Mannheim. Frau Sekmen, Friedrich Merz hat Sie im Juli bei Ihrem Wechsel von den Grünen zur CDU sehr medienwirksam in der Bundestagsfraktion empfangen. Die Mannheimer CDU kann jetzt ja irgendwie gar keinen anderen Kandidaten für die Bundestagswahl nominieren als Sie, oder?
Melis Sekmen: Am 30. November werden die Mitglieder darüber entscheiden, wen sie für die Bundestagswahl aufstellen. Ich habe meinen Hut in den Ring geworfen, und ich hatte die letzten Monate eine sehr gute Zeit, auch hier vor Ort. Ich habe sehr viele CDU-Mitglieder kennengelernt, und viele kannte ich ja auch schon.
Im Moment gibt es meines Wissens keine Gegenkandidaten. Oder wissen Sie von welchen?
Sekmen: Stand jetzt nicht. Das kann sich aber noch ändern.
Wie haben Sie sich mittlerweile eingefunden bei Ihrer neuen Partei? In der Fraktion in Berlin, aber auch hier in Mannheim im Kreisverband?
Sekmen: Beides war durchweg positiv. Mir war es wichtig, hier in Mannheim so schnell wie möglich mit den Mitgliedern ins Gespräch zu kommen, mich persönlich vorzustellen - auch wenn viele mich schon vorher wahrgenommen hatten, gerade mit meinen Wirtschaftsthemen. Ich war bei vielen Terminen, Austauschrunden und in den unterschiedlichen Gruppierungen der Partei.
Mussten Sie da auch nochmals die Gründe für Ihren Wechsel erklären? Und gab es Skepsis?
Sekmen: Es ist vollkommen verständlich, dass auch mal eine Rückfrage kommt oder dass der eine oder die andere skeptisch ist. Aber es waren nicht viele. Und wir haben jetzt ja auch eine richtige Aufbruchstimmung in der Partei. Wir haben mit Friedrich Merz einen tollen Kanzlerkandidaten, der als Politiker auch ernst genommen wird. Das fehlt ja momentan gerade auf der Regierungsbank. Ich freue mich, wenn ich die CDU Mannheim gemeinsam im Team mitziehen darf auf dieser Welle.
Egal, was man tut und was man sagt, es ist wichtig, dass man die Dinge auch mit seinem Gewissen vereinbaren kann
Gab es auch mal einen Moment, in dem Sie den Wechsel bereut haben?
Sekmen: Im Gegenteil. Von Tag zu Tag dachte ich eigentlich, es war genau die richtige Entscheidung. Gerade wenn man sieht, was in der Ampel-Regierung nach der Sommerpause passiert ist und wie die Partner in der Koalition miteinander umgegangen sind. Wissen Sie: Egal, was man tut und was man sagt, es ist wichtig, dass man die Dinge auch mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Das tue ich ehrlich und aufrichtig. Und ich habe ja, bevor ich gewechselt bin, viel darüber nachgedacht.
Jetzt möchten Sie erneut für den Bundestag kandidieren. Wofür wollen Sie sich im Fall Ihrer Wahl einsetzen?
Sekmen: Ich habe mich immer auch als starke Stimme der Mannheimerinnen und Mannheimer verstanden. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr stark dafür eingesetzt, dass wir eine gute Wirtschaftspolitik haben, die Leistung belohnt, die Unternehmensgründungen erleichtert, die aber auch Investitionen in Deutschland einfacher macht und damit auch neue Arbeitsplätze schafft. Das will ich auch künftig tun.
Was ist für eine solche Wirtschaftspolitik konkret nötig?
Sekmen: Unsere Wettbewerbsfähigkeit hat unter der Wirtschaftspolitik der Ampel sehr stark gelitten. Das liegt unter anderem daran, dass wir zu hohe bürokratische Hürden haben, beispielsweise in der Unternehmensgründung oder bei der Innovationsförderung. Wir müssen die Themen Bildung und Forschung viel stärker vorantreiben, und dafür müssen wir die bürokratischen Hürden abbauen.
Ein Beispiel dafür: Hier in der Region arbeiten 15 Prozent der Beschäftigten in der Gesundheitswirtschaft. Gerade bei der Entwicklung von neuen Therapieformen für Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer brauchen wir den Zugang zu Daten. Ich habe mich sehr dafür starkgemacht, dass wir den anonymisierten Zugang zu Patientendaten ermöglichen, also sowohl für das Klinikum und seine Institute als auch für die Unternehmen in unserer Region, die in den jeweiligen Bereichen forschen. Ein weiteres wichtiges Thema für mich ist, dass in Deutschland wieder ein Klima entsteht, das Leistung in unserer Gesellschaft wertschätzt und belohnt.
