Mannheim. Historiker nenen das gerne „Duplizität der Ereignisse“. Zwei historische Vorgänge fallen am gleichen Datum zusammen. Zufällig fast immer, aber dennoch mit großer symbolischer Aussagekraft. Wie hier im vorliegenden Fall: Der 75. Jahrestag des Grundgesetzes fällt zusammen mit dem 150. Geburtstag des Mannheimer Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank. Zufällig ja, aber dennoch passend angesichts unserer Verfassung und eines Mannes, der sein Leben lang für die darin fixierten Werte kämpft, ihre Verwirklichung aber doch nicht mehr erleben wird.
Die historische Bedeutung Ludwig Franks für diese Stadt ist umso erstaunlicher, als er kein gebürtiger Mannheimer ist. Geboren wird er am 23. Mai 1874 in der badischen Provinz, in einem Ort namens Nonnenweier. Als Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie; zwei Urgroßväter wirken als Rabbiner.
Sowohl rhetorisches Talent als auch politisches Bewusstsein zeigen sich bereits früh. Nachdem er das Gymnasium als Jahrgangsbester abschließt, darf/muss er die Abiturrede halten. In seinem Vortrag zum Thema „Die Bedeutung Lessings in seiner Zeit“ zieht er eine Linie der Forderung nach Emanzipation von Lessing bis zur Sozialdemokratie. Das sorgt für einen Skandal: Das Badische Unterrichtsministerium verweigert die Übergabe der Abitur-Urkunde. Erst als es zum - heute würde man sagen - Shit Storm in der Presse kommt, gibt die Regierung klein bei.
Ludwig-Frank-Denkmal in Mannheim: Würdig für einen verdienten Demokraten?
Mit Denkmälern für politische Persönlichkeiten haben es die Deutschen inzwischen nicht mehr so. Und das ist ja gar nicht schlecht. Trotzdem wäre „ein gelungenes Gedenken“ an Ludwig Frank wichtig, meint der Historiker Gottfried Niedhart. Doch das, was derzeit als „Ludwig-Frank-Denkmal“ firmiert, entspricht dem aus Sicht des emeritierten Professors keineswegs. Mit dieser Meinung steht er nicht alleine.
Zum zehnten Todestag von Frank 1924 wurde auf Initiative des Republik-treuen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold ein Denkmal im Unteren Luisenpark initiiert. Der Architekt Arthur Lehmann gestaltete es mit drei Sockeln, die für die Gewaltenteilung standen, auf dem obersten mit einem Medaillon Franks. Darüber, an der Spitze, ein vom Bildhauer August Köstner gestalteter Stern, der für Franks flammende Ideen stehen soll. Die Nazis brachen das Denkmal nach ihrer Machtergreifung 1933 ab; nur der Sockel blieb erhalten.
Nach dem Kriege beschloss der Stadtrat, auf diesem Sockel die Skulptur „Jüngling mit Stab“ zu platzieren, die 1940 entstand. Das Problem: Ihr Erschaffer Josef Bleeker (1881-1968) war überzeugter Nationalsozialist, Unterzeichner einer Erklärung, die unter anderem Paul Klee und Mies van der Rohe als undeutsch diffamierte, Mitglied in Hitlers eigener „Gottbegnadetenliste“.
Doch das schien lange niemanden gestört zu haben. Es war „MM“-Redakteur Manfred Loimeier, der 2019 bereits die Diskussion über die nach Kolonialverbrechern benannten Straßen in Rheinau-Süd in Gang gebracht hatte, der sich in drei umfassenden Beiträgen dem Frank-Denkmal widmete. Erneut stieß er damit eine längst überfällige Debatte an, die von dem Historiker Gottfried Niedhart aufgegriffen wurde. Ganz abgesehen davon, was ein Jüngling mit Speer mit Ludwig Frank zu tun hat, wird seither die Frage erörtert: Bildet die Applikation eines NS-Künstlers die angemessene Erinnerung an einen Demokraten, noch dazu einen jüdischen Glaubens?
„Das Denkmal in seiner aktuellen Form ist dem Andenken Ludwig Franks nicht würdig“, sagt Kulturdezernent Thorsten Riehle (SPD) ganz klar. Es stelle sich daher die Aufgabe der „Kontextualisierung“, sprich einer Neukonzeption der Beschilderung, „wenn man nicht den Weg einer Entfernung oder Umwidmung gehen möchte“, so Riehle: „Welche dieser drei Optionen dem Andenken Ludwig Franks gerecht wird, muss geklärt werden.“ Ausdrücklich bedauert Riehle, „dass dies zum Gedenkjahr seines Geburts- und Todesjahres noch nicht geschehen ist.“
Inzwischen wurde zumindest ein Arbeitskreis gebildet, dem auch der Altertumsverein und der Verein Stadtbild, das Marchivum und die Kunsthalle angehören. Hier soll mit den bürgerschaftlich Engagierten das weitere Vorgehen besprochen werden. „Die erste Sitzung wird unter meiner Leitung im Rathaus stattfinden, weil es mir auch ganz persönlich wichtig ist“, betont Riehle.
Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) verweist zudem auf eine stadtinterne Arbeitsgruppe, die sich mit nationalsozialistisch belasteten Kunstwerken im öffentlichen Raum beschäftigt. Ziel sei es, dort einen QR-Code anzubringen, der zu erläuternden Texten führt. Dies sei „bereits in Arbeit“, betont der OB: „Die Kontextualisierung anstatt einer Umwidmung oder Entfernung solcher Skulpturen ist ein wichtiger Aspekt der erinnerungskulturellen Aufarbeitung“, betont Specht.
Auch Ludwig Franks Partei, der SPD, ist die jetzige Gestaltung ein Dorn im Auge. Stefan Flust-Blei, Kreisvorsitzender und Landtagsabgeordneter, will das Thema daher ansprechen, wenn die Sozialdemokraten an diesem Donnerstag um 16 Uhr vor Ort einen Kranz niederlegen. Sprechen wird dabei auch der Vorsitzende des Mannheimer Altertumsvereins, Hermann Wiegand.
Natürlich widmet sich auch das nach Frank benannte Gymnasium seinem Namenspaten - am 12. Juni mit Beiträgen der Schulgemeinde und einem Vortrag von Universitätsprofessor Philipp Gassert.
Im Jahre 1900 startet er in Mannheim seine Karriere
Nach Jura-Studium und Promotion kommt Frank 1900 nach Mannheim und tritt in eine Anwaltskanzlei ein. Doch bald macht er sich selbstständig, als sein Chef den Vertrag nicht verlängert - aufgrund von Franks politischem Engagement.
Denn damals tritt er der SPD bei, startet seine bald glanzvolle politische Karriere: Bereits fünf Jahre später, mit erst 30, wird er Abgeordneter im Badischen Landtag und dort Vize-Fraktionsvorsitzender seiner Partei. Eine Top-Position, in der er die Landespolitik mit prägt. Er arbeitet mit dem katholischen Zentrum und den Liberalen zusammen, trifft sogar Absprachen für die Kandidaturen in Wahlkreisen. Das verhindert eine konservativ-katholische Mehrheit im Landtag und bringt politische Erfolge: Einführung der Schulpflicht auch für Mädchen und Einstieg in die Lehrmittelfreiheit.
1907 nimmt Frank in seiner Funktion sogar an der Trauerfeier für Großherzog Friedrich I. teil. Für gleich mehrere Gruppen ist diese Teilnahme ein Skandal: Für die Konservativen - denn die SPD versteht sich ja nach wie vor als „Umsturzpartei“ - , gerade deshalb aber auch für viele linke Sozialdemokraten.
Auf dem Parteitag 1908 kommt es zum Show-down. Parteichef August Bebel bringt eine Resolution ein, in der die Blockpolitik des badischen wie auch der anderen süddeutschen Landesverbände verurteilt wird. Mit seiner Haltung habe Frank ihn schwer enttäuscht, beklagt Bebel und lässt durchblicken, dass er ihn bisher als seinen Kronprinzen sah, nennt ihn gar seinen „Liebling“.
Frank widerspricht dem legendären Parteivater dennoch: Statt Klassenkampf zu propagieren müsse die Partei konkrete Verbesserungen für die Arbeiter erreichen. Ohne Erfolg: 258 Delegierte votieren für Bebel, 119 Stimmen für Frank. Für den Fall, dass Frank dieses Votum missachtet, wird ihm der Ausschluss angedroht.
Derweil ist Frank seit 1907 auch Abgeordneter im Deutschen Reichstag in Berlin und dort rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Zentrale Anliegen sind der Erhalt der Pressefreiheit und der Zuschnitt der Wahlkreise, der die Sozialdemokraten bislang strukturell benachteiligt.
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Doch die SPD hat im Reichstag wenig zu melden. 1913 fordert Frank daher einen „Massenstreik“ für ein gerechteres Wahlrecht. Gegenwind erfährt er ausgerechnet von der Führerin der Linken, Rosa Luxemburg: Blockpolitik in Baden und Massenstreik in Preußen, das sei doppelzüngig, passe nicht zusammen. Für Frank aber gerade doch. Denn die Mittel des politischen Kampfes müssten stets den Rahmenbedingungen angepasst sein, mahnt er.
