Mannheim. Es ist ein eiskalter Morgen an diesem Samstag. Doch ungeachtet der frühen Stunde versammeln sich zwei Dutzend Menschen in der Bühler Straße 7. Vor dem Häuschen im Ortskern von Seckenheim liegt ein „Stolperstein“. Er erinnert an Wilhelm Ruf, der hier wohnt, bevor er 1936 in die Fänge der NS-Polizei Gestapo gerät und darin umkommt.
Der Stolperstein hier ist einer von gut 40 in Mannheim. In ganz Europa sind es mittlerweile mehr als 100 000. Die Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig würdigt NS-Opfer, indem sie vor ihrem letzten freigewählten Wohnort eine kleine Gedenkplatte verlegt, die zum Innehalten anregt; ein Stolperstein eben.
Acht Stolpersteine liegen in Seckenheim
Bewusst am bundesweiten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus startet die Mannheimer SPD ihre Initiative. Die Mitglieder wollen in den Stadtteilen die dort bestehenden Stolpersteine reinigen. Durchaus eine Handlung mit Symbolkraft, „um unsere eigene Erinnerung und Aufmerksamkeit im wahrsten Sinne des Wortes aufzupolieren“, wie Stadtrat Bernhard Boll am Morgen in Seckenheim betont.
Seckenheim - ein damals noch mehr als heute agrarisch geprägter Ort, anders als die Neckarstadt oder die noch nördlicheren Stadtteile keine „roten Hochburgen“. Doch auch hier mit Menschen, die dem NS-Regime entgegentreten oder von ihm grundlos verfolgt werden. Acht Stolpersteine liegen in Seckenheim, die an jenem Morgen von Aktiven aus SPD und Grünen gereinigt werden.
Boll erinnert an Ludwig Ruf, Vater von elf Kindern, Arbeiter am Hauptbahnhof, dort Betriebsratsvorsitzender und in der SPD. Nach deren Verbot 1933 hält er Kontakt zu Genossen ins Ausland, fliegt nach einem Treffen in Antwerpen aber auf und wird 1936 verhaftet. Bald darauf ist er tot - angeblich Selbstmord durch Erhängen. Doch seine Frau entdeckt an der Leiche keine Strangulierungen, dafür eine schwere Wunde am Kopf. „Ludwig Ruf wurde von der Gestapo ermordet“, betont Boll: „Seine Mörder wurden nie vor Gericht gestellt.“
Walter Wassermanns Vater ist Jude, seine Mutter tritt zum Judentum über, heiratet nach dem Tode ihres Mannes dessen jüdischen Freund. Dieser wird nach der Pogromnacht 1938 in Buchenwald inhaftiert, seine Frau kauft ihn frei, verschafft ihm eine Passage nach Shanghai. Die übrige Familie bleibt in Mannheim, geschützt von katholischen Verwandten. Doch 1940 werden die Großeltern nach Gurs deportiert, später in Auschwitz ermordet.
Noch 1945 wird Walter, mit 21, ins KZ Theresienstadt deportiert, überlebt und kehrt nach Kriegsende zu Fuß nach Mannheim zurück. Seine Altersgenossen wandern aus, doch er bleibt: „Ich bin einfach Mannheimer!“ Zwei Jahrzehnte bewirtschaftet er mit seiner Frau Lilly die Wirtschaft im Seckenheimer Schloss. Ab 2005 macht er über sein Schicksal öffentlich, erhält für diese Aufklärungsarbeit das Bundesverdienstkreuz. 2014 stirbt er mit 90 Jahren.
Überlebt hat auch Sigmund Lewin. Verheiratet mit eine Protestantin und zum Christentum konvertiert, lebt er in der Schlossstraße 23 (heute Offenburger Straße). Nach der Pogromnacht 1938 wird er nach Dachau deportiert, später nach Theresienstadt. Er überlebt und kehrt nach Seckenheim zurück, wo er als Fotograf arbeitet und 1959 stirbt.
An solche Schicksale müsse erinnert werden - in einer Zeit, in der der Holocaust wieder, so Stadtrat Boll, „verharmlost und als Fliegenschiss der Geschichte denunziert wird.“
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