Betreuung

Stadt Mannheim will Attraktivität des Erzieherberufs erhöhen

Der Fachkräftemangel in Kitas und Krippen ist hoch. Im Schnitt kommt auf eine Einrichtung eine unbesetzte Stelle. Dabei sei der Beruf sehr attraktiv, meint Bürgermeister Dirk Grunert. So will er gegensteuern

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Bertram Bähr
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Eines von vielen Projekten: Den Naturkindergarten Little Franklin werden in Kürze 40 Kinder bevölkern. Aber was nützt der Bau noch so vieler Gebäude, wenn das Personal dafür fehlt. © Bertram Bähr

Mannheim. Herr Grunert, derzeit 50 unbesetzte Stellen in städtischen Kitas, das ist im Schnitt etwa eine pro Einrichtung. Wie wirkt sich das aus?

Dirk Grunert: Im Moment können wir durch den Einsatz von Springkräften und das große Engagement unserer Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen Schließungen verhindern. Die Situation hängt aber immer von den aktuellen Erkrankungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort zusammen. Stand heute sind in drei städtischen Kitas die Randzeiten jeweils um eine Stunde verkürzt. Aber wir haben keine Einrichtung geschlossen.

Gab es auch schon den Fall, dass eine ganze Kita geschlossen war?

Grunert: Nein, diesen Fall gab es nicht, lediglich die Hortbetreuung in einem Kinderhaus konnte personalbedingt eine Woche lang nicht angeboten werden. Für Härtefälle wurde aber auch hier eine Notbetreuung ermöglicht. Wir hatten schon für ein oder zwei Tage eine Gruppe in Kinderhäusern geschlossen, weil der Krankenstand so hoch war.

Dirk Grunert

  • Dirk Grunert (Grüne) ist seit November 2019 Bürgermeister für Bildung, Jugend und Gesundheit.
  • Davor saß der gebürtige Niedersachse zehn Jahre für die Grünen im Gemeinderat, fünf als Fraktionsvorsitzender.
  • Grunert hat in Mannheim Betriebswirtschaftslehre studiert. Anschließend arbeitete er als Berufsschullehrer in Neckargemünd. 

Und bei freien Trägern?

Grunert: Es ist unsere Beobachtung, dass sich oft bei freien Trägern die Personalsituation etwa knapper darstellt als bei uns bei der Stadt Mannheim. Da war es auch in den letzten Jahren von der Tendenz her etwas angespannter als bei uns.

Aber dass derzeit Hunderte Plätze fehlen, liegt doch wohl eher an den fehlenden Einrichtungen?

Grunert: Der Bau weiterer Kitas war in den letzten Jahren in der Tat die größte Herausforderung. Mittlerweile ist ganz klar der Fachkräftemangel das deutlich herausfordernde Thema im Vergleich zum Neubau von Kitas – eine deutschlandweite Entwicklung. Überall fehlen mittlerweile Erzieherinnen und Erzieher.

Wieso eigentlich: Die Zahl der Beschäftigten in dieser Berufsgruppe ist doch deutlich gewachsen?

Grunert: Das stimmt. In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher in Baden-Württemberg mehr als verdoppelt. Deswegen ist nachvollziehbar: Wenn man am Anfang Personal aufbauen will, ist es noch relativ leicht. Aber je größer die Zahlen werden, desto schwieriger wird es, noch einmal zusätzlich Menschen in diesen Beruf zu bekommen.

Wie hat sich denn die Kinderzahl entwickelt in diesen 15 Jahren?

Grunert: Es sind mittlerweile ungefähr 25 Prozent mehr Kinder.

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Dann müsste es rein rechnerisch doch gut reichen?

Grunert: Das kann man so nicht sagen. Es hat sich zum einen in diesen Jahren pädagogisch viel getan. Die Kitas sind größer als früher, eine Leitung ist freigestellt und vor allem mit pädagogischen Konzepten und Verwaltung beschäftigt, sie arbeitet nicht mehr direkt am Kind. Auch die Ganztagsbetreuung ist ein großes Thema. Die Eltern brauchen immer mehr Ganztagsangebote, um Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können. Früher wurde hauptsächlich eine Halbtagsbetreuung oder verlängerte Öffnungszeiten nachgefragt, das reicht heute vielen Familien nicht mehr aus.

Und zum anderen?

Grunert: . . . ist die Anzahl der Eltern, die einen Betreuungsplatz wollen, kontinuierlich gewachsen. Baden-Württemberg war ja immer das Bundesland, das am klassischsten ein Familienleben gelebt hat: Der Mann arbeitet, die Frau bleibt zuhause und kümmert sich ums Kind. Mittlerweile ist es auch hier ganz normal, dass beide Elternteile arbeiten gehen wollen oder müssen – und dass Kinderbetreuung als etwas ganz Selbstverständliches eingefordert wird. Das hat die Anmeldezahlen in relativ kurzer Zeit massiv nach oben getrieben. Deshalb: Trotz viel mehr Erzieherinnen und Erziehern gibt es eine Lücke, die wir erst in den nächsten Jahren werden schließen können.

