Interview

Was Mannheimer Muslime nach der Messerattacke befürchten

Talat Kamran, lebt seit Jahrzehnten in Mannheim. Er leitet dort das Institut für Integration und interreligiösen Dialog. Kamran warnt davor, Muslime nach der Messerattacke unter Generalverdacht zu stellen

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Walter Serif
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Auch die Muslime in Mannheim trauerten am Montag auf dem Marktplatz nach der Ermordung des 29-jährigen Polizisten. © Michael Ruffler/Talat Kamran

Mannheim. Herr Kamran, die ganze Stadt steht nach der Messerattacke noch immer unter Schock. Glauben Sie, dass die Mannheimerinnen und Mannheimer das gemeinsam durchstehen werden?

Talat Kamran: Ja, ich habe großes Vertrauen in die Mannheimer Gesellschaft. Aber wir sind natürlich in einer sehr schwierigen Lage. Unsere Gesellschaft ist ohnehin schon gespalten. Corona, der Ukraine-Krieg, Nahost – das alles hat den Menschen zugesetzt. Und jetzt kommt auch noch diese furchtbare Messerattacke. Wie müssen da wirklich aufpassen, denn unsere Diskussionskultur geht verloren. Jeder behauptet irgendetwas, hält seine Meinung für die einzig Richtige. Da ist etwas in den vergangenen Jahren verrutscht.

Mannheim ist eine multikulturelle Stadt. Das sorgt für Probleme.

Kamran: Ich sehe das nicht so pessimistisch. Die Kurfürsten waren in Mannheim schon vor 400 Jahren offen für Andersgläubige und deren Kulturen und haben vielen Menschen ein Zuhause gegeben. Dieser Geist der Toleranz wirkt bis heute fort. In Mannheim leben 160 verschiedene Nationalitäten. Und wissen Sie, was Mannheim von anderen Städten in Europa unterscheidet?

Verraten Sie es mir.

Kamran: In Mannheim steht die große Moschee gegenüber der katholischen Kirche, auch die Hafenkirche hat im Jungbusch ihre Heimat und ein paar hundert Meter weiter finden sie die wunderschöne Synagoge. Das ist ein großes Signal an die Welt: Menschen, die unterschiedlichen Religionen angehören, können doch friedlich zusammenleben und sich austauschen. Das haben wir in Mannheim gemeinsam geschafft. Aber jetzt stehen wir in der Tat vor einer Zerreißprobe. Diese Herausforderung müssen wir annehmen. Und das schaffen wir auch.

Das hoffen wir ja alle. Die AfD wollte am Freitag mit ihren Anhängern den Marktplatz bevölkern. Oberbürgermeister Christian Specht hat jetzt aber für die nächsten zwei Wochen alle Kundgebungen dort verboten.

Kamran: Ich begrüße die Entscheidung des Oberbürgermeisters, der in den Gesprächen, an denen ich auch beteiligt war, klargemacht hat, dass ein Veranstaltungsverbot für die AfD juristisch nicht möglich ist. Denn die Freiheitsrechte gelten natürlich auch für die AfD. Dass sie ihre Kundgebung ausgerechnet auf dem Marktplatz abhalten wollte, war aber eine gezielte Provokation. Der Marktplatz ist gegenwärtig ein Ort der Trauer und des Gedenkens, wie es Specht ausgedrückt hat. Sollte die AfD einen anderen Ort in Mannheim finden, gehe ich davon aus, dass sich meine muslimischen Gemeindemitglieder nicht von der AfD provozieren lassen werden.

Der Islam verbietet Terror

Die Hetze der AfD richtet sich vor allem gegen Migranten. Wenn es nach ihr gehen würden, müssten wir beide ja das Land verlassen.

Kamran: Ja, zum Glück regiert die AfD nicht in Deutschland. Aber man muss aufpassen, in den Niederlanden sind die Rechtsextremen ja schon an der Regierung beteiligt.

„Remigration“ stand auch am Sonntag auf den Transparenten bei der Kundgebung der AfD und der Jungen Alternative.

Kamran: Das ist natürlich alles Populismus und Rassismus. Dass Menschen so diskriminiert werden, ist widerlich. Wir alle sind doch Menschen, die zu einer großen Familie gehören. Es ist egal, ob wir Deutsche, Franzosen oder Türken sind oder eben Christen, Juden oder Muslime.

Der Oberbürgermeister hat versichert, dass sich die Mannheimer nicht spalten lassen würden von Menschen, die die Religionszugehörigkeit als Ausschlusskriterium sehen würden. Teilen Sie seinen Optimismus?

Kamran: Ja, ich bin wie Christian Specht auch sehr optimistisch. Wir lassen das nicht zu in Mannheim. Allerdings bin ich über eine bestimmte Entwicklung nicht glücklich.

Welche denn?

Kamran: Uns stören schon lange Begriffe wie Islamismus oder islamistischer Terror, die ein bestimmtes Narrativ erzählen. Da wird ein falscher Zusammenhang hergestellt zwischen Muslimen und Terror. Dabei redet bei anderen Anschlägen oder Amokläufen niemand von christlichem oder jüdischem Terror.

Sie lehnen diese Begriffe ab, weil darin das Wort Islam auftaucht und dadurch nach Ihrer Meinung Ihre Religion diskriminiert wird?

