Konversion

„Verklagt mich endlich“

Von 
Dirk Lübke
Lesedauer: 
© Lübke

Viele Jahre galt Tom Bock als gute Wahl für die Erneuerung des früheren Kasernengeländes Turley in Mannheim. Dann – im Sommer 2019 – trat die stadteigene Projektentwicklungsgesellschaft MWSP von allen Verträgen mit ihm zurück. Im Interview spricht Bock erstmals öffentlich über den Bruch der einst gefeierten Geschäftsbeziehung – und die Folgen. 

Herr Bock, wann waren Sie das letzte Mal in Mannheim?

Tom Bock: In dieser Woche. Mannheim hat mir zehn wichtige Jahre meines Lebens beschert, die kann und will ich nicht so einfach wegwischen.

Sie sind bei der Entwicklung der Konversionsfläche Turley eingestiegen vor etwa zehn Jahren. Was empfinden Sie heute?

Bock: Als ich dort angefangen habe, stand ich vor einem Zaun, der auch noch abgeschlossen war. Man brauchte einen Schlüssel, um auf ein menschenleeres Gelände zu gelangen. Ich habe Turley als Ort wahrgenommen, den man behutsam, kreativ und mit langer Hand aufbauen muss. Mir war damals klar, dass ich in Vorleistungen treten musste, gewisse Dinge erstmal selbst finanzieren und umsetzen musste, wenn dort ein lebendiger und lebenswerter Stadtteil entstehen soll. Ich habe deshalb eine Menge Risiken auf mich genommen, habe eine Kita gebaut, ein Bürogebäude für VR Magic oder auch ein Balletthaus, damit dort wieder Leben entstehen kann. Mein Büro ist schon 2012 als erster Nutzer auf das Gelände in die Kapelle gezogen.

Tom Bock (li.) und „MM“-Chefredakteur Dirk Lübke beim Interview in Bocks Büro am Deutschherrnufer in Frankfurt-Sachsenhausen. © Lenny Fischer

Mieter loben die Tom Bock Group TBG als kreativ auf Turley.

Bock: Das höre ich gern. Und das bestätigt auch mein Konzept. Mir ging und geht es darum, Wohnen, Arbeit und Freizeit sinnvoll zu verbinden und eine ausgewogene soziale Mischung hinzubekommen. Meine Konzepte verfolgen die Wiedergeburt des Urbanen, so wie es in SoHo Turley im Kleinen und im Großen sein soll und kann und übrigens in Frankfurt schon seit über 20 Jahren gelebt wird.

Die städtische Mannheimer Projektentwicklungsgesellschaft MWSP ist im Juni 2019 nach vielen Jahren der Zusammenarbeit von allen Verträgen mit der Tom Bock Group zurückgetreten. Die MWSP ließ verlauten, die TBG blockiere die Entwicklung von Turley weiter. Was sagen Sie dazu?

Bock: Zunächst einmal, alle Verträge zwischen der MWSP und den Projektgesellschaften sind und bleiben weiterhin gültig. Um das zu ändern, bedarf es meiner Zustimmung oder einer gerichtlichen Entscheidung aufgrund eines Feststellungsverfahrens, welches die MWSP zu meiner Überraschung bisher aber nicht eingeleitet hat. Bis zum Oktober 2018 hatte ich den Eindruck, dass alle Seiten froh sind über unsere damals schon achtjährige Zusammenarbeit. Es liegen mir jedenfalls keine Briefe aus der Zeit vor Oktober 2018 vor, in denen meine Leistungen angemahnt oder kritisiert worden sind. Im Gegenteil, die lange intensive Zusammenarbeit wurde ja gerade auch seitens der Stadt bei gemeinsamen Auftritten immer wieder gelobt. Und in der Tat war es für mich ein sehr großes Risiko, vor gut zehn Jahren als Entwickler einzusteigen. Die Stadt hatte das Gelände vom Bund gekauft und hat es an mich weiterverkauft. Ich habe 2010 sofort begonnen, auf eigenes Risiko in diese visionäre Stadtentwicklung zu investieren. Erst in 2018, also acht Jahre später, habe ich zum ersten Mal etwas verkauft. Das ist eine sehr lange Strecke.

Was glauben Sie, woher diese radikale Änderung der Haltung Ihnen gegenüber kam?