Wie wollen Sie das erreichen?
Sekmen: Die Sozialabgaben sowohl für die Beschäftigten als auch für die Unternehmen sind die letzten Jahre immer weiter gestiegen. Und damit ist natürlich das verfügbare Einkommen der Menschen gesunken. Wir müssen uns fragen: Wie kriegen wir es wieder hin, dass Menschen am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche haben, das sie dann beispielsweise für den Vermögensaufbau im Alter verwenden können? Es muss einen Unterschied geben zwischen denen, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, und denen, die nicht arbeiten wollen. Und es kann nicht sein, dass der Bezug von Sozialleistungen mittlerweile zu einer Lebenskultur in unserem Land geworden ist.
Was wollen Sie dagegen tun?
Sekmen: Wir müssen schauen, dass wir mehr Menschen in Arbeit bringen, dazu ermutigen und die, die bereit sind, mehr zu tun, auch dementsprechend belohnen. Die CDU-Fraktion hat dazu in der Vergangenheit ja auch schon Vorschläge gemacht: Zum Beispiel Steuererleichterungen beim Kauf der ersten Wohnung, die steuerfreie Auszahlung von einem Teil der Überstunden oder der abgabenfreie Hinzuverdienst bei Rentnern. Oder auch die Idee, dass man bei hoher Inflation die Einkommenssteuer anpasst und so die Kaufkraft vergrößert.
Es muss einen Unterschied geben zwischen denen, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, und denen, die nicht arbeiten wollen
Den Wunsch nach mehr Unterstützung für die Wirtschaft und mehr Leistungsanreize für den Einzelnen hatten Sie auch als zentrale inhaltliche Punkte für Ihren Wechsel zur CDU angeführt. Ein anderer war die Begrenzung der Zuwanderung. Welche Vorstellungen haben Sie da?
Sekmen: Auch dieses Thema hat für mich einen klaren Wirtschaftsbezug. Ich komme aus einer Familie, in der viel gearbeitet wurde. Meine Mama war Putzfrau im Krankenhaus, mein Papa arbeitet beim Benz. Meine Eltern sind nach Deutschland gekommen und haben hier viel gearbeitet, um sich ein neues Leben aufzubauen. Sie sind dankbar dafür, dass Deutschland uns diese Chancen gegeben hat. Aber sie haben diese Chancen auch genutzt. Wir benötigen eine Migrationspolitik, die genau diese Menschen stützt. Denn die brauchen wir. Das zeigt der Arbeitskräftemangel in der Gastronomie, in der Pflege oder auch in vielen anderen Bereichen. Wir sehen gerade aber auch, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, um von den Sozialsystemen zu profitieren. Diese Art der Migration müssen wir ganz klar verringern und dürfen sie nicht weiter unterstützen.
Wie wollen Sie das steuern?
Sekmen: Wir müssen im Bund Programme auf den Weg bringen, um die Leute, die momentan im Bürgergeld-Bezug sind, so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen. Die Politik muss dazu auch strengere Regeln vorgeben. Die Zahlung von Sozialleistungen muss zum Beispiel auch daran geknüpft sein, warum er oder sie ein Jobangebot nicht angenommen hat. Die Einführung und Erhöhung des Bürgergeldes durch die Ampel-Koalition war jedenfalls der falsche Ansatz.
Wir sehen gerade aber auch, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, um von den Sozialsystemen zu profitieren. Diese Art der Migration müssen wir ganz klar verringern und dürfen sie nicht weiter unterstützen
Lassen Sie uns auf den Mannheimer Wahlkreis blicken, der ist hart umkämpft. Es wird auf Isabel Cademartori von der SPD, auf Sie oder auf Nina Wellenreuther von den Grünen hinauslaufen. Wie wird es ausgehen?
Sekmen: Wir werden jetzt Wahlkampf machen, ein paar der Themen habe ich ja schon genannt. Wir brauchen einen Politikwechsel, der schnelle Reformen voranbringt. In der Wirtschaft, beim Bürokratieabbau und bei der Migrationspolitik. Wir werden alles tun, um Erst- und Zweitstimmen für die CDU zu gewinnen. Und am 23. Februar werden die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wem sie ihr Vertrauen schenken werden.
