Mannheim. Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Dass dieser Satz sich in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes wiederfindet, ist nicht zuletzt vier Frauen zu verdanken, die als „Mütter des Grundgesetzes“ in die Geschichte eingingen. Elisabeth Selbert (SPD; 1896-1986), Friederike Nadig (SPD; 1897-1970), Helene Weber (CDU; 1881-1962) und Helene Wessel (Zentrumspartei; 1898-1969) arbeiteten zusammen mit 61 Männern im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz aus und sorgten dafür, dass unsere Verfassung Frauen Gleichberechtigung garantiert.
Bis der Satz, den die Juristin Elisabeth Selbert formulierte und als Antrag in den Rat einbrachte, aber tatsächlich breite Zustimmung fand, war es ein beschwerlicher Weg. Selbert musste zunächst ihre SPD-Parteikollegin Friederike Nadig davon überzeugen, später dann noch Wessel und Weber, die zunächst keine Veranlassung dazu sahen, den Passus der Weimarer Verfassung „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ anzupassen. Nachdem Selberts Antrag immer wieder abgelehnt wurde, hielt sie in mehreren deutschen Städten Vorträge und initiierte damit öffentlichen Protest.
Die Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges ihre Familien über Wasser gehalten hatten und Berufen nachgingen, wollten sich nach der Rückkehr der Männer nicht mehr damit abfinden, in ihre alten Rollen zurückgedrängt zu werden. Rechtlich standen ihnen, im Vergleich zu heute, aber noch wenige Möglichkeiten offen. Ohne männliche Zustimmung konnten sie weder ein Bankkonto eröffnen noch einen Arbeitsvertrag unterschreiben – und in Familiendingen hatten auch die Ehemänner das letzte Wort. Das wollte vor allem die kämpferische Selbert nicht akzeptieren.
Das Engagement der Juristin trug Früchte. Überparteiliche Frauenverbände erhoben ihre Stimmen für mehr Gleichberechtigung. Tausende Eingaben und Petitionen erreichten den Parlamentarischen Rat. Schließlich sah sich das Gremium damit konfrontiert, zu handeln und nahm den Gleichheitsgrundsatz einstimmig an.
Selbert bleibt ein Mandat im Bundestag verwehrt
Was Selbert als großen persönlichen Erfolg verbuchen konnte, sorgte allerdings nicht dafür, dass ihre politische Karriere auf Bundesebene Aufwind bekam – ganz im Gegenteil. Ein Bundestagsmandat blieb ihr verwehrt. Die Sozialdemokratin wirkte stattdessen bis Ende der 1950er Jahre weiter als Landtagsabgeordnete in Hessen und arbeitete dann bis ins hohe Alter als Anwältin für Familienrecht in ihrer eigenen Kanzlei.
Selberts Parteikollegin Friederike Nadig hingegen schaffte es in den Deutschen Bundestag, in dem sie sich von 1949 bis 1961 weiter für die Belange von Frauen einsetzte. Insbesondere die Lohngleichheit von Frauen und Männern lag Nadig am Herzen. Dessen Verankerung im Grundgesetz, für die sie und Helene Weber ganz besonders gekämpft hatten, scheiterte allerdings vor 75 Jahren. Nadig engagierte sich schon früh politisch, trat mit 19 Jahren in die SPD ein. Die gelernte Jugendfürsorgerin wurde im Nazi-Deutschland mit einem Berufsverbot belegt und arbeitete dann als Gesundheitspflegerin, bevor sie 1947 in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog.
Helene Weber brachte von den vier Frauen wohl die meiste politische Erfahrung in den Parlamentarischen Rat ein. Sie gehörte – so wie auch Paul Löbe und Wilhelm Heile – nicht nur diesem Gremium, sondern bereits der verfassunggebenden Nationalversammlung der Weimarer Republik an. 1920 wird Weber die erste Ministerialrätin der Weimarer Republik, 1933 wird sie von den Nazis wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Ministerialdienst entlassen. Zunächst saß die Oberschullehrerin in den 1920er Jahren für die Zentrumspartei im Preußischen Landtag, dann im Reichstag. Nach dem Krieg war sie Mitglied des ersten Landtags in Nordrhein-Westfalen für die CDU. Sie begründete die Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU, die heutige Frauen-Union, mit und war von 1948 bis 1956 dessen Vorsitzende. Von 1949 bis zu ihrem Tod 1962 saß sie für die CDU im Bundestag.

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Auch Helene Wessel sammelte schon früh parlamentarische Erfahrungen. Von 1928 bis 1933 saß die examinierte Jugend- und Wirtschaftsfürsorgerin im Preußischen Landtag. Ab 1946 war sie Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen, von 1949 bis 1953 saß Wessel für die Zentrumspartei, dessen Erste Vorsitzende sie zunächst war, im Bundestag. Von 1957 bis zu ihrem Tod 1969 hat sie noch einmal ein Bundestagsmandat inne, diesmal in den Reihen der SPD. Wessel stimmte in der Schlussabstimmung übrigens zusammen mit elf weiteren Ratsmitgliedern gegen das Grundgesetz. Ihr fehlten darin notwendige Grundrechte, aber am Ende unterzeichnete sie es dennoch.
Jede der vier kämpfte für mehr Gleichberechtigung, in Zeiten, in denen das Wirken von Frauen in Parlamenten noch viel weniger selbstverständlich war als heute. Nur 6,8 Prozent der Abgeordneten im Deutschen Bundestag waren 1949 Frauen. In der aktuellen Legislaturperiode sind es immerhin 34,8 Prozent. Weiterhin sind Frauen in Versammlungen, Räten oder Parlamenten aber in der Minderzahl. Die rechtliche Gleichberechtigung politisch umzusetzen, ist und bleibt eine große Aufgabe.
Auch nach der Verkündigung des Grundgesetzes 1949 verging viel Zeit, bis die Gesetzestexte tatsächlich umgesetzt wurden und nicht nur leere Worthülsen blieben. Denn einige Passagen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) widersprachen der neuen Verfassung. Der Gesetzgeber sollte bis 1953 nachbessern. Doch erst durch Druck des Bundesverfassungsgerichts konnte 1957 ein Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet werden. 20 Jahre später, 1977, folgte eine erneute Reform des Ehe- und Familienrechts. Hier wurde beispielsweise auch die sogenannte Hausfrauenehe aus dem BGB gestrichen. Erst 1980, 31 Jahre nach der Verkündigung des Grundgesetzes, trat das Gesetz über die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz in Kraft.
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Nach Wiedervereinigung wird bei Formulierung nachgebessert
Nach der Wiedervereinigung sollte eine Gemeinsame Verfassungskommission das Grundgesetz überarbeiten. Frauenverbände forderten eine konsequentere Gleichstellungspolitik. So wurde Artikel 3 Absatz 2 1994 ergänzt. Seither heißt es dort: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Doch auch heute, 30 Jahre später, sind noch viele Schritte zu gehen, um eine vollständige Gleichberechtigung von Frauen sicherzustellen, insbesondere was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, die wirtschaftliche Absicherung, das Einnehmen von Führungspositionen oder den Schutz vor Gewalt. Die Bundesregierung hielt in ihrem Koalitionsvertrag 2021 fest, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt erreicht werden müsse. Im vergangenen Jahr sagte Bundeskanzler Olaf Scholz dazu in seinem Podcast „Kanzler Kompakt“: „Und zwar so, wie es im Grundgesetz 1949 richtigerweise und ohne Wenn und Aber festgehalten wurde: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
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