Bock: Das müssen Sie schon die MWSP fragen. Vielleicht wegen des Verkaufs der unbebauten Baufelder 4 und 5 auf Turley im August/September 2018. Es geht in der Immobilienentwicklung am Ende natürlich auch darum, dass man etwas verkauft. Zum Geschäftsmodell eines Entwicklers gehört es, Gebäude und Anlagen von nachhaltigem Wert und Lebensqualität zu schaffen, und das muss natürlich auch irgendwie finanziert, sprich: verkauft werden. Und letztlich haben doch alle Seiten etwas davon, Entwickler, Käufer und natürlich die Menschen, die in den Anlagen wohnen und den Ort mit Leben füllen. Ein Bäcker backt die Brötchen ja auch nicht, damit er sie hinterher nur anschauen kann. Vor zehn Jahren war allerdings noch nicht absehbar, wie sich der Immobilienmarkt entwickeln würde. Ich war bereit, das hohe unternehmerische Risiko einzugehen, und glaube nicht, dass eine Stadt mich entschädigen würde, wenn mein Konzept und das damit verbundene Risiko nicht aufgegangen wären.

Turley und Tom Bock

  • Im Jahr 2010 beginnt der Einstieg des Investors Tom Bock aus Frankfurt in Mannheim. Er übernimmt elf von 14 historischen Gebäuden (auf dem Foto oben im Hintergrund). Sie sind inzwischen weitestgehend saniert, verkauft und vermietet. Bock investiert nach eigenen Angaben bisher 130 Millionen Euro.
  • In den Jahren 2012 und 2015 kauft die Tom Bock Gruppe (TBG) für insgesamt sechs Millionen Euro die noch leeren Baufelder 4 und 5 auf dem Gelände der früheren Turley-Kaserne.
  • Im September 2018 wechselt das Gelände den Eigentümer für den sechsfachen Preis – also für 36 Millionen Euro. Die Baufelder sind mit 22 000 Quadratmetern etwas größer als drei Fußballfelder. Das ergibt beim Weiterverkauf einen Preis von etwa 1635 Euro pro Quadratmeter.
  • Als neue Investoren steigen mehrheitlich die vier Gründer des Sportwettenanbieters Tipico mit Sitz in der Steueroase Malta ein – abgewickelt über die in Hamburg beheimatete Projektentwicklungsgesellschaft Fortoon.
  • Die Öffentlichkeit wird durch im März 2019 beginnende Berichte dieser Zeitung über den Wechsel informiert.
  • Im Sommer 2019 gibt die städtische Projektentwicklungsgesellschaft MWSP den Rücktritt von allen Verträgen mit Bock bekannt und nennt „andauernde Leistungsstörungen“ als Grund.
  • Die MWSP lässt Mitte 2019 in den Grundbüchern eine Vormerkung eintragen. Diese dient als Sicherung der Möglichkeit, alle Grundstücke und Gebäude zurückzunehmen. Gleichzeitig verhindert sie für den betroffenen Bock, Gebäude oder Grundstücke verkaufen zu können.
  • Im September 2020 verkündet Fortoon, die seit langem erwartete Tiefgarage für mehrere Hundert Pkw unter dem ehemaligen Appellplatz auf dem alten Turley-Gelände bauen zu wollen.

Wie muss man sich das vorstellen? Sie bekamen einen Einschreibebrief, in dem die MWSP von allen mit Ihnen geschlossenen Verträgen zurücktrat und sich worauf berief? Was wurde als Grund schriftlich genannt? Die MWSP sprach öffentlich immer von „andauernden Leistungs-störungen“.

Bock: Nun, die MWSP hat einseitig den Rücktritt vom Vertrag erklärt. Damit ist aber noch kein Rücktritt vom Vertrag vollzogen. Denn dafür bedarf es eines gerichtlichen Verfahrens, um festzustellen, ob dieser Rücktritt überhaupt rechtens war, was ich natürlich massiv bestreite, nicht zuletzt auch aufgrund der achtjährigen partnerschaftlichen Vorgeschichte mit der Stadt. Allerdings ist schon dieser einseitige Versuch eines Rücktritts sehr problematisch, da er ohne Klärung einen Kollateralschaden für alle Beteiligten verursacht. Denn bis die Angelegenheit nicht gerichtlich oder irgendwie einvernehmlich geklärt ist, können weder die MWSP noch ich etwas machen. Der Stillstand wird zum Geschäftsmodell. Zudem hat die MWSP in einigen Grundbüchern einen Widerspruch eintragen lassen, also eine einstweilige Verfügung, mit der ein Weiterverkauf meines Eigentums verhindert wird. Diese Blockade meines Vermögens soll wohl Druck auf mich ausüben.

