Stadtgeschichte

So wurde aus einem barocken Kaufhaus das Mannheimer Rathaus

125 Jahre ist das jetzt her, da wurde aus dem barocken Kaufhaus in N1 das Mannheimer Rathaus. Lange wurde verhandelt, dann gab es einen Grundstückstausch.

Von 
Peter W. Ragge
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Luftaufnahme des Alten Kaufhauses, vor 125 Jahren ins Eigentum der Stadt gelangt und zum Rathaus umgebaut. Die hinteren Häuser und Grundstücke waren vorher in Privatbesitz, der vordere Teil gehörte dem Land. © Markus Proßwitz | masterpress

Mannheim. Die Erlaubnis gibt er im Urlaub aus der „Sommerfrische“, wie das einst heißt, auf der Insel Mainau. Im August 1899 hat Großherzog Friedrich I. „gnädigst geruht, (...) die Allerhöchste Genehmigung zu ertheilen“, dass das Land Baden sich vom Kaufhaus in N1 trennt. Das tritt am 1. Juni 1900 in Kraft. Vor 125 Jahren geht damit das Gebäude in N1 in den Besitz der Stadt Mannheim über.

Der prächtige Barockbau ist zunächst ein staatliches Gebäude. Kurfürst Carl Philipp gibt 1724 den Befehl, ein Lager- und Kaufhaus zu errichten, um den Handel zu beleben. 22 Jahre dauert es bis zur Fertigstellung – länger als das Schloss. Das Haus dient als Mehlwaage, Komödienhaus, Lager, für Geschäfte, Gerichte und Behörden. Bis 1900 findet hier, unter den Arkaden und auf dem Paradeplatz, der Maimarkt statt. Ab 1891 ist in N 1 der Sitz der neu entstehenden Berufsfeuerwehr der Stadt. Aber Eigentümer ist der Staat, nach dem Ende der Kurpfalz das Land Baden.

Der prächtige neue Stadtratssaal mit Bibliothekswand und beidseitigen hölzernen Wendeltreppen 1910. © Markus Proßwitz | masterpress

Mannheims Stadtverwaltung hat ihren Sitz in F1, aber dort reicht der Platz schon lange nicht mehr. Schließlich wächst Mannheim noch vor der Jahrhundertwende auf über 100.000 Einwohner zur Großstadt. Bereits 1894 wird ein Rathaus-Neubau diskutiert, denn damals sind 20 Ämter und Dienststellen außerhalb des Rathauses untergebracht – und diese Zahl steigert sich noch. Parallel zur Neubau-Diskussion laufen aber über Jahre hinweg Verhandlungen zwischen Stadt und Staat über den Erwerb des staatlichen Anteils an N1. Dort hat die Stadt zwar seit 1817 ein Nutzungsrecht für einige Räume, ist aber nicht Hausherr.

Auch das Mannheimer Nationaltheater ist Teil des Vertrags

Die Verhandlungen ziehen sich länger hin. Besonders der Preis ist umstritten. Der Sozialdemokrat August Dreesbach, ab 1884 Stadtrat, ab 1890 Abgeordneter des Reichstags und ab 1891 auch des badischen Landtags, verhindert 1898 den drohenden Abbruch der Verhandlungen. Die Lösung des Streits ist dann laut einem 1899 geschlossenen Vertrag ein Grundstückstausch. Danach überlässt der Staat seinen Anteil am Kaufhaus (3.537 Quadratmeter, der größere nördliche Grundstücksteil) der Stadt. Die wiederum übergibt dem Land Baden das nur aus alten Dragonerstallungen und Festungsresten bestehende Grundstück in L6 (3.457 Quadratmeter) und zahlt ihm eine Million Mark Baukostenzuschuss für die Errichtung eines neuen Bezirksamtes für die großherzoglichen Behörden – das heutige Polizeipräsidium.

Bis Oktober 1903 hat das Land noch Gnadenfrist für den Umzug. Ab da nutzt das Bezirksamt den Neubau in L6, Finanzamt und Gerichte gehen ins Schloss. Bestandteil des Vertrages ist übrigens auch der Übergang des Gebäudes des Nationaltheaters in B3 in städtisches Eigentum bei Zusicherung, dass das Großherzogtum sich weitere 50 Jahre an den Kosten beteiligt.

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Aber nicht nur mit dem Land Baden muss sich die Stadt einigen. Von den 6.274 Quadratmetern des Quadrates N1 entfallen 2.724 Quadratmeter auf Privateigentümer, die im hinteren, südlichen Teil Häuser besitzen. Nur mit zwei dieser Eigentümer wird die Stadt handelseinig, bei dreien kommt es zur Enteignung und einem Prozess durch zwei Instanzen, nach dem die Stadt mehr zahlen muss, als sie vorhatte. Erst 1904 ist das Verfahren ausgestanden und die Stadt dann komplett Eigentümer des Quadrats. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 3,3 Millionen Goldmark (einschließlich Grundstückwert L6).

Ein Abriss steht auch zur Diskussion

Zum 1. April 1904 ziehen der Oberbürgermeister, Bürgermeister, Sekretariate und Zentralverwaltung sowie Stadtkasse in N1 ein. Zugleich beginnt ein Umbau – bei laufendem Betrieb und daher entsprechend schwierig. Zudem ist das Gebäude in schlechtem Zustand. Von „Verwahrlosung des Kaufhauses“, einer „Farb- und Schmutzkruste“ auf der Fassade und „baufälligen und veralteten Einrichtungen“ ist in zeitgenössischen Berichten die Rede. Auch ein Abriss steht zur Diskussion. Eine Idee lautet, den Turm zu erhalten, aber ringsum neu und auch ein Stockwerk höher zu bauen. Aber die Stadt entscheidet sich „gegen die Beseitigung eines der ältesten und bedeutendsten öffentlichen Gebäude der Stadt“, und zwar „aus Gründen kunsthistorischer Art und der Pietät“ gegenüber dem kurfürstlichen Baumeister Alessandro Galli Bibiena, für dessen Können das Haus „ein hervorragendes Dokument bildet“, so der „Badische Architecten- und Ingenieur-Verein“ damals.

Das Mannheimer Stadthaus N1. © Thomas Tröster

Stattdessen übernimmt Stadtbaurat Richard Perrey, seit 1902 Leiter des Hochbauamtes, den Umbau, wobei durch Überbauung der Innenhöfe zusätzlicher Platz entsteht. „Sein Gespür für die örtliche Bautradition ermöglichte es ihm, die barocke Überlieferung des Stadtbildes zu würdigen und sichtbar zu machen“, urteilt Volker Keller, zweiter Vorsitzender des Vereins Stadtbild und Kämpfer für den historischen Wiederaufbau von N1, der ihm „einfühlsame Anpassung und behutsame Bewahrung des barocken Stadtbilds“ bescheinigt.

Geschäfte bestehen teils bis 1965

1904/1905 bessert Perrey die Fassaden aus und im Innern gibt er dem Kaufhaus eine völlig neue Struktur mit einem prachtvollen Treppenhaus. Der schon reich geschmückte Saal im Obergeschoss, erst von der Komödie und dann vom Hofgericht genutzt, wird Sitzungssaal des Stadtrats und enthält eine Bibliotheksgalerie mit seitlichen Wendeltreppen. Im Turm entsteht ein Sitzungs- und Repräsentationsraum mit Bronzetafeln der Mäzene der Stadt. Darüber zieht auf sieben durch Stahlträger verstärkte Geschosse das Stadtarchiv mit Registratur in den Turm.

1910 wird das Gebäude, obgleich bereits vorher genutzt, eingeweiht. In den Arkaden, im Sommer mit Blumenampeln geschmückt, entstehen 1906 bis 1910 eine Anlaufstelle für den Verkehrsverein sowie zahlreiche Geschäfte von Blumen über Messerschmied, Handschuhe, Kunst, Strumpfwaren, Juwelier, Kunsthandlung, Optiker und Kurzwaren bis zu Spielwaren Komes, Pelz Kunze und der Buchhandlung Löffler. Viele davon bestehen, bis das im Krieg beschädigte, aber nicht ganz zerstörte Haus 1965 abgerissen wird.

Redaktion Chefreporter

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