Zusammenleben

Stimmen aus Mannheims türkischer Gemeinschaft: „Der Messerstecher war Terrorist und keiner von uns“

Menschen aus der türkischen Gemeinschaft in Mannheim sind in Trauer und Sorge nach dem Attentat auf dem Mannheimer Marktplatz. Wir haben mit ihnen gesprochen - und erfahren, was sie bewegt

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Türkische Geschäftsleute Hülya Ayagla (v.l.), Meral und Fahri Durmus, Ismet Isik, „MM“-Reporterin Waltraud Kirsch-Mayer und Erton Karatas. © Privat

Mannheim. „Wir alle sind sehr betroffen! Rund um den Marktplatz gibt es kein anderes Thema“, sagt Meral Durmus, Inhaberin der Bäckerei Saray Pastanesi im Quadrat H 2. Die anderen Geschäftsleute am Tisch nicken zustimmend. Das Gespräch kreist um den Tod des 29-jährigen Polizisten, den ein junger Afghane mit dem Messer angegriffen hat.

Viele Menschen der türkischen Community haben das Bedürfnis, kundzutun, dass auch sie geschockt sind, Schmerz empfinden.
Hülya Ayagla Mannheimerin

Hülya Ayaglar, die als Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie in der Innenstadt aufwuchs und inzwischen als selbstständige Dolmetscherin tätig ist, hat die Runde mit dem „MM“ zusammengebracht: „Viele Menschen der türkischen Community haben das Bedürfnis, kundzutun, dass auch sie geschockt sind, Schmerz empfinden.“

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Weil es schwerfällt, etwas so „Furchtbares“ - dieser Ausdruck fällt mehrfach - zu kommentieren, steht erst einmal Mannheim im Mittelpunkt. Und die Stadt wird längst als Heimat empfunden, wie alle an dem Restauranttisch mit Blick auf den Marktplatz betonen. Meral Durmus erzählt, dass ihr Vater Mitte der 1970er in den Quadraten die erste türkische Bäckerei eröffnete. Schon als Jugendliche habe sie sich in den Kopf gesetzt, dem Papa nachzueifern, blickt sie zurück und schiebt nach: „Mit 21 hatte ich mein eigenes Geschäft.“

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Inzwischen beschäftigt die H 2-Bäckerei, die nicht nur Fladenbrot und Sesamringe, sondern auch süße Köstlichkeiten anbietet, 25 Frauen und Männer. Ehemann Fahri Durmus hat die Geschäftsführung übernommen. „Ich fühle mich als Mannheimerin mit türkischen Wurzeln“, sagt die Geschäftsfrau und Mutter von zwei Kindern.

Jemand hat direkt vor mir eine Deutschlandflagge entrollt - so als ob ich nicht dazu gehören würde
Meral Durmus Mannheimer Geschäftsfrau

Sie berichtet sichtlich fassungslos von einer auf dem Handy aufgenommenen Szene, die sich am vorletzten Wochenende auf dem Marktplatz abgespielt hat: „Jemand hat direkt vor mir eine Deutschlandflagge entrollt - so als ob ich nicht dazu gehören würde.“ Vermutlich habe sich der Demonstrant an ihrem Kopftuch gestört. „Aber das ist Teil meines Glaubens und gehört zur mir, weil ich mich aus eigener Überzeugung dazu entschlossen habe.“ Die 42-Jährige verhehlt nicht, dass sie Angst hat, Provokationen könnten zunehmen - weil Muslime aufgrund der Messerattacke unter Generalverdacht geraten. „Der Messerstecher war ein Terrorist und keiner uns“, erklärt sie.

Ismet Isik, der zusammen mit Erton Karatas, das Restaurant Bursa Kebap Evi am Marktplatz (vormals Istanbul) betreibt, erzählt, dass er seit 30 Jahren in Mannheim lebt. „Hier fühle ich mich zuhause.“ Klar reise er jedes Jahr in die Türkei - „aber das ist für mich inzwischen so etwas wie Urlaub mit der Möglichkeit, die Familie zu treffen“.

Einigkeit in Tischrunde: „Der Islam billigt keinen Terror“

Auch er betont: „Ich möchte nicht mit einem wie dem Messerstecher in einen Topf geworfen werden.“ In der Tischrunde herrscht Einigkeit: Der Islam billigt keinen Terror. Und noch eines betonen die türkisch-stämmigen Frauen und Männer mit Lebensmittelpunkt in der Quadratestadt: Am toleranten Miteinander soll und darf sich nichts ändern. Meral Durmus formuliert es so: „Ich liebe Mannheim auch deshalb, weil ich es all die Jahre als superoffen und tolerant erlebt habe.“

Freie Autorin

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