Keine erfreuliche Perspektive für Eltern. Deshalb wird unter anderem über eine Erhöhung der Kinderzahl in den Gruppen diskutiert. Wie ist da der Stand?

Grunert: Es gibt eine befristete Regelung des Landes bis August, dass 22 statt 20 Kinder in eine Gruppe gehen können – unter bestimmten Voraussetzungen: Die Raumgrößen müssen das hergeben, der Mindestpersonalbedarf muss abgedeckt sein, und die Förderbedingungen für Kinder mit Behinderungen müssen gegeben sein. Das heißt aber: Selbst, wenn wir das wollten, könnten wir unter diesen Bedingungen gar nicht alle Kitagruppen vergrößern.

Wir als Stadt stehen dieser Form der Vergrößerung skeptisch gegenüber. Gerade nach der Corona-Pandemie, in der die Erzieherinnen und Erzieher vieles durchmachen mussten, sind viele auch heute noch sehr belastet.
Dirk Grunert Bürgermeister

Wollten Sie?

Grunert: Wir als Stadt stehen dieser Form der Vergrößerung skeptisch gegenüber. Gerade nach der Corona-Pandemie, in der die Erzieherinnen und Erzieher vieles durchmachen mussten, sind viele auch heute noch sehr belastet. Die Herausforderung durch wenig Personal ist da, wir haben wenig Springerkräfte, das Personal trägt sehr, sehr viel und ist vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle an der Grenze der Belastbarkeit. Da kann man nicht einfach noch etwas draufsatteln. Wenn wir zwei Kinder mehr reinpacken und dann die Gruppe geschlossen werden muss, weil ein oder zwei Erzieherinnen krank werden, haben wir nichts gewonnen.

Das heißt, Sie haben es bisher noch nicht gemacht?

Grunert: Wir haben das bisher so nicht gemacht. Es gab diese Regelung ja auch schon in den beiden Jahren davor, zur Corona-Zeit. Wir haben sie nicht genutzt.

Was machen die freien Träger?

Grunert: Nach meiner Kenntnis haben auch die freien Träger das bisher nicht genutzt. Sie schätzen das grundsätzlich ähnlich ein wie wir.

Bleibt es auf Dauer bei dieser Position, angesichts fehlender Plätze?

Grunert: Das muss man immer gegeneinander abwägen. Einerseits die höhere Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Andererseits die Kinder, die bisher keinen Platz haben. Da kann man in anderen Situationen auch mal zu einem anderen Ergebnis kommen, was mehr und was weniger bringt.

Wir wollen in Zukunft außerdem die Arbeit für Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kitas dadurch attraktiver machen, dass wir ihnen für ihre eigenen Kinder einen Betreuungsplatz in einer städtischen Kita garantieren.
Dirk Grundert Bürgermeister

Der Städtetag Baden-Württemberg empfiehlt zur Fachkräftegewinnung eine Öffnungsklausel im Landesgesetz, einen „Zukunftsparagrafen“, der Städten viele Freiheiten lassen soll. Finden Sie die Idee gut?

Grunert: Ich bin kein Anhänger einer völligen Freigabe. Aber ich finde die Grundidee, versuchsweise verschiedene Modelle zu testen, durchaus interessant. Zu schauen: Gibt es Berufsgruppen, die bisher nicht im Fachkräftekatalog stehen, die aber eine Bereicherung sein könnten für die Kinder und deren Entwicklung. Dann könnte man das in ein paar Einrichtungen testen. Wenn Zukunftsparagraf dagegen bedeuten würde, vor Ort kann jeder frei entscheiden, wen er einsetzt – etwa Personal durch Großeltern ersetzen – hielte ich das nicht für sinnvoll.

Wie wirbt die Stadt im Moment um Personal?

Grunert: Wir schalten regelmäßig Anzeigen, machen Ausschreibungen über das ganze Jahr hinweg. In unseren Einrichtungen werben wir über unsere Erzieherinnen und Erzieher selbst, oft haben sie entsprechende Kontakte. Es gab auch verschiedene Online- und Social-Media-Aktionen.

In einer Anzeige wirbt die Stadt Mörfelden-Waldorf mit überbetrieblicher Bezahlung, Übernahme von Kinderbetreuungskosten, Öffi-Ticket und mehr um Kita-Personal. Gibt es solche On-Top-Angebote auch in Mannheim?

