten Stimmen. Hiermit zeigt sich der bisher fast nur in der Innenstadt aktive Neuling sehr zufrieden.
Der Wahlkampf brachte Baghlani aber auch an seine Grenzen. Anfeindungen etwa wegen seiner Herkunft hätten massiv zugenommen, er sei nicht nur in sozialen Medien, sondern auch an SPD-Ständen angepöbelt worden, so der 33-Jährige. Dass ein Mitstreiter, der stellvertretende Juso-Kreisvorsitzende Jerome Peters, beim Aufhängen seiner Plakate gar geprügelt, getreten und gewürgt wurde, erschütterte ihn. „Da dachte ich, jetzt schlägt es in meinem unmittelbaren Umfeld ein.“
Sehr hart trafen ihn auch Hass und Hetze nach der Bluttat vom Marktplatz, die sich ergossen, weil der Täter wie er aus Afghanistan stammt. „Da konnte ich nicht mehr, ich brauchte einfach eine Pause.“ Zum Glück habe die SPD-Spitze dann übers folgende Wochenende einen Wahlkampfstopp verfügt, da habe er sich wieder erholen können.
Nun sitzt Baghlani in den Ausschüssen für Bildung und Gesundheit sowie für Technische Betriebe, zudem ist er verkehrspolitischer SPD-Sprecher. Da will er sich um Verbesserungen in allen Bereichen bemühen, auch im Nahverkehr. „In Berlin musste ich nie schauen, wann eine U-Bahn oder ein Bus fährt. Da kam immer gleich was.“ In Mannheim sehe es leider ganz anders aus.
25 Jahre Fußball in Vereinen gespielt. Bald beim TSV Neckarau?
Den Verkehrsversuch bezeichnet Baghlani als richtigen Ansatz, die Zahl der nur durchfahrenden Autos in den Quadraten zu reduzieren. Den ausgehandelten Kompromiss über das weitere Vorgehen trägt er mit, auch wenn er sich persönlich weitergehende Schritte gewünscht hätte. Etwa, nächtliche Sperren im Kampf gegen Poser zu testen. „Aber ich finde es sehr gut, dass jetzt alle Beteiligten an einem Tisch sitzen.“
Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp
Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt!
Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen
Den CDU-Oberbürgermeister Christian Specht kennt Baghlani bisher nur flüchtig. „Er wirkt sehr nett und umgänglich auf mich.“ Sicherheitsdezernent Volker Proffen hat schon eingehend mit ihm gesprochen: Der wolle ihn als Präsident des TSV Neckarau für die Zweite Mannschaft, berichtet Baghlani. Er habe rund 25 Jahre in Vereinen gespielt, unter anderem in der Landesliga für Altrip. Stets als linker Verteidiger.
Karim Baghlani spielt an Weihnachten gerne Fifa
Neben Familie und Vereinen nennt er als Hobbys Musik in vielen Stilrichtungen, fremde Orte entdecken und einen Kaffee mit Freunden. Doch wenn er ehrlich ist, fehlt da was. Als der 33-Jährige das hört, fragt er erstaunt: „Partys?“ Vielleicht. Der Blick ins „MM“-Archiv förderte indes eine Straßenumfrage zutage, bei der es vor zehn Jahren um Computerspiele ging. Die seien ihm sehr wichtig, erklärte Baghlani damals. Dafür nehme er sich immer Zeit.
„Stimmt“, lacht der Stadtrat, „so war das.“ Heute komme er im Alltag leider nicht mehr dazu. Aber jedes Mal, wenn er über Weihnachten in Altrip sei, zocke er mit Freunden wieder zwölf Stunden am Stück FIFA. „Ich nehme immer Bayern.“
Fan des Rekordmeisters - Baghlani fährt pro Saison mindestens einmal in die Allianz Arena - kann man lebensumständehalber schon sein. Bei ihm kam das so: „Als ich klein war, durfte ich abends noch fernsehen, wenn Fußball kam.“ Und in der Champions League hätten nun mal immer die Münchner gespielt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-was-den-neuen-mannheimer-spd-stadtrat-karim-baghlani-antreibt-_arid,2233376.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html