Migrationsstadt Mannheim

Warum Pranita Rottmann Indien verlassen und ihr Leben in Mannheim umgekrempelt hat

Pranita Rottmann verlässt Indien 2009 – und beginnt hier ein völlig anderes Leben

Von 
Eva Baumgartner
Lesedauer: 
Pranita Rottmann ist Tänzerin, sie liebt Musik und die Meditation. © Larissa Dubjago

Mannheim. In Indien gehört Pranita Rottmann als Studentin zu den klügsten Köpfen des Landes. Sie schafft es sogar, eines der wenigen und sehr begehrten Chemie-Stipendien am Indian Institute of Technology (IIT) zu ergattern. Doch dann krempelt sie ihr Leben völlig um und zieht nach Mannheim. Aus einem ganz bestimmten Grund.

Pranita Rottmann kommt in Lucknow zur Welt, das liegt im indischen Bundesland Uttar Pradesh. Sie hat einen Bruder, und das Fach Chemie liebt sie schon in der Schule. Sie ist damals überdurchschnittlich gut, erinnert sie sich, doch die Beste noch nicht. Das ändert sich an der Delhi-Universität: Dort schließt sie ihren Bachelor mit der höchsten Auszeichnung ab, bewirbt sich als Master-Studentin für einen von 26 Stipendiaten-Plätzen bei Tausenden Bewerbern – und bekommt das Stipendium am berühmten IIT in Neu-Delhi: „Das war für mich ein großes Wunder, dass ich das bekommen habe“, sagt sie.

Unterschiede zwischen Indien und Deutschland

2004 beginnt sie, in Hyderabad in Südindien bei einer Pharmafirma zu arbeiten. Dort lernt sie 2006 einen jungen Mann kennen: Er kommt aus Deutschland, und schreibt dort seine Diplomarbeit. „Nach zwei Jahren haben wir dann gedacht, dass wir heiraten können“, fasst sie die folgenden Monate lachend zusammen. Dabei ist ihr Liebster nur knapp vier Monate in Indien: „Dann haben wir uns nur online gesehen, aber er ist wiedergekommen, um mich zu treffen.“

Serie Migrationsstadt Mannheim

  • In Mannheim haben 47,8 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund.
  • Sie kommen aus den verschiedensten Ländern, fliehen vor Krieg, Unterdrückung oder suchen ein besseres Leben.
  • Wir stellen in loser Folge Menschen vor, die in Mannheim angekommen sind. Wie hat es sie in die Quadratestadt verschlagen? Warum sind sie gerade hier gelandet? Wo liegen die Probleme? Sie erzählen uns ihre ganz persönliche Geschichte.

 

Die beiden heiraten 2008 nach traditioneller indischer Zeremonie – das bedeutet zehn Tage feiern mit 600 Personen, davon 100 Verwandte. Die deutschen Gäste nehmen sich für das Spektakel 15 Tage Urlaub. Nach der Hochzeit muss Pranita Rottmann zunächst noch auf das Visum warten, reist dann im April 2009 nach Mannheim. Ihr Mann stammt ursprünglich aus der Nähe von Bielefeld, findet aber bei der BASF in Ludwigshafen Arbeit.

Vor ihrer Ankunft in der Quadratestadt ist sie „positiv aufgeregt“, gespannt auf ihre Rolle in Deutschland: „Ich hatte keine Angst, überall gibt es schöne Dinge zu erleben, ich war bereit.“ Einige Punkte seien anfangs schon schwierig gewesen in dem neuen Land: „Vor allem die Pünktlichkeit, indische Menschen sind nicht so pünktlich“, grinst sie.

Mehr zum Thema

Migrationsstadt

Von Moldawien nach Mannheim: Wie eine Familie ein Leben ohne Korruption sucht und findet

Veröffentlicht
Von
Eva Baumgartner
Mehr erfahren
Migrationsstadt Mannheim

Hüsnü Yilmaz über sein Leben in Deutschland: „Es ist kein Blumengarten“

Veröffentlicht
Von
Eva Baumgartner
Mehr erfahren
Migrationsstadt Mannheim

Warum die Familie von Mustafa Badawi nach Mannheim kam

Veröffentlicht
Von
Eva Baumgartner
Mehr erfahren

An eine Begebenheit aus ihren ersten Stunden in Deutschland erinnert sie sich noch genau. Denn als sie in Frankfurt landet, steht dort eine erste Einladung an: „In einem sehr schicken Viertel. Ich hatte wirklich Hunger, es gab ein großes Büfett, aber niemand hat mir etwas angeboten – nur von meiner Schwiegermutter bekam ich ein Stück Kuchen.“ Damit kann sie zumindest das Magenknurren stoppen: „In Indien nimmt man sich nicht einfach was.“

Auf dem Weg nach Mannheim wird der Hunger dann aber zu groß: „Ich habe zu meinem Mann gesagt, dass er anhalten soll. Wir haben dann bei McDonald’s gestoppt, und ich habe meinen ersten Burger in Deutschland gegessen und war endlich satt.“

