Mannheim. „Ela, 8. Juli, 9.15 Uhr “, steht an diesem Tag auf der Tafel, die der riesige Storch aus Holz am Eingang des Krankenhauses im Schnabel hält. Denn fast täglich werden hier, im Diako, Mannheims Kinder geboren. „Den Storch haben wir selbst aufgestellt und eigentlich alles hier über die Jahre selbst mitorganisiert und gestaltet“, sagt Regina Martini.
Die selbstständige Beleghebamme arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten hier – und hat nicht nur unzählige Kinder mitentbunden, sondern auch dabei geholfen, ein besonderes Konzept zu etablieren.
Grundidee: Frauen als Hebamme auch bei der Geburt im Kreißsaal begleiten
Martini ist eine von zwölf Gründerinnen, die vor 20 Jahren ein bis dahin seltenes Modell der Geburtshilfe in Deutschland und bis dato neuartiges für Mannheim eingeführt haben. Die Grundidee damals wie heute: eine Frau nicht nur durch die Schwangerschaft und danach zu begleiten, sondern vor allem auch bei der Geburt, Hand in Hand im Kreißsaal mit Ärztinnen und Ärzten.
Über zwei Jahrzehnte hat sich dieses Zusammenspiel der beiden Berufsstände nun in Mannheim schon bewährt, es gibt mittlerweile ähnliche Konzepte auch in anderen Kliniken.
Wie gut das Konzept ankommt, lässt sich auch an den seitdem konstant steigenden Geburtszahlen ablesen. Zwar ist auch hier der bundesweite Trend von stets sinkenden Geburtenraten spürbar. Trotzdem verzeichnet die Geburtshilfe am Diako pro Jahr noch immer im Schnitt 1100 Neugeborene.
Zum Vergleich: In Mannheim sind laut der kommunalen Statistikstelle im vergangenen Jahr 2796 Kinder zur Welt gekommen. Das sind rund 618 weniger als 2022. Laut dem Statistischen Landesamt sind die Geburtszahlen in Baden-Württemberg 2023 auf den niedrigsten Stand seit 2014 gesunken.
Konstant steigende Geburtszahlen im Diako in Mannheim
Wie also gelingt es seit 20 Jahren am Diako, das künftig mit dem Theresienkrankenhaus den neuen Dachnamen Brüderklinikum Julia Lanz tragen soll, stetig Schwangere für sich zu gewinnen? Was die Arbeit im Vergleich zu anderen Kliniken unterscheidet, wer hier entbinden kann – das soll ein Besuch anlässlich des 20-jährigen Bestehens bei der Geburtshilfe mit ihren Abteilungen „Kreißsaal“ und „Entbindungsstation“ im Mannheimer Süden zeigen – und dabei herausfinden, warum sich dieses Konzept so bewährt hat – auch bei den Patientinnen.
Für den Besuch der schwangeren Reporterin nehmen sich Thalia Erbes, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, sowie die Beleghebammen Regina Martini und ihre Kollegin aus der ehemaligen St. Hedwig Klinik, Alexandra Noky-Böhm, viel Zeit. Auch, um in der gemeinsamen Teeküche im hinteren Teil der Abteilung „Kreißsaal“ zu erklären, wie sich diese Art der Betreuung aus medizinischer sowie psychologischer Sicht auf die Frauen auswirkt.
Spürbar ist davon schon etwas beim Betreten der Abteilung im Untergeschoss: Gleich vier Türen führen von einem hellen Flur samt Empfang in vier Kreißsäle. Hier wird der einfühlsame Einfluss der Hebammen sichtbar: Jeder Saal ist zwar wie in anderen modernen Kliniken ausgestattet, mit Geburtsbett, Wehenschreiber, Babyeinheit zur Erstversorgung und einer Geburtswanne.
Trotzdem sieht jeder Raum anderes aus, wirken die Säle mit ihren warmen Wandfarben, indirektem Licht und Blick ins Grüne irgendwie gemütlich. Ein Zugang in jedem Saal führt direkt in den OP, damit bei Komplikationen auch ein Kaiserschnitt erfolgen kann.