Stichwort Erststimme. Durch die von der Ampel-Koalition beschlossene Wahlrechtsreform kann sich für Sie ein Problem ergeben: Selbst wenn Sie den Wahlkreis gewinnen, werden Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht in den Bundestag einziehen. Denn nach der Reform wird es keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Die CDU wird in Baden-Württemberg aber mehr Wahlkreissieger haben als ihr nach der Zweitstimmenverteilung Mandate zustehen. In den Bundestag kommen dann nur die Wahlkreissieger mit den prozentual besten Ergebnissen. Selbst wenn es extrem gut läuft, werden Sie in Mannheim wohl nicht so ein gutes Ergebnis haben wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus den vielen ganz klar CDU-dominierten Wahlkreisen in Baden-Württemberg. Wie gehen Sie damit um?
Sekmen: Die Aussage, dass die Mannheimer CDU-Kandidatin auch dann nicht in den Bundestag kommt, wenn sie den Wahlkreis gewinnt, die stimmt so nicht.
Ich habe ja auch gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass sie nicht reinkommt. Ich habe von Berechnungen im Mannheimer CDU-Kreisverband gehört, wonach die CDU in Baden-Württemberg 48 Prozent holen müsste, damit alle Wahlkreissieger im Bundestag wären.
Sekmen: Je mehr Zweitstimmen die CDU holt, desto mehr CDU-Wahlkreissieger werden im Bundestag sein. Und deshalb werden wir um jede Erst- und Zweitstimme kämpfen, damit wir einen richtigen Politikwechsel hinkriegen. Und ich muss schon auch sagen: In einer Demokratie ist jede Stimme wertvoll. Und diejenigen, die jetzt durch die Lande ziehen und sagen, die Erststimme an die CDU ist eine verlorene, sind Menschen, die die Demokratie ausnutzen für ihre eigene Taktiererei. Das Ziel ist doch jetzt erst mal zu sagen: Was sind die Inhalte, was wollen wir in diesem Land und was wollen wir nicht? Und wir sehen an den Umfragewerten und Zustimmungswerten des jetzigen Kanzlers, dass die Menschen einen Politikwechsel wollen. Dass sie eine gemäßigte Politik aus der Mitte heraus wollen, die wichtige Reformen in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik und in der Migrationspolitik voranbringt. Dafür steht die Union. Und dafür werden wir alles tun, um beide Stimmen zu bekommen.
Melis Sekmen: Von den Grünen zur CDU
- Melis Sekmen wurde am 26. September 1993 in Mannheim geboren.
- Von 2011 bis 2014 war sie Sprecherin der Grünen Jugend.
- 2014 wurde Sekmen Stadträtin. Fünf Jahre später zog sie erneut in den Gemeinderat ein – mit rund 56 000 Stimmen bekam sie damals die meisten von allen Kandidaten. Von da an war sie mit Dirk Grunert Vorsitzende der damals größten Ratsfraktion.
- Zu ihren wichtigsten Projekten als Stadträtin gehört Green Tech, das Gründerzentrum für grüne Technologien, das jetzt eingerichtet werden soll.
- 2021 zog Sekmen über die Landesliste in den Bundestag ein, ein Jahr später gab sie ihr Stadtrat-Mandat auf.
- Ende Juni dieses Jahres gab Sekmen ihren Wechsel zur CDU bekannt.
- Die 31-Jährige studiert an der Uni Heidelberg Volkswirtschaftslehre. Die für den Abschluss nötige Bachelor-Arbeit muss sie nach eigenen Angaben noch schreiben.
Bei Ihrem Wechsel von den Grünen zur CDU stand noch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform aus. Sind Sie davon ausgegangen, dass das Gericht die geplante Neuregelung bei den Wahlkreissiegern kippt?
Sekmen: Es kann eigentlich nicht sein, dass in einem Wahlkreis die Person mit den meisten Stimmen nicht in den Bundestag einzieht. Das ist total absurd, und das können Sie den Wählerinnen und Wählern eigentlich auch nicht vermitteln. Deshalb habe ich es für unwahrscheinlich gehalten, dass das so durchgeht. Das Gericht hat die Relevanz der Wahlkreise ja auch nochmals eigens betont, aber diesen Teil der Reform trotzdem nicht gekippt. Aber an meinem Entschluss, zur CDU zu gehen, hätte das ohnehin nichts geändert.
