Mannheim. In Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil gehen weniger Menschen wählen. Das Deutsch-Türkische Institut für Arbeit und Bildung (DTI) in Mannheim möchte das ändern – mit dem Projekt „Weckruf für Kommunal- und Europawahl 2024“ informiert es gezielt Migranten über anstehende Wahlen.
Autocorsos, Türkei-Flaggen am Wasserturm, vor Glück entzückte Jugendliche: Mannheimern ohne Migrationshintergrund bot sich am 28. Mai 2023 ein widersprüchliches Bild. In Mannheim geborene Migranten begeisterten sich zu Tausenden für eine Wahl, die keinen Einfluss auf ihr alltägliches Leben haben dürfte. Die hohe Wahlbeteiligung bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen in der Türkei zeugt von einer großen Zustimmung für ein wichtiges Instrument der Demokratie, nämlich dem Wahlrecht.
Wahlrecht in Neckarstadt-West und Jungbusch kaum genutzt
Indes bietet sich bei der gleichen Gruppe ein anderes Bild, wenn es um Wahlen in Europa oder Deutschland geht: Im Jungbusch, bei Jüngeren beliebt für seine Bars und Clubs, bilden der statistischen Auswertung der Stadt zufolge Migranten mit 62,2 Prozent die Mehrheitsbevölkerung des Stadtteils. Bei den Wahlen zum Oberbürgermeister am 9. Juli 2023 nutzten aber nur 18,5 Prozent der Wahlberechtigten im Jungbusch ihr Stimmrecht. Ein ähnliches Bild ergab sich in der Neckarstadt-West: Hier bilden Migranten mit 68,9 Prozent ebenfalls die Mehrheit der Bevölkerung, doch nur 16,5 Prozent nutzten bei der OB-Wahl ihr Wahlrecht. Sogar unter zehn Prozent lag die Wahlbeteiligung auf der Hochstätt mit ihrem Migrationsanteil von 73,6 Prozent.
Anders in Feudenheim: Dort verfügen nur 24,3 Prozent Bewohner über einen Migrationsanteil, mit 49,3 Prozent war die Wahlbeteiligung mehr als doppelt so hoch wie in stärker migrantisch geprägten Stadtteilen. „Dass vor dem Hintergrund des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien die Wahlbeteiligung in migrantischen Stadtteilen, die die Folgen dieser Politik am stärksten zu fühlen bekommen dürften, so gering ist, war für uns der wichtigste Grund, wieso wir uns dieses Projekt gewünscht haben“, sagt Franz Egle vom DTI. Auch der Einfluss populistischer Parteien im Ausland auf die migrantische Bevölkerung in Mannheim macht ihm Sorgen.
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Gemeinsam mit der ehemaligen Werkstudentin des Deutsch-Türkischen Instituts, Bahar Deniz, und Projektkoordinatorin Gizem Weber hat er das „Weckruf für Kommunal- und Europawahl 2024“-Projekt initiiert. Ähnlich wie die sogenannten Ramadan-Trommler, die zur Fastenzeit trommelnd durch die Straßen der Türkei ziehen und zur Teilnahme am Fastenmonat aufrufen, möchte das Team mit Reimen und Trommeln durch migrantisch geprägte Stadtteile laufen und gezielt jüngere Migranten für die anstehenden Wahlen und deren Bedeutung für ihre Zukunft sensibilisieren.
„Liebe Bürgerin und lieber Bürger, erwacht zum Licht, sonst schwindet eure Macht im Nichts. Wählt für eure Zukunft, euer Sein, sonst ergreifen falsche Hände das Steuer allein.“ Den ersten Weckruf starteten Egle, Deniz und Weber kurz vor Weihnachten am Marktplatz. Musikalisch begleitet wurden die beiden Projektmitarbeiter des Instituts vom Leiter der Mannheimer Musikschule Rapsodi, Akin Demircioglu. Während ein Sprechchor die Reime verkündete, trommelte Demircioglu. Der Reim, der vor allem jüngere Migranten zur Teilnahme an den Kommunal- und Europawahlen bewegen soll, stammt von Projektmitarbeiterin Deniz.
Die 25-jährige Türkin lebt seit sieben Jahren in Deutschland und nahm während der Präsidentschaftswahlen 2023 das starke Interesse Mannheimer Türken an den türkischen Wahlen wahr. Dass Zugewanderte, die seit vielen Jahren in Mannheim leben oder hier geboren sind, ein stärkeres Interesse an Wahlen in ihrem einstigen Herkunftsland haben als in ihrer jetzigen Heimat, überraschte die studierte Wirtschaftspsychologin.
Feier für das Grundgesetz vom Mannheimer Deutsch-Türkischen-Institut am 13. Mai
Beim Auftakttrommeln am Marktplatz wenige Tage vor Weihnachten fiel dem Team die Offenheit migrantischer Jugendlicher auf. „Es dauerte nur wenige Minuten, und schon kamen wir ins Gespräch mit der Jugend vor Ort“, freut sich Egle. „Die Reime präsentieren wir am 13. Mai in der Kunsthalle“, fährt Weber fort. Dort findet die vom DTI zum achten Mal in Folge ausgerichtete Feier zum Jahrestag des Grundgesetzes mit Unterstützung durch die Stadt Mannheim sowie dem „Mannheimer Morgen“ statt. Unter dem Motto „Demokratie heute: Gefährdet, obwohl alternativlos? Zeichen setzen gegen Antisemitismus und für Europa“ erwartet das deutsch-türkische Institut für Arbeit und Bildung bis zu 300 Schüler beim Mittagsprogramm. Am Abendprogramm werden mehr als 100 Bürger aus der Zivilgesellschaft teilnehmen.
Finanziert wird das Projekt „Weckruf für Kommunal- und Europawahl 2024“ von der baden-württembergischen Jugendstiftung und ideell begleitet von der Stadt. „Wenn jetzt in manchen Kreisen von Remigration gesprochen wird, müssen wir ein Zeichen setzen und zeigen: Diese Menschen bleiben hier und engagieren sich gemeinsam mit uns für die Demokratie – in dem sie wählen“, gibt sich Egle kämpferisch.
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