Grunert: Die Kommunen schauen schon genau hin, was andere machen. Aber wir wollen uns eigentlich nicht gegenseitig Kräfte abwerben. Neben Personalgewinnung versuchen wir, das Personal, das wir bereits haben, zu halten. Wir bieten Karriere-Perspektiven in dem Sinne, dass man sich fortbilden und spezielle Aufgaben übernehmen kann. Wo wir uns von anderen teilweise unterscheiden, ist bei der Anerkennung von Kinderpflegerinnen und -pflegern. Wenn sie sieben Jahre gearbeitet und gewisse Fortbildungen gemacht haben, werden sie wie Erzieherinnen und Erzieher bezahlt.

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Sind weitere Verbesserungen geplant?

Grunert: Wir wollen in Zukunft außerdem die Arbeit für Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kitas dadurch attraktiver machen, dass wir ihnen für ihre eigenen Kinder einen Betreuungsplatz in einer städtischen Kita garantieren. Wenn sie sich also in ihrem Beruf um fremde Kinder kümmern, müssen sie sich zumindest um die Betreuung der eigenen Kinder keine Sorgen mehr machen. Ich denke, dass ist eine wichtige Unterstützung im Alltag für unsere Fachkräfte.

Auch zuvor hat sich schon einiges getan, um die Attraktivität des Berufs zu steigern. Was zum Beispiel?

Grunert: Was heute eine Erzieherin oder ein Erzieher verdient, ist mit dem Verdienst vor 15 Jahren nicht zu vergleichen. Da hat sich wirklich etwas getan, auch im Vergleich zu anderen Berufen. Auch die Ausbildungsbedingungen sind sehr viel attraktiver.

Was die Bezahlung angeht?

Grunert: Ja. Nehmen sie PIA, die praxisorientierte Ausbildung, die wir seit einigen Jahren haben. Das war ein ganz, ganz großer Schritt. Und diese Ausbildung kommt ja auch gut an. Jetzt machen wir gleich den nächsten Schritt: Zum Herbst beginnt eine neue Ausbildungsmöglichkeit, der Kita-Direkteinstieg, der in einer Pilotschule in diesem Frühjahr in Weinheim gestartet ist. Im Herbst wird dann die Helene-Lange-Schule in Mannheim dabei sein.

Auch da gilt: Bezahlung schon während der Ausbildung?

Grunert: So ist es. Ausgebildet werden sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten. Sie arbeiten als Zusatzkraft bei uns und gehen parallel zur Schule. Das ist auch wieder ein bezahlter Weg in den Beruf. Er richtet sich explizit an Menschen, die vielleicht schon in dem einen oder anderen Beruf gearbeitet haben und die sagen würden: ,Der frühere normale Weg mit lange Zeit unbezahlter Ausbildung ist für mich überhaupt kein Thema.’ Über diesen Weg bekommen wir Menschen, die schon eine andere Ausbildung haben, aber sich für den Erzieherbereich interessieren.

Sozialpädagogische Assistenz ist die Vorstufe zum Erzieherberuf?

Grunert: Genau. Das läuft zwei Jahre. Dann kann man mit entsprechendem Schulabschluss noch ein drittes Jahr anhängen und hätte nach der Ausbildung einen Abschluss als Erzieherin oder Erzieher.

Gibt es genug Interessierte für dieses neue Modell?

Grunert: Ja. Die Bewerbungsfrist ist um. Wir haben als Stadt bei unseren Zusatzkräften geworben und der Schule von vornherein gesagt, wir stellen sicher, dass mindestens 14 Schülerinnen und Schüler kommen. Letztendlich sind es 20 aus städtischen Einrichtungen.

Geht das so ein bisschen in die Richtung, was die Stadt während Corona gemacht hat: Dass man Fachkräfte aus anderen Bereichen holt, die man weiterqualifiziert?

Grunert: Teilweise ja. Damals ging es aber tatsächlich erst einmal darum, nur als Zusatzkraft zu arbeiten. Eine Ausbildung konnte sich anschließen. Jetzt laufen sozusagen Ausbildung und Zusatzkraft-Zeit parallel.

Mit solchen Modellen lässt sich doch sicher gut werben?

Grunert: Das machen wir. Was ich noch einmal betonen möchte: Der Beruf der Erzieherin und des Erziehers ist heute wirklich attraktiv. Wir haben so viele Menschen wie nie zuvor, die in diesem Bereich in Baden-Württemberg arbeiten. Und wir haben auch die höchste Zahl an Menschen, die sich gerade jetzt ausbilden lassen. Bei allem Mangel, der zurzeit herrscht, ist es erst einmal eine gewisse Erfolgsgeschichte, was in diesem Beruf passiert.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

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