Um wie viel Geld geht es?

Bock: Allein mein persönlicher Schaden beläuft sich bis jetzt bereits auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Am Ende wird zu klären sein, wer für all das die Verantwortung zu übernehmen hat.

Werden Sie von Ihrem Vertrags-partner MWSP verklagt?

Bock: Das gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser Angelegenheit. Es gibt keine Klage der MWSP auf Feststellung, dass sie von allen Verträgen wirksam zurückgetreten ist, obwohl der Versuch des Gesamtrücktritts von allen Verträgen schon beinahe zwei Jahre zurückliegt. Es ist ja inzwischen fast so, dass ich sage: Verklagt mich endlich. Denn wenn es diese vermeintlichen andauernden Leistungsstörungen tatsächlich gegeben hätte, dann müsste die MWSP diese doch vor Gericht erläutern können. Darauf warte ich ja die ganze Zeit, aber es passiert nichts. Und damit wird der Kollateralschaden für alle immer größer. Dieser einseitig erzwungene Stillstand schadet allen. Es gibt keine Gewinner, nur Schäden für viele. Und es geht hier doch nicht nur um die MSWP und mich, sondern auch um die Stadt und die Bürger und damit um öffentliches Geld und öffentliche Belange. Um es noch einmal klar zu sagen: Die Verträge gelten weiterhin. Bis zu einer finalen gerichtlichen Klärung sind in einem Rechtsstaat Verträge einzuhalten.

Warum klagen Sie nicht?

Bock: Ich habe jetzt einen Antrag bei Gericht eingereicht, in der Hoffnung, dass die MWSP innerhalb einer Frist von maximal zwei Monaten von Gerichts wegen aufgefordert wird, sämtliche falschen Anschuldigungen gegen mich wegen angeblicher „andauernder Leistungsstörungen“ gerichtlich klären zu lassen. Mit anderen Worten: Ich bitte darum, mich endlich zu verklagen, damit ein ordentliches Gericht sein Urteil sprechen kann und es auf Turley endlich wirklich weitergeht.

Sie hatten schon im Jahr 2017 – ein Jahr vor dem Verkauf der Baufelder 4 und 5 an die Tipico- Gründer im Spät- sommer 2018 – für das Areal einen Käufer. Der sprang ab. Was war passiert?

Bock: Wir kamen Ende 2016 mit einem Versorgungswerk ins Gespräch, das langfristig in Wohnraum investieren wollte. Aber selbst Ende 2017 waren immer noch nicht alle erforderlichen Baugenehmigungen da, einige kamen erst Ende 2018, die letzte sogar erst im Januar 2019, so dass der institutionelle Anleger, der gut gepasst hätte, die Kaufverhandlungen, die fix und fertig waren, abbrach. Ich habe mich nirgendwo beschwert oder gar geschimpft über zu langwierige städtische Verwaltungsprozesse. Und wenn wir unsere Grundstücke vermarkten, was zu unserem Geschäft gehört, dann muss da niemand – auch keine MWSP – im Boot sein. Die haben damit gar nichts zu tun. Investoren wollen allerdings wissen, wie weit Genehmigungen sind. Und Banken, die den Investoren Geld geben, wollen meistens wissen, wie viele Wohnungen schon verkauft sind.

Der Verkaufspreis der Baufelder 4 und 5 an die vier Gründer des Wettanbieters Tipico - Pawlik, Pavlovic, Kuentzle und Voigt – lag im Spätsommer 2018 bei 36 Millionen Euro, was Sie dieser Redaktion schon im März vorigen Jahres bestätigt haben. Dazu sollen zusätzlich von den Käufern etwa acht Millionen Euro für die schon vorhandene Projektent-wicklung an Sie gezahlt worden sein. Warum kauft jemand einen ihm bekannten Plan, den er wenige Wochen später umwirft – zumal Sie ja mit 15 Prozent Anteil in den Käufergesellschaften verblieben waren?