Mütter sollen bestmöglich und nach ihren Wünschen entbinden
„Der tollste Kreißsaal nützt nichts, wenn man sich allein gelassen fühlt. Deshalb ist die Haltung der Teams wichtig“, erklärt Chefärztin Erbes. Und Hebamme Martini ergänzt: „Es ist überhaupt nicht egal, wie man geboren wird, sondern sehr wichtig für die Eltern-Kind-Beziehung, dass man den Start als positiv empfindet.“ Dazu gehört neben der modernen medizinischen Ausstattung im Kreißsaal auch die Rundumversorgung der werdenden Eltern.
Der tollste Kreißsaal nützt nichts, wenn man sich allein gelassen fühlt
Für das „Danach“ ähnlich wie im Mannheimer Uniklinikum (UMM) in Familienzimmern auf der Entbindungsstation (Wochenbettstation) samt Stillberatung. Und für das „Davor“ in der sogenannten Elternschule, von zwei der Beleghebammen selbst geleitet.
Anfangs in angemieteten Praxisräumen und seit 2015 in neuen Räumen im hinteren Teil der Klinik, geben dort Externe und die Beleghebammen selbst Kurse: von Pilates für Schwangere über die Geburtsvorbereitung bis hin zur Rückbildung. Zudem betreuen die Hebammen die Frauen neben ihrer Arbeit im Kreißsaal vor und nach der Geburt. Ob die eigene Hebamme später mit bei der Entbindung dabei ist, kann das Team zwar nicht garantieren. „Trotzdem ist die Idee hinter der Elternschule, dass sich die Frauen an die Klinik gewöhnen, Positives damit verbinden und gerne hierher kommen – auch für die Geburt“, sagt Martini.
Immer mindestens zwei Hebammen und eine Ärztin im Kreißsaal
Die Teamarbeit der Berufsstände beginnt schon in der Vorbetreuung: Von der Hebammenvisite über Risikosprechstunde bis zur Geburtsplanungssprechstunde, mit Oberarzt und Hebamme. Das Ziel: Die Patientin soll nach ihren Wünschen und „gleichzeitig auf medizinisch höchstem Niveau entbinden“, sagt Chefärztin Erbes und verweist auf die zwei zu eins Betreuung. Soll heißen: Immer mindestens zwei Hebammen sowie eine Ärztin stehen im Kreißsaal.
Hier entbinden können Frauen mit komplikationsloser Schwangerschaft und die bereits in der 36. Woche sind. „Frühgeburten können wir nicht versorgen, da uns die Kinderstation fehlt“, so Erbes. Was die Geburtshilfe von anderen unterscheidet? Für die Chefärztin ist das Konzept wie eine besonders geschützte Welt. „In anderen Kliniken ist die Geburtshilfe oft getrennt. Das Spannende hier ist die Zusammenarbeit. Wenn eine Frau die Geburt positiv durchlebt, dann schafft das eine wichtige Patientenbindung – und die Frauen kommen wieder zu uns“, sagt die Chefärztin.
Der erfahrenen Medizinerin ist es wichtig, dass sich ihre Ärzte zu Dienstbeginn bei der Kreißsaalvisite vorstellen. Und die Eltern so erfahren, wer für sie zuständig ist, und Vertrauen fassen können. „Paare brauchen Transparenz, die halten wir hoch und sprechen sehr offen mit den Patientinnen.“
Über 13 Jahre lang hat Erbes auch an anderen Kliniken Geburten betreut und weiß: Gerade die Unikliniken haben ein anderes Konzept, müssen deutlich mehr Patientinnen sowie Notfälle und Risikoschwangerschaften versorgen. So manche Schwangere fühlt sich dabei wie eine Nummer im Durchlauf oder erlebt in selten Fällen sogar Gewalt bei der Geburt.
