Mannheim. Die in gelben Overalls gekleideten Bauarbeiter wirken winzig im Vergleich zu dem Kran, der im Schatten des Scheinwerfers über ihnen thront und der mit seinem Greifarm das Plateau der Arbeiter erreicht. Die Atmosphäre wirkt ungemütlich. Wuselig. Wahrscheinlich ist es sehr laut und noch viel schweißtreibender. Kein Wunder - schließlich wird hier gerade der Fahrlachtunnel gebaut.
Elisabeth Bieneck-Roos hat die Szene im Gemälde „nächtliche Baustelle“ dokumentiert, wie der Titel des Werks von 1990 verrät, das die Künstlernachlässe Mannheim dieser Redaktion zur Verfügung gestellt haben. „Unsere Industriemalerin“ sei Bieneck-Roos gewesen, erinnert sich Sophia Denk, Künstlerische Leiterin, an die Frau, die 1925 in Münsingen bei Reutlingen geboren und 2017 in Mannheim gestorben ist. Sie hat in mehreren Gemälden den Bau des Fahrlachtunnels festgehalten.
Diese Baustelle ist aber nicht der einzige wuselige Ort gewesen, an dem Bieneck-Roos häufig anzutreffen war - stets mit Schutzhelm und Zeichenblock ausgestattet und „skeptisch beäugt von Bauleitern und Arbeitern“, wie Christel Heybrock am 28. Februar 2017 im „Mannheimer Morgen“ zum Tod der Künstlerin schrieb. Der Hafen, das Grosskraftwerk, Brücken, ganze Straßenzüge oder zahlreiche andere Baustellen umfasst das Werk von Bieneck-Roos. Auch die Hochöfen von Thyssen in Duisburg hat sie gemalt. „Die Arbeitsweise vor Ort war für sie von entscheidender Bedeutung, weil sie die abzubildenden technischen Vorgänge so besser verstehen konnte“, sagt Denk. Als Unterlage hätten ihr „unkonventionelle Mittel“ wie das Heck ihres Autos, Rollwägen oder Klapptische gedient.
Die Tusche-Gemälde zeigen den Mannheimer Industriecharme. Die technisch abstrakten und komplizierten Themen habe Bieneck-Roos vor allem in Schwarz dargestellt und mit Akzenten in Rot, Gelb, Blau und Grün ergänzt, sagt Denk. Laut Heybrock sind die Werke „weit entfernt von femininer Zimperlichkeit“. Bieneck-Roos habe sich nicht mit Schräubchen aufgehalten, sondern die enormen Energien technischer Anlagen stattdessen „in kraftvollen, kompakten Pinsel- und Zeichenstrichen zum Ausdruck“ gebracht.
Was reizt eine Künstlerin an Baustellen wie der in Mannheim?
Was sie an Baustellen interessiert hat? „Technisches Abenteuer, ungewöhnliche Farben, Einblicke in Bauwerke, die beim Voranschreiten der Konstruktionen sich wieder verschließen, das fasziniert mich. Das muss ich malen“, soll Bieneck-Roos laut Denk einmal gesagt haben. „Seit der Begegnung mit den großen Stahlwerken des Ruhrgebiets weiß ich, warum mich die Industrie so in ihren Bann schlägt: Es ist die Anhäufung bizarrster Formen und Strukturen, extremster Gegensätze von hell und dunkel, heiß und kalt, schwer und leicht, Statik und Bewegung.“
Denk vermutet, die Baustellen hätten für Bieneck-Roos den „Aufbruch in ein ,neues’ Deutschland“ symbolisiert. Laut Heybrock hat sie „den Wiederaufbau des kriegszerstörten Mannheim begleitet wie niemand außer ihr“.
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