Kamran: Ja. Ich habe nichts gegen Begriffe wie religiös motivierter Terrorismus, Fundamentalismus oder Rassismus. Der Islam hat aber wirklich nichts mit dem Terror zu tun, selbst wenn ein Attentäter oder jetzt der Messerstecher aus Heppenheim sich auf ihn berufen würde. Das können sie gar nicht. Denn der Islam verbietet das.

Infos zu Talat Kamran

Talat Kamran (64) wurde in Konja (Türkei) geboren. 1978 kam er nach Deutschland und studierte in Bochum, Heidelberg und Mannheim Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie.

Er ist deutscher Staatsbürger und leitet das Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog. was

 

Sie meinen also, dass durch diese Begriffe die Muslime insgesamt diskriminiert werden?

Kamran: Genau. Nicht nur die Muslime werden unter Generalverdacht gestellt, sondern der Islam insgesamt. Er wird damit praktisch mit dem Terror gleichgesetzt. Nach dem Motto: Wer als Muslim dem Islam anhängt, ist ein potenzieller Terrorist. Ich habe Angst, dass dieses falsche Denken zum Allgemeingut werden könnte und nicht nur von rechten Kräften als Narrativ verbreitet wird. Noch mal: Die Messerattacke des Afghanen hat nichts mit dem Islam, dem Koran oder unserem Propheten zu tun. Die meisten Muslime wollen friedlich leben, arbeiten, einkaufen und in Urlaub gehen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Muslime in Mannheim diskriminiert werden?

Kamran: Das ist in bestimmten Bereichen so, aber nicht nur in Mannheim. Es ist ja bekannt, dass Türken große Probleme haben, wenn sie eine Wohnung suchen. Oder wenn sie aus der Türkei nach Deutschland kommen und arbeiten wollen. Da ist die Reihenfolge klar. Erst die Deutschen, dann die EU-Bürger und erst am Schluss kommen die Türken. Das ist Diskriminierung. Und falls sie sich als Türke bewerben, ist es besser, wenn sie das ohne Foto auf dem Lebenslauf machen.

Glauben Sie, dass Extremisten daraus Kapital schlagen und Muslime indoktrinieren, damit die zum Beispiel Anschläge verüben?

Kamran: Das kann schon sein. Aber ich glaube nicht, dass das die Haupttriebfeder ist. Ich glaube, dass jeder eine dunkle Seite hat. Die meisten Menschen haben in ihrem Innersten Angst. Angst vor Fremden, um ihre Sicherheit oder ihre Existenz. Das sitzt in uns drin.

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Wenn jemand aus Afghanistan kommt wie der Täter vom Marktplatz …

Kamran: … dann muss man wissen, dass der dort in seinem ganzen Leben nur den Krieg erlebt hat.

Wollen Sie jetzt damit seine Tat relativieren, die nach Ansicht der Bundesanwaltschaft religiös motiviert ist?

Kamran: Nein, diese Tat ist schrecklich, da wurde ein junger Mensch blindwütig getötet, der sich in seinem Beruf für unseren Schutz täglich eingesetzt hat. Ich glaube aber, dass das Unterbewusstsein eines Menschen von den Erfahrungen, die er in den ersten zehn Jahren seines Lebens macht, geprägt wird. Das kann dann irgendwann ausbrechen. Wir wissen ja nicht, was in den Menschen vorgeht. Wir wissen nicht, wie das bei dem Afghanen war. Klar ist nur, der hätte vielleicht auch mich abgestochen, wenn ich am Freitag auf dem Marktplatz gewesen wäre. Ich kann Ihnen aber eines sagen: Ein wahrer Muslim macht so etwas nicht. Nie und nimmer. Schauen Sie doch nur nach Frankreich. Dort ist es viel gefährlicher als in Deutschland. Wir haben so etwas wie jetzt in Mannheim noch nie erlebt. Hier sind die türkischen Familien intakter, der Respekt vor den Älteren ist größer, die Frauen werden mehr geachtet. Die Gefahr kommt vor allem aus den Gebieten, in denen schon lange Krieg herrscht.

Der Afghane ist 2014 allein nach Deutschland gekommen.

Kamran: Das ist ein großes Problem. Deutschland versucht ja, den Familiennachzug einzuschränken. Dann kommen unbegleitete Flüchtlinge hierher und sind allein. Das ist schlecht. Wir müssten ohnehin den Umgang mit Flüchtlingen verbessern. Wir müssen ihnen neue Wege aufzeigen, achtsamer sein, damit nicht der Autopilot in ihrem Unterbewusstsein großen Schaden anrichtet. Wir müssen sie praktisch umprogrammieren, ihr Mindset ändern. Wo wird denn an den Schulen Persönlichkeitsbildung betrieben?

Nach der Messerattacke gibt es eine Diskussion, ob man Straftäter nach Afghanistan abschieben soll.

Kamran: Das ist nicht die richtige Lösung, sondern purer Egoismus. Ein Täter, der in Deutschland verurteilt wird, muss seine Strafe auch hier absitzen. Man kann ihn nicht einfach abschieben in ein Land, in dem er dann vielleicht weitere Verbrechen begehen würde, weil sich dort niemand für ihn interessiert.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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