Auch Erbes kennt dieses Problem. Nicht selten kämen betroffene Frauen auch aus der Metropolregion gezielt ins Diako, weil sie persönlicher und trotzdem im Beisein von Ärzten entbinden wollten. Eine weitere Alternative bietet außerdem der neue, sogenannte Hebammenkreißsaal im Uniklinikum ab August 2024: Dort entbinden allein die Hebammen, Ärzte werden nur im Notfall dazu gerufen.
Neues Modell erleichtert Arbeitsalltag beim Entbinden
Das Zusammenspiel am Diako ist dagegen mittlerweile 20 Jahre alt – und war zu seinen Anfangszeiten neu in der Rhein-Neckar-Region und nicht selbstverständlich, erinnert sich Martini. Angefangen hat alles mit einer neuen Kollegin, die vor 21 Jahren aus Germersheim ans Diako wechselt. Schon zu dieser Zeit sind Hebammen Mangelware, arbeiten die meisten entweder als Angestellte in den Kliniken oder selbstständige Beleghebamme. Oft fallen im hektischen Klinikalltag Kolleginnen aus, müssen die Geburtshelferinnen allein mehrere Gebärende betreuen – und das in einem straffen Schichtenmodell.
Es ist überhaupt nicht egal, wie man auf die Welt kommt
Die neue Kollegin berichtet von ihrem früheren Hebammenkreißsaal. Sich zu einem Team vereinen, das eigenständig Dienstpläne für den Kreißsaal schreibt und trotzdem selbstständig und unabhängig bleibt. Aber das gleichzeitig – und da unterscheidet sich das Konzept von einem Hebammen Kreißsaal – immer im Beisein mit Ärzten entbindet: In nur neun Monaten erarbeiten Martini und ihre Mitstreiterinnen dieses Modell. Und überzeugen die Klinik-Geschäftsführung.
Beleghebammenteam ist eigenständige Einheit im Diako Mannheim
Am 1. Juli 2004 nimmt das zwölfköpfige Team dann die Arbeit auf – trotz anfänglicher Bedenken der damaligen Chefärztin. Die bis dahin angestellten Hebammen wechseln in die Selbstständigkeit und werden zu Beleghebammen mit einem erweiterten Vertrag mit der Klinik. „Seitdem arbeiten wir in Zwölf-Stunden-Schichten, sind immer zu zweit im Kreißsaal, inklusive Rufdienst. So können wir länger und intensiver die Frauen betreuen, das schafft enorme Befriedigung im Arbeitsalltag“, sagt Martini.
2006, zwei Jahre nach der Einführung, investiert die Klinik in Ausbau und Umzug von Entbindungsstation sowie Kreißsaal – wohl auch, um mit dem deutlich größeren UMM sowie der beliebten Geburtsklinik St. Hedwig in den Quadraten mithalten zu können. Wie beliebt dieses Arbeitsumfeld da schon bei anderen Hebammen ist, weiß Alexandra Noky-Böhm. Sie ist 2020 die einzige Geburtshelferin, die es nach der Schließung der Hedwigs Klinik ins Diako-Team schafft. Denn das Beleghebammenteam als eigenständige Einheit entscheidet im Kollektiv – auch über Neuzugänge. Das Problem: Damit sich die Arbeit für die Beleghebammen weiterhin rechnet, sind die Plätze im aktuell 18-köpfigen Team rar – und damit ein Privileg.
„Fünf von uns wollten ins Diako wechseln, manche sind zum UMM oder haben sich woanders beworben. Am Ende war es für mich doch ein großer Schritt, statt angestellt plötzlich selbstständig zu sein“, sagt Noky-Böhm. Die Schließung der Hedwigklinik, die noch 2018 samt Theresienkrankenhaus mit dem Diako fusionierte, war auch im Diako spürbar: 2021 verzeichnet die Klinik das geburtenstärkste Jahr mit 1415 Neugeborenen – fast vier Kinder täglich. Damals wie heute haben auch ihre Namen bestimmt alle auf der Tafel des Storchs einen Platz gefunden.
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