Stadtgeschichte

Mahnung beim Mannheimer Gedenkgottesdienst zum Kriegsende

Texte von Zeitzeugen, anrührend Musik und nachdenkliche Worte des Oberbürgermeisters – so war der Gottesdienst zum 8. Mai in der Christuskirche

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
Zeitzeugen und Mitwirkende beim Gottesdienst zum 80. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Nationalsozialismus in der Christuskirche. © Pressefotoagentur Thomas Tröster

Mannheim. Der Abend hat „gezeigt, welche Kraft Erinnerung geben kann“, fasste Oberbürgermeister Christian Specht zusammen, was viele in der Christuskirche in dem Moment empfunden haben. Mit betroffen machenden Berichten von Zeitzeugen, anrührenden Fürbitten und Liedern haben die ChristusFriedenGemeinde und das Ökumenische Bildungszentrum Sanctclara bei einem stilvollen Gottesdienst den 80. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert. Allerdings fiel auf, dass die Kirche mit rund 300 Gästen nicht einmal halb voll und außer dem OB und Bürgermeister Thorsten Riehle kein Mitglied des Gemeinderats zu sehen war.

Ja, der 8. Mai sei kein einfacher Tag, räumte Pfarrerin Cornelia Weber von Sanctclara ein. Während sich ein Teil der Menschen befreit gefühlt habe, seien andere in Gefangenschaft geraten, heimatlos geworden, hätten verbittert in Notunterkünften gelebt. Aber gerade in einer Zeit, in der es mitten in Europa wieder Krieg gebe, Antisemitismus wieder sagbar werde und „das infrage gestellt wird, was lange als Konsens galt“, sei ein solcher Abend der Erinnerung nötig. „Wir müssen uns der Erinnerung stellen“, forderte sie, wandte sich engagiert gegen Teilnahmslosigkeit, Geschichtsvergessenheit und die Forderung nach einem Schlussstrich. Denn zur christlichen Gemeinschaft gehöre, dass die Erinnerung lebt, betonte Weber, und nur aus der Erinnerung heraus könne man Gegenwart und Zukunft gestalten.

Ausdrücklich rühmte Weber wie später der Oberbürgermeister das Engagement der Schüler des Moll-Gymnasiums, die sich mit den - noch bis einschließlich Sonntag am Wasserturm ausgestellten - großformatigen Porträts des Fotografen Luigi Toscano von Opfern der NS-Gewaltherrschaft auseinandergesetzt und dort Führungen gemacht haben.

Bedrückende Erinnerung an einen Todesschuss auf einen russischen Soldaten

Brigitte Hohlfeld gab dann gemeinsam mit Pfarrerin Maibritt Gustrau den Menschen eine Stimme, die inzwischen zu alt und zu krank sind, selbst zu sprechen, oder die gar nicht mehr leben. Doch Hohlfeld, Vorsitzende des Ältestenkreises der ChristusFriedenGemeinde, hat sie für die nächsten Generationen festgehalten – in drei dicken, im Waldkirch-Verlag erschienenen Zeitzeugen-Bänden. Ein vierter Band, der sich Flucht und Vertreibung widmet, ist gerade in Arbeit. Aus den bisherigen Bänden wählte sie nun einige Beispiele aus.

Mehr zum Thema

Kommunalpolitk

Zwei Mannheimer Stadträte müssen ihre T-Shirts ausziehen

Veröffentlicht
Von
Timo Schmidhuber
Mehr erfahren
Maimarkt

Maimarkt Mannheim: Das sind die Sorgen der Handwerker

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Konrad Hilpert, der nie vergessen hatte, wie er einen russischen Soldaten direkt mit der Pistole erschießen musste und was seine Panzereinheit an der Ostfront anrichtete. „Man würde das heute als Massaker bezeichnen“, zitierte Hohlfeld ihn. Sie schilderte, wie Karl-Heinz Trumpp, der mit seiner Mutter aus Mannheim nach Heidelberg floh, miterlebte, wie ein Lazarettzug bombardiert, wie ein OEG-Zug mit flüchtenden Menschen in Brand geschossen wurde. Karla Spagerer kam zu Wort, die als junges Mädchen der Frau des kommunistischen Widerstandskämpfers Georg Lechleiter mitteilen musste, dass ihr Mann hingerichtet worden ist.

Magdalena Steinbachs bedrückende Erlebnisse bei der Vertreibung aus Osteuropa, eingepfercht in Viehwaggons, wurden deutlich. Und Willi Hartmann, Vater des heutigen Evangelischen Dekans Ralph Hartmann, war ein Beispiel für die Verblendung der Jugend durch das nationalsozialistische System. Dank der „Kinderlandverschickung“, wie man das damals nannte, war er in ein Erholungsheim ausquartiert und erlebte dort den Einmarsch der Amerikaner.

„Es war keine Nacht- und Nebelaktion“

Bewusst hatten die Veranstalter den Abend aber ökumenisch angelegt. So ging es nicht nur um das Schicksal der „Vierteljüdin“ Erika Beck, die zwar der Deportation, aber nicht der Ausgrenzung entging. Rita Althausen, ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, schilderte die Deportation ihres Vaters Oskar Althausen 1940 ins Lager Gurs. „Es war keine Nacht- und Nebelaktion, es geschah am helllichten Tag“, machte sie eindringlich deutlich, dass alle mitbekommen haben müssen, was das Naziregime mit den Juden gemacht hat, und keiner sich herausreden könne.

Ein weiteres bewusstes Zeichen: Amnon Seelig, Kantor der Jüdischen Gemeinde, übernahm mit den Organisten Marion Krall und Johannes Michel, die musikalische Gestaltung. Dabei wählten sie mit den sieben Klageliedern aus der Bibel, Melodien auch der Mannheimer jüdischen Komponisten Hugo Chaim Adler und Samuel Adler, eines polnischen Friedenslieds und Bonhoeffers „Von guten Mächten“ Werke, die für einen symbolträchtigen wie würdigen Rahmen sorgten.

„Ein gutes Zeichen“, dankte Oberbürgermeister Specht den Initiatoren für diesen besonderen Gottesdienst. Gerade der heute jungen Generation, die in Frieden und Freiheit aufgewachsen sei, müsse man die Bedeutung der Erinnerung immer wieder deutlich machen, forderte er, dass „Frieden keine Selbstverständlichkeit ist“. Während des Studiums in den USA habe er den Vater einer Studienkollegin kennengelernt, der als 22-jähriger Soldat in der Normandie gelandet sei. „Er gab mir mit auf den Weg, dass unsere Generation alles tun muss, dass so etwas nicht mehr möglich ist“, so Specht. Der 8. Mai sei nicht nur, wie der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker formulierte, „Tag der Befreiung“, sondern auch das Vermächtnis, „dass jeder einen Beitrag leistet zu friedlichem Zusammenleben, wozu auch Respekt und Toleranz gehören“, so der Appell des Oberbürgermeisters.

Redaktion Chefreporter

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke