Queeres Leben

Von „Shame zur Pride": 25 Jahre PLUS Mannheim - Gründer geben intime Einblicke

Vier queere Psychologen schreiben Geschichte in Mannheim: Doch es sind die Neunziger, die Welt ist eine andere. Gerade auch deshalb entsteht die Psychologische Lesben- und Schwulenberatung PLUS

Von 
Lea Seethaler
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Die vier Psychologinnen und Psychologen Margret Göth und Andrea Lang (oben v. l.) und Ulli Biechele und Thomas Heinrich (unten v. l.) gründeten in den 90ern die Psychologische Lesben- und Schwulenberatung in Mannheim. © Marchivum/Kathrin Schwab

Wie kam es zur Gründung?

Mannheim. „Andrea und ich haben in Landau studiert. Ich wohnte in der einer der coolsten WGs der Stadt. Aber Andreas WG hat es noch völlig getoppt“, sagt Thomas Heinrich und lacht laut. Die Stimmung ist gut an diesem Abend im Marchivum, an dem die vier Gründer der Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar (PLUS) zum 25. Jubiläum ihre Geschichte erzählen. Andrea ist Andrea Lang, zudem sind Margret Göth und Ulli Biechele auf der Bühne. „So lernten wir uns kennen – und Margret und Ulli trafen wir auf einem Kongress von schwul-lesbischen Psychologen“, so Heinrich weiter. Der Bedarf einer psychologischen Beratung aus der Community für die Community war durch die vier schnell erkannt, als sie sich auf Veranstaltungen vernetzen.

Wie prägte die eigene Identität?

Andrea Lang sagt: „Im Psychologiestudium wurde Homosexualität nicht erwähnt. Ich wusste, es war eine Diagnose, eine Störung.“ (Anm. d. Red.: Die WHO führte sie bis 1990 als Krankheit.) Lang weiter: „Ich wollte hinwerfen. Weil alles war dort auch so patriarchal strukturiert: Von Männern geleitet, die Frauen haben da quasi für umme gearbeitet. Und wenn es Arbeit zu verteilen gab, hieß es: ,Das können ja unsere Damen machen.‘ Auch die Strukturen in der Verhaltenstherapie nimmt sie damals als „homofeindlich“ wahr. „Als ich mit Anfang 20 meine erste Therapie wegen Beziehungsproblemen mache, komme ich zur Ärztin. Die guckt mich mütterlich an, sagt: ,Das wird schon vergehen.‘ Die zweite Frage war: ,Wurden Sie gestillt?‘ Da hab’ ich gedacht: Das geht so nicht!“

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Warum war die Gründung von PLUS notwendig?

Thomas Heinrich erzählt: „Dann standen wir da in den Neunzigern auf dem Parkplatz in Köln vor dem Rubicon, so etwas wie PLUS heute. Wir scherzten, lachten, dass wir so etwas gründen – und vergaßen es.“ Aber dann war der Gedanke nach dem Studium wieder da. Und er wurde wahr. Die Nachfrage war da, betonen die vier, die eine besondere Harmonie und Schaffenskraft ausstrahlen. „Wir hatten uns per Anzeige im Stadtmagazin Meier sichtbar gemacht“, so Biechele. „Daraufhin meldeten sich viele. Uns fiel dabei auf, dass viele, die im sozialen Bereich arbeiten und auch queer sind, stark abgewertet und missverstanden werden, wenn es um das Thema Beraten von queeren Menschen ging.“ Sie starteten eine Umfrage unter Beratungsstellen, damals mit dem Fokus Lesben und Schwule in der Psychotherapie. „Da kamen unterschiedlichste Reaktionen. Eine war: ,Zu uns kommen nur Jugendliche bis 20 Jahre. Das ist das kein Thema. Kein Interesse.’ Völlig ignorant“, sagt Biechele.

Gab es Diskriminierung?

Margret Göth sagt: „ Queerfeindlichkeit und Homophobie begegnen uns. Oft indirekt, gar nicht persönlich. Bis heute. Wir haben uns viele Jahre mit Förderanträgen über Wasser gehalten. Von Projekt zu Projekt gehangelt“, erzählt sie. „Da gab es den Fall, dass uns zwei Stiftungen abgelehnt haben, weil wir Projekte für Lesben machen. Sie sagten: ,Wenn man das fördert, ist das Diskriminierung der anderen Menschen’ und ihre Stiftung fördere keine solche Diskriminierung. Diese Verdrehung hat mich sehr getroffen, das war unglaublich“, sagt Göth.

Wie reagierte die Politik?