Sie haben vorhin gesagt, dass die Menschen einen Politikwechsel wollen. Welche Koalitionsmöglichkeiten sehen Sie nach der Wahl?
Sekmen: Ich bin kein Fan davon, über mögliche Koalitionen zu spekulieren. Für uns ist klar: Wir werden erst mal für unsere Inhalte kämpfen, werden schauen, dass wir die Menschen von unseren Inhalten überzeugen - auf den Straßen, an den Haustüren und im Netz. Für uns ist wichtig: Für eine stabile Regierung im nächsten Jahr braucht es eine starke Union, damit wir in Koalitionsverhandlungen ein Stück weit auch die Freiheit haben, unseren Partner auszusuchen, mit dem wir die Unionsinhalte auch umsetzen können. Klar ist: Es wird für uns keine Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD geben und auch nicht mit dem BSW oder mit der Linkspartei, falls die es doch in den Bundestag schaffen sollten. Aber für uns steht gleichzeitig auch fest, dass wir auf Menschen zugehen werden, die die AfD wählen oder das erwägen - um zu sehen, was diese Menschen eigentlich bewegt, anstatt sie zu verurteilen. Das wird unser Weg sein.
Ich muss Sie als Expertin bei diesem Thema jetzt natürlich fragen: Könnten Sie sich eine Koalition von CDU und Grünen vorstellen?
Sekmen: Ich bin da einfach ein sehr pragmatischer Mensch. In finde, alle Demokraten sollten miteinander reden. Da muss man sich eben an einen Tisch setzen und schauen, wo Gemeinsamkeiten sind. Eine könnte das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz sein, das heißt in der Union „Bewahrung der Schöpfung“. Wir haben dieselben Ziele, aber wir haben einen unterschiedlichen Weg. Und für uns ist klar, dass wir Nachhaltigkeit nur umsetzen können, wenn wir die Menschen auf diesem Weg auch mitnehmen und nicht mit der ideologischen Keule jedes Mal draufschlagen. Das wird es mit uns nicht geben. Wir setzen auf Dialog. Und wir setzen natürlich auf den ökonomischen Sachverstand, der nicht daraus besteht, das Geld rauszuhauen. Für uns ist Nachhaltigkeit auch, den kommenden Generationen keinen Schuldenberg zu hinterlassen.
Wir als CDU werden von Null auf Hundert hochfahren, müssen komplett in den Wahlkampfmodus gehen, die inhaltliche Vorarbeit haben wir schon geleistet
Die Bundestagswahl kommt jetzt früher als ursprünglich geplant, für Wahlkampf ist nur noch wenig Zeit. Hätten Sie sich das anders gewünscht?
Sekmen: Ich bin es gewohnt, auf aktuelle Situationen zu reagieren. Ich bin ja nicht neu in der Politik, ich durfte hier in Mannheim schon die Kommunalpolitik mitprägen. Die letzten drei Jahre waren für unser Land eine Zumutung. Das lag auch am Ukraine-Krieg. Und die Ampel-Regierung hat mit ihrem Tun oder ihrem Nichtstun in der Wirtschaftspolitik die Situation nicht besser gemacht. Die Zahl der Insolvenzen ist hochgegangen, die AfD-Zustimmungswerte haben sich verdoppelt, wir haben das Bündnis Sahra Wagenknecht dazubekommen. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir so schnell wie möglich einen Politikwechsel in Deutschland haben. Wir als CDU werden von Null auf Hundert hochfahren, müssen komplett in den Wahlkampfmodus gehen, die inhaltliche Vorarbeit haben wir schon geleistet. Die Zustimmungswerte für die Union sehen sehr gut aus. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es Momentaufnahmen sind und dass die Arbeit jetzt erst richtig losgeht.
Haben Sie einen Plan B, wenn es nicht klappt, in den Bundestag einzuziehen? Was machen Sie dann?
Sekmen: Dann geht man ganz normal arbeiten, wie alle anderen Menschen auch. Ich habe ja noch als Stadträtin das Gründerzentrum Green Tech zu Technologien rund um Klimaschutz und Nachhaltigkeit initiiert. Das wird im Laufe des nächsten Jahres errichtet. Das habe ich die letzten Jahre weiter begleitet, und ich werde auch künftig mein Engagement für das Thema Umwelt- und Energietechnologien sowie Gründungen und Start-ups weiterführen. Daran wird sich nichts ändern.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Melis Sekmen will für die Mannheimer CDU antreten: Das ist nur logisch