Bock: Es war niemals Thema, dass anders als nach meinen Planungen gebaut werden sollte. Die Käufergesellschaften, an denen ich selbst beteiligt bin, haben investiert – mit einem Bebauungsplan und der Absicht, sofort zu bauen. Und dann gab es auf einmal eine andere Planung. Das ist schon ausgesprochen verwunderlich. Am 31. Oktober 2018, ironischerweise an meinem Geburtstag, wurde mir mitgeteilt, dass sie mich aus dem Projekt ausschließen wollen, also nur wenige, Wochen nachdem wir uns verbunden hatten. Bis heute haben sie es nicht hinbekommen, mich wirksam vertraglich auszuschließen. Hier wird ein Gericht eine Entscheidung darüber treffen, ob der Versuch, mich von den Projektgesellschaften auszuschließen, wirksam erfolgt ist. Ich rechne mit einer Entscheidung des Gerichts noch in diesem Jahr.

Auf dem Gelände, unter dem die Tiefgarage auf Turley alt für etwa 350 Fahrzeuge entstehen soll, wuchert das Gras. Sie wollen diese Garage immer noch bauen. Auf welcher rechtlichen Grundlage?

Bock: Mir steht das Unterbaurecht auf dem ganzen ehemaligen Appellplatz des Turley-Geländes zu, und das so lange, bis ein Gericht feststellt, dass mir das Unterbaurecht nicht mehr zusteht. Bis dahin wird kein Dritter, auch keine Fortoon, eine Tiefgarage ohne meine Zustimmung dort bauen. Noch gilt in diesem Land „Verträge sind einzuhalten“, nicht das Recht des Stärkeren. Ich glaube an den deutschen Rechtsstaat und an unabhängige Gerichte, die auch den Schwächeren schützen. Wie wichtig das ist, sieht man im Moment auch in anderen Lebenssituationen. Ich habe diesem System in meiner bis heute 40-jährigen Berufstätigkeit sehr viel zu verdanken. Unabhängig davon ist dieser vom Zaun gebrochene Streit allerdings mehr als überflüssig. Wenn man etwas von mir will, dann sollte man mit mir sprechen, anstatt zu zerstören. Ich habe im Dezember 2018 einen Bauantrag gestellt, dessen Freigabe durch die MWSP ich sechs Jahre lang versucht habe zu erhalten, nachdem ich ohne jede Vorwarnung von der MWSP aufgefordert wurde, dies innerhalb von zwei Wochen zu tun. Wir haben das prompt erledigt, warten aber noch heute auf eine Baugenehmigung. Wir würden sofort beginnen. Fakt ist, die MWSP verhindert seit zwei Jahren, dass ich eine Tiefgarage bauen kann.

Das sagt die MWSP

MWSP-Sprecher Heiko Brohm erklärte auf Anfrage, es handele sich um „ein laufendes rechtliches Verfahren“. Es könne daher an vielen Punkten keine Stellung genommen werden, um einer juristischen Klärung nicht vorzugreifen. Brohm verwies im Zusammenhang mit dem Rücktritt von allen Verträgen auf die Verantwortung der MWSP gegenüber Be- und Anwohnern und der Stadt Mannheim. Zur Tiefgarage auf Turley sagte er, dass Bock bis zum Rücktritt der MWSP von den Verträgen im Juni 2019 längst mit dem Bau hätte beginnen können, dies aber nicht getan habe.

Thema : Turley-Verkauf

  • Versteigerung Das ist über die neuen Eigentümer auf Mannheims Turley-Areal bekannt

    Von der Kölner Firma mit Verbindungen nach Kuwait bis hin zum Mannheimer Immobilien-Unternehmer - ein Überblick über die neuen Eigentümer der versteigerten Turley-Häuser

    Mehr erfahren
  • Immobilien (mit Fotostrecke) Turley-Versteigerung in Mannheim: Das wurde für die ersten Gebäude gezahlt

    Zwangsversteigerung in Mannheim: Im Kulturhaus Käfertal liefern sich zwei Bieter einen langen Wettstreit um ein Turley-Gebäude. Und ein unerwarteter Gast taucht auf

    Mehr erfahren
  • Immobilien Versteigerung auf Turley-Gelände Mannheim: Investor schweigt

    Sieben Objekte der Tom Bock Group (TBG) auf dem Mannheimer Turley-Gelände kommen im Oktober unter den Hammer. Der "MM" hätte mit dem Investor gerne darüber gesprochen - doch der ist nicht zu erreichen

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen