Mannheim. Bunt leuchten üppige Blumengebinde, obendrein blitzen in der Trauerhalle textile Farbtupfer. Bitte nicht schwarz, hat sich Karla Spagerer gewünscht. Zum Abschiednehmen sind so viele Menschen auf den Waldfriedhof Mannheim-Gartenstadt gekommen, dass die 120 Plätze in der Kapelle und die 75 im Freien aufgestellten Stühle nicht reichen. Anfang Mai ist Karla Spagerer gestorben.
Dass Politik und Stadtgesellschaft bei Beerdigungen von offiziellen Persönlichkeiten hochkarätig vertreten sind, gilt als üblich. Ungewöhnlich ist hingegen, wenn bei einer Frau, die in ihrem 95-jährigen Leben weder ein Amt begleitet, noch beruflich Karriere gemacht hat, der amtierende und vorherige Oberbürgermeister sowie viele andere kommen, um sich am Sarg vor ihrem Foto noch einmal in Respekt zu verneigen.
Karla Spagerer als Mensch und Mutmacherin, als authentische Zeitzeugin, als unverzagte Kämpferin gegen das Vergessen erlebt zu haben – die Dankbarkeit dafür durchzieht gleich einem roten Faden die Trauerreden. Anstand, Aufrichtigkeit, Herzensbildung und trotz Schicksalsschlägen nie verzagender Optimismus verknüft der frühere OB Peter Kurz mit der bodenständigen Waldhöferin.
Als Kind sei sie politisch geprägt worden, als die Großmutter ins Gefängnis musste, weil diese für die Frauen und Kinder von Widerstandskämpfern Lebensmittel und Geld gesammelt hatte. Es sei ihm eine Ehre gewesen, so Kurz, Karla Spagerer kurz vor ihrem 93. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz zu überreichen - ihrem Wunsch entsprechend im kleinen Kreis. Davor hatte die Witwe des langjährigen SPD-Landtagsabgeordneten Walter Spagerer als ältestes Mitglied der Bundesversammlung in Berlin den Bundespräsidenten gewählt - bekanntlich wurde Frank-Walter Steinmeier im Amt bestätigt. „Zwei grandiose Ehrungen in einem Jahr, das zu verdauen, dafür braucht eine alte Frau ganz schön viel Kraft!“, hatte sie damals zur Erheiterung der Festrunde erklärt – auch daran erinnert Kurz.
Karla nahm uns in die Pflicht, gemeinsam für unsere Demokratie zu kämpfen
„Klar kannte man Karla in der SPD, die Frau von Walter. Nett, klug, polititisch versiert“, so der Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei. Aber wie viel mehr die meist unauffällig im Hintergrund wirkende Ehefrau, Mutter von zwei Söhnen, Großmutter und Urgroßmutter zu berichten hatte, sei ihm erst klar geworden, als Karla Spagerer nach dem Tod ihres Mannes begann, von ihren Erfahrungen im Nationalsozialismus zu erzählen, vor allem in Schulen. „Karla nahm uns in die Pflicht, gemeinsam für unsere Demokratie zu kämpfen“, umreißt er ihr Vermächtnis, das aus dem Herzen gekommen sei.
Hans-Jürgen Pohl erinnert als früherer Vorsitzender des Clubs der Ehrenmitglieder und Goldnadelträger beim SW Waldhof an die Fußballbegeisterung von Karla Spagerer und „ihrem Walter“, dessen Namen eine Bühne im Stadion trägt. Er berichtet, dass Karla schon als Kind den SV Waldhof kannte - schließlich hatte der Verein im „Waldschlössel“ der Eltern eine Umkleidekabine mit Zinkwanne gemietet. Und „legendär“, ja Kult sei ihr selbstgebackener Käsekuchen gewesen, den sie vor Spielen brachte. Prediger Jochen Stamer blickt mit „Dank, dass sie bei uns war“ auf die Lebensstationen der 95-jährigen, die friedlich eingeschlafen ist.
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