Warum Rottmann nicht in der Chemiebranche arbeiten will

Das Zusammenleben in der Gesellschaft ist hier völlig anders als in ihrer Heimat: „Am dritten Tag habe ich meinen Mann gefragt, ob wir nicht dem Nachbarn Hallo sagen wollen. In Indien ist jeder spontan, aber hier sind alle so strukturiert und verplant, die Menschen hier haben die Schönheit der Spontaneität vergessen.“

Für sie ist es unbegreiflich, dass in Deutschland lange im Voraus Termine ausgemacht werden müssen, wenn man jemanden besuchen will: „Die Menschen versuchen hier, immer perfekt zu sein, lassen das Haus glänzen. Perfektionismus ist eine große Sache in Deutschland“, lacht sie.

Mit ihrem Wissen hätte Pranita Rottmann in Mannheim und der Region ohne Zweifel einen Job gefunden: „Aber ich wollte den Leuten lieber die Freude der Meditation beibringen“, sagt sie. Denn es sind gerade die Geistesübungen, die ihr Leben nachhaltig verändern. Schon vor der Hochzeit, die in der damaligen Zeit ein Tabu ist.

Doch Pranita Rottmann meditiert viel, bringt auch ihre Eltern dazu – und die werden dadurch weltoffener: „Wir kommen alle aus der gleichen Quelle, und daher war es auch kein Problem für meine normale, mittelständische Familie, Menschen aus Europa zu akzeptieren.“ Auch ihre deutschen Schwiegereltern hätten anfangs Zweifel gehabt, dass der Sohn eine Inderin heiraten möchte: „Aber sie waren sofort verliebt, als sie mich gesehen haben“, lacht Pranita Rottmann. Beide Elternteile hätten sich erst an der Hochzeit gesehen, zuvor nur online kennengelernt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Pranita Rottmann absolviert mehrere Deutschkurse an der Abendakademie: „Deutsch ist schwierig, aber Hindi ist noch schwieriger.“ Und inzwischen arbeitet sie als Tänzerin, bietet schon seit 2010 ehrenamtlich Meditation an, in Schulen, bei Workshops. Auch Bollywood-Tanzkurse oder Einheiten im nordindischen Tanzstil Kathak stehen bei ihr auf dem Programm. Ebenso Hindi-Sprachunterricht und die Mitarbeit in der Band Weltmusikcafé: „Ich habe mich völlig von der Chemie verabschiedet.“

Nach den Sommerferien übernimmt sie eine pädagogische Assistenz an der Johannes-Gutenberg-Schule auf dem Luzenberg – in Vollzeit: „Ich bin immer meinem Herzen gefolgt, und immer wieder sind Sachen gekommen. Ich habe nie daran gedacht, was in fünf Jahren passiert.“

Mannheim ist für sie die ideale Stadt: „Es ist eine multikulturelle Stadt, und ein binationales Ehepaar ist hier völlig normal. Außerdem kann man hier im Vergleich zu Neu-Delhi fast alles zu Fuß machen. Indien vergleicht sie mit Europa: „Da gibt es 29 Sprachen und noch lokale Sprachen, es gibt Unterschiede im Aussehen, bei den Essgewohnheiten.“ Sie selbst liebt beim Essen neben Gewürzen vor allem die indische Mango, die sie an ihre Heimat erinnert: „Das ist die Krönung des Obstes, viel besser als die südamerikanische Mango.“

Roter Bindi - der Punkt auf der Stirn

Indische Kleidung trägt sie gerne, ebenso den traditionellen roten Punkt, den Bindi. „Ursprünglich wegen der Meditation und um vor belastenden Einflüssen zu schützen. Das rote Pulver aus Stein und Kurkuma kühlt“, sagt sie.

Sie trägt ihn auf der Stirn: „In der Gesellschaft ist er mit der Zeit aber immer weiter runter zwischen die Augen gewandert.“ Ihr gefällt, dass beispielsweise Handwerker in Deutschland sehr geschätzt werden, das sei in Indien nicht so. Zudem seien die Menschen hier ehrlich. Komplimente gebe es dagegen selten: „Nicht schlecht ist schon genug gelobt.“

Für das Zusammenleben wünscht sie sich, dass die Menschen die Grenzen in ihren Köpfen brechen: „In Deutschland ist das Schuldgefühl sehr groß, und das sensitive Thema ist verantwortlich dafür, dass die Leute ihr Herz nicht öffnen.“ Viele seien zu destruktiv: „Nur wenn man sich selbst kennenlernt, kann man andere kennenlernen. Wer selbst den ganzen Tag ein Problem mit sich hat, der trägt das auch weiter.“ Deshalb sei überall ein bisschen Spiritualität wichtig, denn diese verbinde alle großen Fragen des Universums. Sie selbst hat jedenfalls ihren Weg gefunden – wo immer er auch hinführen mag: „Ich bin auf der Reise.“

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen