Mannheim. Gerade läuft in den Gymnasien das schriftliche Abitur. Ein paar Wochen danach folgen die mündlichen Prüfungen. Kaum jemand wundert sich, dass insbesondere dort Schülerinnen und Schüler aufgeregt sind. Schließlich müssen sie vor der Prüfungskommission Rede und Antwort stehen. Die drei Lehrkräfte dagegen stellen „nur“ die Fragen, sie können sich also ganz entspannt zurücklehnen.
Wirklich? Die mündliche Prüfung bringe sie „jedes Jahr aufs Neue in einen Zustand der Aufregung“, gesteht Florence Bindseil. Die Deutsch- und Kunstlehrerin am Ursulinen-Gymnasium (UGM) erklärt auch wieso: „Gerade wenn man in einer mündlichen Abiturprüfung einem fremden Prüfungsvorsitz gegenübertritt, möchte man logischerweise eine gute Auswahl an Prüfungsfragen haben.“ Und die Schüler so ansprechen, „dass sie zeigen können, was bei mir gelernt haben“.
Bindseils Kollege Alexander Putzier – er unterrichtet unter anderem Deutsch und Biologie – bestätigt das aus seiner Sicht als Prüfungsvorsitzender: „Ich merke, wenn der Prüfer gute Fragen stellt. Wenn der Schüler sich daran orientieren kann, um zu richtigen Lösungen zu finden. Ich merke aber eben auch, wenn er das nicht kann. Dieser Situation möchte man sich selbst nicht aussetzen.“
Alle drei Wochen kommt eine neue Folge
Lehrer, die in der Prüfung aufgeregt sind: Auf so etwas wären wohl die wenigsten Außenstehenden gekommen. Dass sie diesen und viele andere Einblicke in den Alltag von Pädagogen, aber auch von Schülerinnen und Schülern bekommen, haben sie dem Podcast „Baseline – Schule im Gespräch“ von Florence Bindseil und Alexander Putzier zu verdanken. Die erste Folge, das „Warm Up“ ist am 20. März, die zweite am 10. April erschienen. Darin geht es schwerpunktmäßig um „Aufregung und mentale Stärke“.
Dabei kommen Bindseil und Putzier mit Karla ins Gespräch. Die 15-Jährige berichtet, dass sie nicht nur vor ihrer Wahl zur Schülersprecherin „sehr aufgeregt“ gewesen sei, sondern auch zu Beginn der Podcast-Aufnahmen. „Dieses Setting und das Equipment waren ganz neu für mich, aber es war alles sehr entspannt“. Karla sagt auch, es sei „eine der Horrorsituationen für alle Schüler, spontan rangenommen zu werden“. Dabei, so ihr Tipp, „kann ja gar nichts passieren“. Selbst wenn die Antwort mal falsch sei, „reißt einem keiner den Kopf ab“.
Rund 1700 Personen hätten die ersten beiden Folgen gehört, erzählt Putzier im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“: „Dabei haben wir nach außen hin gar nicht viel kommuniziert.“ Den Podcast würden die beiden „auch für 30 Leute produzieren, aber wir haben natürlich die Absicht zu wachsen“.
Reaktionen auf Lehrer-Podcast Baseline aus Mannheim positiv
Die bisherige Resonanz spricht dafür, dass das gelingen könnte: „Die Reaktionen sind fast durchweg positiv“, freut sich der Lehrer. Seine Kollegin ist ebenfalls ausgesprochen zufrieden: „Das motiviert und gibt Rückenwind.“
Das Schulleben konzentriert sich unserer Meinung nach immer sehr stark auf die Unterrichtsinhalte, die soziale Komponente kommt oftmals zu kurz.
In der nächsten Folge geht es um „Lehrerklischees“ – etwa die, dass sie sich nicht wirklich für ihre Schüler interessierten, faul und humorlos seien, immer recht hätten. Wie wenig diese Klischees stimmen, zeigen Florence Bindseil und Alexander Putzer in ihren Podcasts. Sie rufen Schülerinnen und Schüler dazu auf, ihre Sicht der Dinge einzubringen. Und sie zeigen, dass Lehrer ganz normale Menschen mit Stärken und Schwächen sind. Dabei nehmen die beiden sich selbst auf die Schippe – nicht nur im Podcast, sondern auch mit lustigen Reels auf ihrem Instagram-Kanal baseline_sig.
„Das Schulleben konzentriert sich unserer Meinung nach immer sehr stark auf die Unterrichtsinhalte, die soziale Komponente kommt oftmals zu kurz“, erklärt Putzier die Motivation für den Podcast. Mit ihm wolle man „Raum für die Nebenschauplätze der Schule schaffen“, indem die beiden Hosts sich zum Beispiel mit Schülern austauschen. „Im besten Fall soll unser Podcast dazu beitragen, dass beide Seiten füreinander ein besseres Verständnis entwickeln“, so Putzier.
Interviewpartner auch über die Schule hinaus gesucht
Bei der Suche nach Gesprächspartnern blicken die Hosts aber über die Schule hinaus: In weiteren Podcast-Folgen wollen sie zum Beispiel mit Firmen- oder Hochschulvertretern darüber sprechen, was sie von Schülern erwarten. Oder Spitzensportler dazu befragen, wie sie mit Selbstzweifeln umgehen. „Wir sind offen für alle Themen, die in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Denn sie spielen auch in der Schule eine Rolle“, betont Putzier.
In die Produktion der Insta-Reels und des rein privaten Podcasts stecken die beiden UGM-Lehrer viel Zeit: nahezu tägliche Absprachen, Suche nach Gesprächspartnern und Bildern, die Aufnahme selbst, der Schnitt der im Drei-Wochen-Turnus erscheinenden Folgen. Wer sich das neben dem herausfordernden Beruf antut, muss dafür brennen. Dass Florence Bindseil und Alexander Putzier das tun, merkt man sofort, wenn man sich mit ihnen unterhält.
Benimmregeln für das mündliche Abitur
Zur Auflockerung der Podcast-Folgen setzen die Hosts auf zwei Rubriken. Bei „Jetzt mal Tacheles“ beantworten sie Schülerfragen – zum Beispiel, wie viel Zeit die Unterrichtsvorbereitung benötigt oder ob ein Lehrer Lieblingsschüler hat. Spontan antworten müssen sie beim „schnellen Entweder Oder“, bei dem ihre Gesprächspartner sie etwa fragen: Tafel oder Tablet? Goethe oder Schiller? Sport gucken oder Sport machen? Und so weiter.
Bindseil und Putzier verstehen sich aber auch als Tipp-Geber, wenn sie zum Beispiel Techniken gegen Prüfungsangst vorstellen. Oder in der übernächsten Folge, rechtzeitig vor den mündlichen Abiprüfungen, auf Fragen wie diese eingehen: Was zieht man bei der Prüfung an? Und: Gibt man den Prüfern die Hand?
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