Beim Thema Massenstreik im Gegensatz zu den Gewerkschaften
Doch auch die Gewerkschaften verweigern sich ihm. Beim historischen SPD-Parteitag in Mannheim 1906 hatte man sich auf eine Arbeitsteilung geeinigt: die Partei für die Politik, die Gewerkschaften für die Betriebe. Für politische Aktionen wollen sie sich nicht einspannen lassen. Frank ist isoliert - von Parteivater Bebel und den Linken wegen seiner Blockpolitik, von den Gewerkschaften wegen des Massenstreiks.
Zwiespältig gestaltet sich Franks Haltung zum Krieg. Als die kaiserliche Regierung 1913 im Reichstag einen Antrag einbringt, der eine Aufstockung des Heeres um 117 000 Soldaten und 3900 Offiziere vorsieht, ist Frank unter denen, die dies prinzipiell ablehnen. Stattdessen plädiert er für Rüstungskontrolle gemeinsam mit Frankreich.
Als sich die politische Lage verdüstert, organisiert er für Mai 1913 eine europäische Friedenskonferenz in Bern. Mit den Franzosen wird ein Aufruf zur Verständigung erarbeitet. Über diesen Erfolg ist Frank begeistert. Doch er ist eine Illusion: Die liberalen und konservativen Parteien sind längst auf einem anderen Trip, dem Kriegspfad. Zwar kommt es noch im Juli 1914 zu einer Folgekonferenz. Doch bereits im Monat darauf ist Deutschland im Krieg.
Das ändert auch für Frank alles: Falls es zum Krieg komme, würden die Sozialdemokraten natürlich ihrer „nationalen Pflicht“ nachkommen, sagt er auf der großen Friedensdemonstration in Mannheim Ende Juni 1914. Das ist nun der Fall.
Zudem gelingt es der kaiserlichen Regierung durch manipulative Öffentlichkeitsarbeit, Deutschland als den Angegriffenen darzustellen. Am 4. August 1914 stimmt auch die Mehrheit der SPD im Reichstag den Kriegskrediten zu. Frank kämpft dafür wie kein Zweiter. Seine Begründung: Dies sei nötig, um die nationale Zuverlässigkeit der SPD zu beweisen. Nach dem Sieg, von dem er überzeugt ist, werde diese Haltung belohnt werden und zur Demokratisierung des Staates führen. „Statt eines Generalstreiks führen wir für das preußische Wahlrecht einen Krieg“, schreibt er in einem Brief.
Persönliche Gründe kommen hinzu: Als Jude und als Sozialdemokrat ist er Angehöriger einer doppelten Minderheit. Das Vorurteil von den „vaterlandslosen Gesellen“ will er mit eigenem Beispiel widerlegen.
Freiwillig meldet er sich zum Kriegseinsatz an der Front
Obwohl er als Abgeordneter nicht mit einer Einberufung rechnen muss, meldet er sich noch aus dem Reichstag heraus freiwillig zum Fronteinsatz. Der Gefahr ist er sich bewusst: „Ich weiß nicht, ob auch die französischen Kugeln meine parlamentarische Immunität achten“, schreibt er am 23. August: „Ich habe den sehnlichsten Wunsch, den Krieg zu überleben und dann am Innenausbau des Reiches mit zu schaffen.“ Doch das bleibt ihm versagt.
Am 31. August wird er von einer großen Menschenmenge an die Front verabschiedet - als Angehöriger eines Grenadier-Regiments, das den Namen „Kaiser Wilhelm“ trägt, dem er und seine Partei das Stigma „vaterlandslose Gesellen“ verdankt.
Bereits drei Tage später ist Frank tot: Im Alter von 40 Jahren fällt er bei Baccarat in Lothringen - einer von nur zwei Reichstagsabgeordneten, die an der Front sterben. Gerüchte, rechte Soldaten hätten ihn, den Juden und Roten, hinterrücks gemeuchelt, kommen sofort auf und verstummen nie. Beweise gibt es keine.
Wahrscheinlich ist jedoch: Hätte Frank den Krieg überlebt, wäre ihm wohl eine zentrale Rolle in der SPD der Weimarer Republik zugekommen. Aber auch: In der Nazizeit hätte Frank (1933 wäre er 58 Jahre alt) als Sozialdemokrat, Jude und Urenkel zweier Rabbiner den Holocaust wohl nicht überlebt. Wie so vielen wäre ihm nur das Exil geblieben.
Auch nach dem Kriege machen es seine politischen Ansichten, die in keine Schublade passen, mancher politischen Richtung schwer, sich zu ihm zu bekennen. Sogar in Mannheim gibt es zwar eine Straße, eine Schule, gar eine frühere Bundeswehr-Kaserne, die nach ihm benannt werden, aber kein angemessenes politisches Gedenken. Außer einem Denkmal, das in seiner Gestaltung gerade heute umstritten ist.
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