Mannheim. Langsam, ganz langsam, schiebt sich die Straßenbahn durch die Seckenheimer Straße. Melih Dogan schaut aufmerksam in jede Seitenstraße. „Gut so, hier musst du aufpassen – die kommen manchmal schnell hier rausgeschossen“, sagt Fahrlehrer Thierry Erbert. Dogan ist einer von vier Studierenden, die am 1. Juli den Fahrschulkurs für studentische Fahrer bei der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV) begonnen haben.
„Ich bin ein Mensch, der gerne Verantwortung übernimmt, und das ist ein verantwortungsvoller Job – wie sehr, habe ich jetzt noch mehr merken können“, sagt Dogan. Er studiert Handels- und Vertriebsmanagement im vierten Semester und ist als Werkstudent zur RNV gekommen. Dogan ist sich sicher, das Studium und den Nebenjob locker unter einen Hut zu bekommen. Die RNV biete verschiedene Schichtmodelle an, je nachdem, wie es mit dem Studium vereinbar ist. „Ich kann selbst anrufen und fragen, ob eine Schicht frei ist, oder die Diensteinteilung fragt mich an, ob ich zum Beispiel vier Stunden Dienst übernehmen kann.“ Neben der Flexibilität findet er auch die Bezahlung „top“.
Wie viel die Studierenden verdienen, verrät Steffen Grimm, Bereichsleiter Personal bei der RNV: Der Grundlohn liegt nach Tarif bei 18,56 Euro pro Stunde. Zusätzlich gibt es Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld sowie Zulagen für Nacht und Wochenenddienst. „Da kommt schon was zusammen“, sagt Grimm. Im Schnitt seien es 22,50 Euro pro Stunde, und die Ausbildung werde selbstverständlich auch bezahlt: Sie findet von montags bis samstags über die Dauer von zwei Monaten während der Semesterferien statt.
Führungskräfte von Morgen sollen das Kerngeschäft kennenlernen
Die Idee, Studierende als Fahrkräfte einzusetzen, ist indes nicht neu, sondern wird bei der RNV schon seit den 90er Jahren praktiziert. 25 Studierende seien aktuell als Wagenführer im Team. Vier weitere aus dem Juli-Kurs und sieben, die am 1. August begonnen haben, kommen nun laut Grimm hinzu. „Es geht nicht um die Flexibilitätsreserve, sondern um die Fach- und Führungskräfte von morgen“, erläutert Grimm. Ziel sei es, sie an das Unternehmen zu binden. „Sie kennen dann unser Kerngeschäft und wissen, worum es geht. Es geht von Anfang an um Zuverlässigkeit, Verantwortung, Pünktlichkeit und Kundenorientierung.“
Marleen Quurk macht gerade ihren Master in Management an der Universität Mannheim. Durch einen Kommilitonen hatte sie schon vor anderthalb Jahren erstmals von dem Jobangebot der RNV erfahren, eine Kampagne hat dann den Ausschlag gegeben. „Ich habe mir gedacht, jetzt oder nie“, sagt Quurk. Sie hat sich im Januar beworben und eine Einladung zum Bewerbungsgespräch bekommen. Dabei gab es gleichzeitig einen Einstellungstest und eine betriebsärztliche Untersuchung. „Eine Rot-Grün-Schwäche ist ein Ausschlusskriterium. Ein Bluttest ist erforderlich, das Sichtfeld wird überprüft, das ist beim Straßenbahnfahren sehr wichtig“, berichtet sie.
Vorher hatte Marleen Quurk einen studienbezogenen Nebenjob im Social-Media-Bereich für Corporate Sustainability. „Ich hatte Lust auf etwas Besonderes“, erklärt die Studentin. Auch den Job als Straßenbahnfahrerin in einem Verkehrsunternehmen könne sie mit Nachhaltigkeit verbinden – ihr Schwerpunkt im Managementstudium.
Auch Sophia Schulz macht die Ausbildung zur studentischen Fahrerin mit. Sie ist jedoch keine Studentin, sondern ist Dozentin an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM). „Wir haben die Kooperation Drive & Study ins Leben gerufen, ich gehe sozusagen als Beispiel voraus. Wir haben schon Studierende, die sich dafür interessieren und dann wahrscheinlich im nächsten Jahr dabei sind“, sagt Schulz und nimmt im Fahrsimulator Platz.
Auf dem Stundenplan: Türstörung und Gefahrenbremsung
„Im Simulator wird eigentlich nicht das Fahren geübt, sondern Sonderprozeduren“, erklärt Fahrlehrer Steffen Lenz. Das sind Signalstörungen, Fahrzeugtechnik – beispielsweise eine Türstörung am Paradeplatz oder kommunikationslastige Vorgänge bei größeren Ausfällen. Aber auch Regeln werden hier erlernt, etwa das Erneuern der Sicherheitsfahrschaltung spätestens alle 20 Sekunden. Auch eine Gefahrenbremsung, bei der Menschen umfallen, lässt sich laut Lenz sich am Fahrsimulator spiegeln.
Die gravierenden Fahrtausfälle bei der RNV, die eine Folge von zu wenig Fahrern und einem hohen Krankenstand gewesen sind, sind laut Grimm überstanden; auch dank der neuen studentischen Fahrer. „Wir haben viel gemacht: geflüchtete Menschen, Rentner und Studierende ausgebildet, 100 Busfahrer werden dieses Jahr eingestellt. Wir kehren zum vollen Regelfahrplan zurück. Es ist alles wieder gut bei der RNV“, sagt Grimm. Und kommt auf die 40 ukrainischen Geflüchteten zu sprechen, auch wenn es gerade eigentlich um die Studierenden geht: „Diese Menschen sind so zuverlässig und dankbar! Sie fehlen keinen einzigen Tag. Das ist eine Win-Win-Situation für alle.“
Als vierter Student ist Robin Werner in der Fahrausbildung dabei. Er macht gerade seinen Master in ÖPNV und Mobilität an der Universität Kassel, lebt und arbeitet aber in Mannheim. „ÖPNV war schon immer ein Thema, das mich bewegt hat“, meint Werner. Normalerweise arbeitet er im Büro. Große Fahrzeuge mit vielen Menschen zu führen, sei etwas Praktisches und könne einen Ausgleich dazu schaffen. „Es macht Spaß!“
Weichensignale anfordern anstatt zu lenken
Melih Dogan schaut auf das Weichensignal – denn mit einer Straßenbahn kann man nicht lenken –, das die angeforderte Weichenstellung anzeigt: Links. Dogan drückt die Sicherheitsfahrschaltung, zum wohl hundertsten Mal seit Beginn der Fahrt. Dann bewegt er die Bahn auf den Mannheimer Hauptbahnhof zu. Während er fährt, gibt der Fahrlehrer immer wieder Hinweise. Die anderen Fahrschüler, Marleen Quurk, Sophia Schulz und Robin Werner sitzen zusammen auf einem Viererplatz und lernen mit. „Fahren Sie nach Neckarau?“, will jemand wissen, als Dogan kurz am Hauptbahnhof anhält. „Tut mir leid, das ist die Fahrschule“, sagt er. In einem Monat, wenn die Ausbildung beendet ist, dürfen dann auch Fahrgäste bei ihm einsteigen.
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