Mannheim. Im Jahr 1949 sind die Kriegsfolgen noch spürbar. Die Alltagsprobleme der Menschen sind groß. Und so konzentriert sich das politische Interesse vieler auf kommunalpolitische Entscheidungen – zum Beispiel zur Linderung der Wohnungsnot. Dass in diesem Jahr, am 23. Mai 1949, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft tritt, ist für viele nur eine Randnotiz.
Das stellt der Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte in seinem 1999 erschienenen Kompendium „Aus den Trümmern zum Neubeginn – Mannheim im Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland“ fest. Die stadtgeschichtlichen Materialien für den Unterricht, darunter unzählige Originalartikel aus dem „Mannheimer Morgen“, hätten viele Schulen im Unterricht genutzt und dazu ganze Klassensätze erworben, erinnert sich Mitherausgeber Thomas Hagen. Die Publikation, so Hagen, habe auch 25 Jahre später „nichts an Aktualität verloren“.

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Das zeigt sich in der PDF-Version, die Hagen dem „Mannheimer Morgen“ zur Verfügung stellte. Die Broschüre enthält Bausteine zu Ernährung und Arbeit, Jugend in Freizeit und Schule, Wiederaufbau und einiges mehr. Aber es geht auch um das Grundgesetz – beziehungsweise die Reaktion der Bevölkerung darauf.
Vor 75 Jahren wenig Wertschätzung für Verfassung
Ein Aufruf des „Mannheimer Morgen“ vom 29. Januar 1949, zum Grundgesetz Stellung zu nehmen – „Was halten Sie davon?“ – trifft auf ausgesprochen geringe Resonanz. Und auch die Zeitung selbst habe die Verabschiedung des Regelwerks „seltsam spröde und eher knapp kommentiert. Wesentlich mehr Raum nahm die Sportberichterstattung ein“, schreibt der Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte.
Ein Leser wundert sich in einer Zuschrift über den Grundgesetz-Entwurf: „Das also ist das Ergebnis monatelanger Beratungen“, schreibt er: „Man kann nichts anderes tun als staunen“, trotz der ganzen Arbeit sei sehr wenig herausgekommen“ und „das Volk hat nichts zu sagen“, sondern könne lediglich „alle vier Jahre wählen“.
Zwar setzt ein Kommentator am 9. Mai 1949 einen Kontrapunkt zu solchen Meinungen, wenn er schreibt: Das Verfassungswerk „bietet die Plattform zu einem staatlichen Leben in Freiheit“ und „die Grundrechte garantieren dem Einzelnen seine Freiheit im Guten“. Aber der Eindruck, das Grundgesetz werde zur Zeit seiner Verabschiedung wenig wertgeschätzt, bleibt haften.
Das ist ein großer Unterschied zu der Zeit 75 Jahre danach. Welchen Wert die Verfassungsordnung – und deren Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht – hat, ist den meisten bewusst. Nicht zuletzt gilt das für viele Schülerinnen und Schüler in Mannheim. Unter Federführung des Deutsch-Türkischen Instituts für Arbeit und Bildung (DTI) machen sie seit Jahren auf die Bedeutung des Grundgesetzes mit kreativen und plakativen Aktionen aufmerksam.
Das war gerade jetzt wieder zu sehen. Im Vorfeld des Jubiläums hatte das DTI Mannheimer Schülerinnen und Schüler dazu aufgerufen, „ihre Gedanken und Gefühle zum Grundgesetz auf kreative Weise auszudrücken“. Entstanden sind so eindrucksvolle Plakate, die bei der 75-Jahr-Feier des Grundgesetzes am 13. Mai in der Kunsthalle Mannheim präsentiert wurden.
Ein Werk der Jugendlichen aus der Friedrich-List- und Marie-Curie-Schule zeigt zum Beispiel eine Friedenstaube vor düsterem Hintergrund. Eingerahmt und damit geschützt ist sie von einem großen „G“, das für das Grundgesetz steht. Ein anderes Plakat zeigt die Diversität der Gesellschaft, die durch den Gleichheitsparagrafen Art. 3, Grundgesetz geschützt wird.
Einen weiteren Beitrag zum 75. Jubiläum der Verfassung haben einige Jugendliche der Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule geleistet: Als Folge eines DTI-Workshops zeichneten sie ihre ganz persönlichen Erfahrungen auf – unter dem Motto: „Wo uns Grundrechte im Alltag begegnen.“ Dabei kamen durchaus auch Probleme zur Sprache – zum Beispiel, dass Schülerinnen und Schüler aufgrund ihres Aussehens abwertend behandelt wurden.
Große Aktionen zum Thema Grundrechte seit fünf Jahren
Andere setzten sich mit der Abwägung zwischen verschiedenen Grundrechten auseinander. Zum Beispiel damit, dass die Freiheit der Meinung nicht uneingeschränkt gilt – etwa, weil die Verbreitung von „Hassreden“ die Würde anderer Menschen beeinträchtigt. Mit Unterstützung von bermuda.funk sind diese Stimmen unter dem Titel „Grundgesetz. Wo uns Grundrechte im Alltag begegnen“ auf der Audio-Stadtkarte „Mannheim Under Construction“ hörbar.
Schon vor fünf Jahren „feierten“ Schülerinnen und Schüler mit öffentlichen Plakataktionen auf Initiative des DTI das Grundgesetz. Im Mittelpunkt der Aktionen stand dabei der Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Jahr für Jahr stand danach ein anderer Artikel im Fokus kreativer Beiträge.
Außerdem organisierten im Vorfeld des 70. Jubiläums der Verfassung zehn Seminarkursteilnehmerinnen der Friedrich-List-Schule fast ein Jahr lang die Kundgebung „Danke Grundgesetz! Wir feiern dich!“, Tausende Schülerinnen und Schüler sowie Erwachsene nahmen auf dem Schlossplatz daran teil.
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