„Wir sollten uns damals im Jugendhilfeausschuss vorstellen“, erzählt Göth. „Wir haben das sooo trainiert, dass wir alles, was wir sagen möchten in drei Minuten unterbringen. Dann sind wir fertig: Schweigen. Langes Schweigen“, erzählt sie. Dann sagte Mechthild Fürst-Diery (CDU): ,Ich glaube, ich muss Sie bitten, Platz zu nehmen.’ Dann hat Frank Mentrup (SPD) in letzter Minute angefangen, Fragen zu stellen“, so Göth. „Und die führten dann dazu, dass wir eine Förderung bekommen haben“, sagt die heutige LSBTI-Beauftragte der Stadt Mannheim. „Eigentlich hätte das die stärkste Fraktion machen müssen, das war die CDU. Da kam nichts damals. Sie haben uns negiert, das habe ich nicht vergessen“, fügt Thomas Heinrich hinzu.

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Wie lief die Öffentlichkeitsarbeit?

„Es gab kein Internet. Man musste in den Meier oder in den Mannheimer Morgen“, sagt Lang. Ewig habe man gekämpft, um überhaupt in die Hilfestellen-Rubrik des „MM“ aufgenommen zu werden, erzählt sie. „Und dann gab es mal einen Artikel über uns. Auf dem Bild war ich zu erkennen. Zwei Tage bin ich mit Angst durch die Stadt gelaufen“, sagt sie. „Ich dachte: Jetzt weiß ganz Mannheim: Das ist ’ne Lesbe. Aber es ist nix passiert. Mannheim ist ’ne tolle Stadt. Es war wie Berlin in den 1920ern“, so Lang auf der Bühne. „Mit einer der größten Schwulendiscos Europas damals, und Lesbenparty zwei mal die Woche – man kam kaum zum Studieren...“, ruft sie kess. Das Publikum johlt, applaudiert, lacht schallend. Oft wurde der Name falsch geschrieben, sagt Thomas Heinrich. „Post bekamen wir oft an die ,Psychologische Lebens- und Schulenberatung‘... .“

Warum war die Arbeit an Schulen schwierig?

Schulen wollte man in der Tat beraten, doch: „Ich kam mir vor, als wollte ich Cola verkaufen. Ich wurde abgewimmelt. Es hieß, ich werde zurückgerufen oder ich soll mal den Ethiklehrer fragen. Der fragte dann die Teenies in der 11. Klasse: ,Wollt ihr was über Homosexuelle hören?‘ Die sagten natürlich: ,Neee!’ – und dann waren wir wieder weg“, so beschreibt Lang den Versuch, Aufklärungsarbeit an Schulen zu organisieren. Beim Oberschulamt habe sie dann aber Gehör gefunden. Auch Menschen, „die in der Pädagogik drin waren“, hätten geholfen. Und man habe tolle Menschen wie etwa Rolf Kieninger als Bestärker gehabt. „Er leitet heute übrigens in Ludwigshafen ein als queerfreundlich zertifiziertes Hospiz, das katholisch ist!“, sagt Heinrich bewundernd.

Wie hat sich die Arbeit bei PLUS verändert?

„Von Anfang an war das Coming-out ein wichtiges Thema“, betont Heinrich. „Von jungen Eltern wird Kindern da heute meistens nicht mehr so viel Druck gemacht“, resümiert er. Biechele sagt: „Die Vielfalt von Geschlechtern ist wichtiger geworden. Hier hat uns unser inklusiver Ansatz geholfen. Unser Credo ist: Wir arbeiten mit mehr als zwei Geschlechtern zusammen.“ „Viele queere Kinder erleben nach wie vor beim Outing eine solche Negativität“, betont Heinrich. „Sie wird besonders da erlebt, wo patriarchale Strukturen sind. Dort sind immer die Probleme für queere Menschen. Egal wie alt und in welchen Zusammenhängen.“ Biechele bestätigt: „In den Schulen ist es schlimmer geworden. Dort heißt es zu queeren Menschen: ,Lasst uns mit eurem schwulen Quatsch in Ruhe, ihr seid übergriffig oder ihr verstoßt gegen Gottes Gesetz’ und so weiter.“

Was ist nach wie vor das Credo?

Biechele, der heute als einziger der vier Freunde noch bei PLUS aktiv ist, sagt: „Bei uns wird niemand in Frage gestellt in der Lebensform oder in seiner Identität. Wir beraten affirmativ (Anm. d. Red. bejahend, bestätigend). Wir versuchen herauszufinden: ,Wie können wir unterstützen?‘ Hier zeigen etwa unsere Jugendgruppen tolle Wirkung.“ Lang berichtet von einem „schönen Beispiel“: „Ich erinnere mich an eine lesbische Frau in der Beratung. Sie konnte nicht den Kopf heben, so geschämt hat sie sich. Sie kam aus sehr prekären Verhältnissen. Jahre später sehe ich sie beim Regenbogenfest im Schneckenhof. Ich sehe, wie sie da um die Ecke linst. Heute ist sie total integriert in der Szene. Ab und an sehen wir uns noch auf der Straße, lächeln uns an: Und dann freue ich mich so, dass es sie gibt – und sie sich so, dass es PLUS gab!“

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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