Kleinkunst

Siegfried & Joy: Zauber-Comedy im Mannheimer Capitol

Siegfried & Joy verzaubern im Mannheimer Capitol ihr Publikum mit humorvollen Illusionen. Magisch ist vor allem die Stimmung, die sie verbreiten.

Von 
Gernot Lahr-Mische
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Das Duo Siegfried & Joy begeistert mit Zauberquatsch im Capitol. © PIX-Sportfotos

Mannheim. Gibt’s Fragen? Diese richtet der schlanke, vor Selbstbewusstsein strotzende Siegfried an den in der ersten Reihe des Capitols sitzenden Zuschauer Jochen. Den hat man nämlich als Skeptiker ausgemacht, denn gerade hat das legendäre Duo „Siegfried & Joy“ mal wieder eine spektakuläre Illusion dem ausverkauften Rund dargeboten. „Das rote Tuch, das gewöhnliche rote Tuch“, und genau dieser Satz wird von den beiden synchron unheilvoll ins Mikro angekündigt, als gelte es, gleich das Capitol samt Rosengarten verschwinden zu lassen.

Dieses Tuch wird unerklärlicherweise, ohne zerrissen zu werden, durch einen senkrechten Stab gezogen. Der Saal tobt. Er tobt immer, auch bei solchen banalen Tricks, denn, dieses vorneweg: Die größte Illusion der beiden Glitzerbejackten ist es, in fast zwei Stunden das gesamte Publikum in einen Kindergeburtstag zu verwandeln.

Siegfried & Joy: Duo setzt erfolgreich auf kalkuliertes Scheitern

„Wir sind nach Las Vegas gegangen und haben gesagt: Wenn wir es dort schaffen, kommen wir nie mehr zurück. Und jetzt sind wir wieder hier.“ Das ist der allabendliche Auftaktsatz des aus Deutschland stammenden Duos, das sich der Legende nach 2015 in einem Zauberkünstlerzubehör Geschäft in Berlin kennengelernt haben soll.

Kultstatus bekam das Team schnell mit seinen millionenfach angeklickten Clips, in denen die beiden zu Céline Dions Musik hinter einem Tuch alles Mögliche verschwinden lassen. Zum Beispiel eine Straßenbahn, die halt genau in dem Moment abfährt, oder ein kleines Mädchen, das man dann nach Hochheben des magischen Tuches noch wegrennen sieht.

Genau dieses kalkulierte Scheitern ist der Kern des Humors des Duos. Sie sind die ironische und leichte Gegenwelt zu der mit gigantischem Aufwand betriebenen und auf eine andere Art begeisternden Performance der „Ehrlich Brothers“. Oder der Arbeit von David Copperfield, der in den 90ern eine wahre Renaissance der spektakulären Zaubershows bewirkte, diese Begeisterung auch nach Europa brachte, und für den Siegfried D’Amour und Joy Leslie tiefste Bewunderung haben.

Der eigentliche Star ist das Publikum im Mannheimer Capitol

Denn natürlich können die beiden auch zaubern. Siegfried (das Duo würde gerne seine Privatnamen unter dem Zauberhut lassen), gewann 2011 „die deutsche Jugendmeisterschaft für Zauberkunst“, aber was das Publikum letztendlich begeistert, ist nicht der Trick an sich, sondern die Präsentation. Die schrullige Choreografie, wenn der beleibte langhaarige Joy mit dem dünnen, überagilen Siegfried kleine absurde Pirouetten dreht, wenn sie das infantile Nase-an-Nase-liebkosen-Spiel machen, dann wird das vermeintlich Kleine plötzlich groß. Seien es die Karten, die Siegfried irgendwo aus seinen Händen zaubert, sei es das meterlange Stoffband, das sie aus ihren Mündern ziehen, oder die wundersame Weinglas- und Flaschenvermehrung, die das Duo aus leeren Röhren unermüdlich hervorbringt.

Siegfried & Joy feiern sich selbst, ihre Tricks - und das Publikum. © PIX-Sportfotos

Das hat man alles schon mal gesehen, es wird aber mit einer Inbrunst präsentiert, als wäre es die Jahrhundertsensation. Der Star ist das Publikum. Es wird binnen Minuten zum Fan und macht alles mit, es jubelt, wenn es jubeln soll, und wenn es die Freiwilligen auf die Bühne verschlägt, dann wird mitgetanzt, Truthahn-Balzrufe nachgemacht oder mit lautmalerischem Helikopterbrummen ein Requisit gereicht. Was braucht es Hypnose-Shows, wenn ein bisschen Anti-Show für Komplettverbrüderung reicht?

Einmal dürfen alle mitmachen. An jedem Sitz stecken vier Karten, die soll man in der Mitte falten, einmal durchreißen, das andere Ende in seine Jacke oder Socke stecken, mehrfach umschichten, den Rest in die Luft werfen und dann, wie ein Wunder, bleibt genau die Karte übrig, deren fehlende Hälfte in der Jacke steckt. Das Duo ist das Gegenteil von der nonchalanten Coolness der „Pocketzauberer“, die uns überlegen lächelnd verführen. Die beiden mimen die völlige Begeisterung über ihre eigenen Tricks, im Showbusiness eigentlich ein Killer, nicht bei Siegfried & Joy.

Kinder wie Erwachsene lassen sich auf das Spiel ein

Bleiben noch die Kinder, die kommen gerne auf die Bühne. Mancher Pädagoge wird blass vor Neid, wie sie dem mies gelaunten, strengen „Mental Joy“ da oben willfährig gehorchen. Joy mimt den Mentalisten, der mit Lidl-Tüte und Einkaufswagen auf die Bühne schlurft und, unter der Ungläubigkeit des Publikums leidend, lustlos absurde Tricks vorführt, wie das Öffnen einer Stofferdbeere, in der wiederum ein Stoffhase steckt.

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Das Lieblingsessen nicht erraten? Keine Pasta, Pizza oder Bratwurst? Stattdessen kommt die Antwort: Pfannkuchen. Nicht das Problem des Mentalisten. Eher eines der Mannheimer, also runter von der Bühne. Die Kinder erkennen, dass das alles nur ein brummbäriges Spiel ist, die Erwachsenen lassen sich geradezu sehnsüchtig drauf ein.

Oder der arme Zuschauer, dessen Brille er auf der Bühne in einen kleinen Sack legt. Darauf wird sofort herumgetrampelt, und genau diese Brille steckt dann unten im Publikum unversehrt in einem „Discobeutel“. Der Mann wird mit Preisen regelrecht begraben: ein Bügelbrett, eine Stehleiter, ein riesiger Teddybär … Das ist dann schon auf der Bühne mehr Beckett oder Ionesco als Las Vegas.

Am Ende dann doch das Wunder: Das ganze Publikum im Capitol wird verschwinden. Die Videokamera ist bereit, das Zaubertuch wird geöffnet und alle ducken sich hinter ihrem Sitz oder halten sich die Augen zu. Magisch. Noch Fragen?

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