Mannheim. Diana Reithermanns Versuch scheitert nach zwei Minuten jäh: Tränen schießen ihr in die Augen. „Ich wollte mich unter Kontrolle haben“, sagt sie. Neben ihr sitzt ein kleines Mädchen. Sie ist die Tochter von Reithermann und Kebba Drammeh. Der ist 2014 aus Gambia nach Deutschland geflüchtet, wo er vor fünf Jahren Reithermann kennenlernt. Im Dezember 2019 wird ihre Tochter geboren. „Wir wollen nur mal als glückliche Familie ans Meer fliegen“, sagt Reithermann. Sie dürfen nicht.
Drammeh hat keinen Aufenthaltstitel. Er ist in Deutschland nur geduldet. Die Duldung setzt eine Abschiebung aus, schränkt aber etwa die Bewegungsfreiheit ein. Seit Jahren streitet die Familie mit der Ausländerbehörde um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die über die Duldung hinausgeht. Im November hat das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe der Familie Recht gegeben. „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 28 zu erteilen.“ Die Stadt hat Berufung beantragt. Nach Paragraf 28 werden Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt.
Was die Stadt Mannheim sagt
Der Rechtsstreit ist einer von 56 zum Thema Aufenthaltsrecht, in dem sich die Stadt befindet, erklärt Kevin Ittemann, Sprecher des für die Ausländerbehörde zuständigen Dezernats von Bürgermeisterin Diana Pretzell (Grüne). 2022 hat die Behörde 43 160 Anträge bearbeitet. Ludwigshafen nennt 16 Verfahren bei durchschnittlich mehr als 30 000 Anträgen in 2021 und 2022. Frankfurt spricht von 441 Verfahren bei 45 000 Anträgen im Jahr 2022, Stuttgart von 150 bei 29 000 Anträgen. Mannheim hat prozentual also weniger Verfahren als Frankfurt und Stuttgart, aber mehr als Ludwigshafen.
Anwalt Randhir Dindoyal vertritt Drammeh vor Gericht. Er habe den Eindruck, Behörden in Baden-Württemberg seien im Willen, einen Aufenthaltstitel zu gewähren, vergleichsweise schwierig - ohne dies aber statistisch belegen zu können, sagt er. „Eine solche, hier unangemessene, Konfrontationslinie der Ausländerbehörde habe ich noch nie erlebt.“ Dindoyal hat beantragt, die Berufung der Stadt abzulehnen.
Wie so oft beim Aufenthaltsrecht, ist der Fall kompliziert. „Beim Verfahren geht es darum, welche Auswirkungen Straftaten auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels haben“, erklärt Ittemann. Im Antrag der Stadt auf Berufung ist gar von einer „grundsätzlichen Bedeutung“ des Urteils die Rede.
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach einer illegalen Einreise sei ausgeschlossen, wenn eine weitere vorsätzliche Straftat hinzukäme, sagt Ittemann. Sofern familiäre Bindungen bestünden, wie in diesem Fall, werde aber eine Duldung erteilt. „Diese Rechtsprechung war Grundlage der Entscheidungen der Ausländerbehörde im vorliegenden Fall.“
Die Stadt ficht das Urteil an, weil Drammeh unerlaubt eingereist war und dann Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen wegen Besitzes von Betäubungsmitteln war. Die Behörde hatte die Ermittlungen wegen Geringfügigkeit eingestellt. „Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Kläger gegen die strafrechtlichen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen hat, indem er Betäubungsmittel - wenn auch nur in geringer Menge - besessen hatte“, schreibt die Ausländerbehörde. Eine vorsätzlich begangene Straftat sei „grundsätzlich kein geringfügiger Rechtsverstoß“.
Laut VG sei nicht ersichtlich, warum Drammeh durch den Besitz von Betäubungsmitteln „in einer sehr geringen Menge“ die öffentliche Ordnung störe. Dindoyal erklärt, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren ja gerade wegen mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt. Die Stadt „versucht, eine aufenthaltsrechtliche Interpretation des Strafrechts vorzunehmen, für die rechtlich kein Raum besteht“.
Was das Jugendamt sagt
Zurück im Bistro. Reithermann wird nicht müde zu betonen, dass Drammeh ein „wundervoller“ Vater sei und sich auch um Reithermanns Sohn kümmere, der beeinträchtigt ist. Er wisse, dass der Joint ein Fehler war, meint sie. Die Stadt argumentiert, Drammeh lebe mit zwei Kindern zusammen. „Der Konsum von Cannabis ist hierbei nur schwer mit dem Kindeswohl in Einklang zu bringen.“ Den Umstand habe der VG außen vor gelassen.

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Davon zeigt sich das Jugendamt überrascht. „Als zuständige Behörde in etwaigen Kindesschutzsachen ist für uns nicht erklärbar, wie es ohne vorherige Überprüfung oder Kontaktaufnahme zum zuständigen Jugendamt zu dieser Annahme kommt“, heißt es in einem Schreiben, das dieser Redaktion vorliegt. „Seit der Geburt des Kindes gab es zu keinem Zeitpunkt Hinweise darauf, dass im Haushalt eine Kindeswohlgefährdung vorliegen könnte.“
Reithermann sagt: „Kebba als Gefahr hinzustellen, ist eine Unverschämtheit.“ Sie spricht von einem ungewöhnlich anstrengenden Tag, an dem er erwischt worden sei. „Wenn jeder, der mal einen Joint geraucht hat, eine Gefahr ist, hätten Behörden viel zu tun.“
Weil Drammeh nicht reisen dürfe, habe er die Beerdigung seines Vaters verpasst. „Das ist unmenschlich“, sagt Reithermann. „Kebba arbeitet, zahlt Steuern, aber verreisen dürfen wir nicht - wir fühlen uns wie Sklaven.“ Drammeh ruft an - seine Schicht sei zu Ende, er zu Hause, sagt er. Reithermann erklärt, die Situation belaste ihn. Er spreche ungern darüber, schon gar nicht mit Fremden. Drammeh schäme sich - seine Duldung weise nicht mal eine Adresse aus. „Wir wollen nur ans Meer fliegen“, sagt Reithermann erneut.
Wann der Streit fortgesetzt wird, ist noch nicht klar.
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